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Politisches Forum Ruhr: Die vierte Gewalt am Scheideweg?

Die vierte Gewalt am Scheideweg

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Foto: Kai Kitschenberg
Journalismus zwischen Hass-Mails und Digitalisierung: Politisches Forum Ruhr diskutierte in Essen über die großen Herausforderungen der Medienwelt.

Essen. 

Zeitdruck im Journalismus ist kein Phänomen des Internetzeitalters. Doch nichts verändert die Medienwelt so sehr wie Tempo und Fortschritt der Digitalisierung. Darüber waren sich alle Gäste auf dem Podium schnell einig. Steht die Presse – die vierte Gewalt im Staat – deshalb gleich am Scheideweg? Diese Frage stellte das Politische Forum Ruhr gemeinsam mit dem Initiativkreis Ruhr am Mittwochabend in der gut besuchten Essener Philharmonie. Und erhielt als Antwort: einen Meinungsstreit so lebhaft, wie ihn nur Journalisten führen können.

Der Journalismus werde seine Rolle als vierte Macht im Staat schon verteidigen, versicherte etwa Jörg Quoos – trotz digitaler Konkurrenz und der Marktmacht von Google, Facebook und Co. Die größte verlegerische Herausforderung sieht der Chefredakteur der Berliner Zentralredaktion der Funke Mediengruppe eher in der langfristigen Finanzierung von Qualitätsjournalismus: „Wir ruinieren definitiv den Journalismus, wenn wir ihn dauerhaft zu einer kostenlosen Dreingabe verkommen lassen.“

Ein Berufsstand als Zielscheibe von Aggression

Quoos zeichnete auch das Bild eines Berufsstandes, der zunehmend zur Zielscheibe von Aggression werde. „Es ist mittlerweile journalistischer Alltag, dass TV-Teams nur noch mit Personenschutz über Pegida berichten können und dass Journalisten wegen ihrer Berichterstattung in den sogenannten sozialen Medien offen bedroht werden“, sagte Quoos.

„Bild“-Herausgeber Kai Diekmann hielt dem entgegen, die Menge an schamloser Internethetze sei das Werk einer radikalen Minderheit. Viele Menschen aber hätten das Gefühl, nicht mehr zu den Gewinnern zu gehören. Diekmann: „Das müssen wir ernst nehmen.“

Dunja Hayali erzählt über Hass-Mails

Aus sehr persönlicher Perspektive berichtete Dunja Hayali. Die bekannte ZDF-Journalistin, Tochter irakischer Einwanderer, hat den Hass selbst erlebt. Durch an sie adressierte Hass-Mails, die sie anschließend veröffentlichte. Auch beim Besuch einer AfD-Veranstaltung in Erfurt habe sie „die volle Breitseite“ der Verunglimpfung gegenüber der „Lügenpresse“ erdulden müssen, wie sie auf Nachfrage von Andreas Tyrock, WAZ-Chefredakteur und Moderator des Abends, erzählte. Auf eine derartige Veranstaltung gehe sie nicht ohne Personenschutz. „Aber ich will doch wissen, was diese Menschen dazu bringt.“ Hayali, aufgewachsen in Datteln, fürchtet, dass der Hass sich längst hineingefressen hat „in die schweigende Mitte.“

Zorn, Unzufriedenheit, die Wucht der Emotionalität in der öffentlichen Debatte: „Vielen Menschen ist Zugehörigkeit zu einer Bewegung wichtiger als Wahrheit“, erklärte Mathias Müller von Blumencron, Chefredakteur Digitale Medien der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, das Phänomen schwindender Fakten-Gläubigkeit. „Es gibt bei vielen Menschen eine starke Verunsicherung. Sie spüren: die Veränderung der Welt durch die Globalisierung und die Digitalisierung hört nicht mehr auf.“ Dieses Gefühl könnten weder die Politik noch die Medien wegnehmen.

Jörg Quoos kritisierte auch Fehlentwicklungen innerhalb der Medienbranche. Viele Leser hätten den missionierenden Ton mancher Journalisten mittlerweile satt: „Sie wollen mehr informiert und weniger bevormundet werden.“