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„Ich wurde vergessen“ – So enttäuscht und wütend sind die Überlebenden des Grenfell-Tower-Feuers

„Ich wurde vergessen“ – So enttäuscht und wütend sind die Überlebenden des Grenfell-Tower-Feuers

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LONDON, ENGLAND - JULY 19: A survivor of the Grenfell Tower disaster holds up a piece of burnt debris as he speaks during a council meeting at Kensington and Chelsea Town Hall on July 19, 2017 in London, England. The first full Kensington council meeting is held today since the June 14, 2017 Grenfell Tower fire, which claimed at least 80 lives. (Photo by Jack Taylor/Getty Images) Foto: Getty Images
  • Die Opfer des Grenfell-Tower-Feuers haben ihrer Wut Luft gemacht
  • Noch immer sind viele Tote nicht identifiziert, Überlebende nicht richtig untergebracht
  • Die Bewohner glauben zu wissen, wer Schuld ist

London. 

Sie sind ratlos, sie sind enttäuscht und sie sind sehr, sehr wütend. Einige der Überlebenden des Feuers im Londoner Grenfell Tower machten bei einer Sitzung des Bezirksrats des Londoner Stadtteils Kensington und Chelsea keinen Hehl daraus, wie wenig sie sich vom Bezirk unterstützt fühlen – und wem sie die Schuld an der Katastrophe geben. Der Grenfell Tower, ein 24-stöckiges Hochhaus mit Sozialwohnungen im Westen Londons, war im Juli in einem verheerenden Feuer abgebrannt.

„Ich bin vergessen worden“, berichtete ein Mann bei der Sitzung. Seine Frau sei drei Wochen auf der Intensivstation gewesen, zwei seiner Kinder für zwölf Tage. Ein dreijähriges Kind wurde schon nach vier Tagen aus dem Krankenhaus entlassen. Die Stadt habe ihm ein Zimmer für ihn und das Kleinkind gegeben. „Jetzt sind ich, meine Frau und meine drei Kinder da, und wir haben immer noch ein Schlafzimmer und ein Doppelbett. Für uns fünf.“

Wut auf den Bezirk

Der Bezirk habe nichts für die Überlebenden getan. „Wisst ihr, wer etwas getan hat? Die Bewohner von Nord Kensington, unsere Gemeinschaft, unserer Nachbarn“, sagte der Vater.

„Die Opfer dieser Tragödie sind vom Bezirk im Stich gelassen worden“, räumte die neu gewählte Ratsvorsitzende Elizabeth Campbell ein. „Familien sind auseinandergerissen worden, die Menschen, die sie lieben für immer verloren, und ihre Gemeinschaft zerbrochen“, sagte sie. „Wegen eurer Fahrlässigkeit!“, rief ein Mann von der Empore des Saals.

Auch andere Zuschauer der Sitzung mischten sich ein. „Die Art Leute, die ihr in eurem Rat habt, sie werden uns zuhören, aber nicht verstehen“, rief eine Frau. „Wie könnt ihr von uns erwarten, dass wir an euch glauben?“

Die Opfer misstrauen der Regierung

Viele Menschen sind sich sicher, dass hinter den haarsträubenden Versäumnissen im Brandschutz am Grenfell Tower System steckte. Sie fühlen sich von der Bezirksverwaltung und der Regierung hintergangen. Das Misstrauen steckt tief.

Einen eiligen Test auf Brennbarkeit an Fassadenteilen Hunderter Hochhäuser in England bestand kein einziges. Das Feuer am Grenfell Tower hatte sich über die Außenverkleidung rasend schnell ausgebreitet. Wie die Fassaden in den bislang 221 durchgefallenen Gebäuden feuersicher gemacht werden sollen, ist den lokalen Behörden und Eigentümern überlassen. An knapp 400 Hochhäusern steht der Test noch aus.

Die Unterbringung ist chaotisch

Die Bezirksverwaltung im Stadtteil Kensington und Chelsea scheint noch immer heillos überfordert zu sein. Die Unterbringung der Überlebenden in Hotels verlief chaotisch, berichtete die BBC. Noch immer seien Menschen nicht angemessen untergebracht.

Der Polizei wird vorgeworfen, Angehörige von Toten und Vermissten nur spärlich zu informieren und mögliche Verantwortliche zu schonen. Noch immer sind viele Opfer nicht gefunden. Die Polizei geht davon aus, dass zur Zeit des Unglücks 350 Menschen im Grenfell Tower wohnten. Rund ein Dutzend war nicht zu Hause. 255 Menschen hätten sich aus dem brennenden Gebäude retten können, mindestens 80 sollen tot sein.

Von vielen Menschen fehlt jede Spur

Doch die Zahlen werden noch immer angezweifelt. Viele Anwohner glauben, dass weitaus mehr Menschen in dem Turm lebten. Gewissheit wird es möglicherweise nie geben. Identifizieren konnte die Polizei bislang nur 32 Opfer. Von Dutzenden fehlt jede Spur. Zu befürchten ist, dass von ihren Körpern bei 1000 Grad Hitze nichts Erkennbares übrig geblieben ist. (tma/dpa)