Veröffentlicht inPanorama

Zum Tod von Udo Jürgens: Die Geschichten seines Lebens

Zum Tod von Udo Jürgens: Die Geschichten seines Lebens

Die völlig unerwartete Todesnachricht von Udo Jürgens schockiert Deutschland. Ein begnadeter Musiker ist für immer von der großen Bühne abgetreten. Ein Blick auf den Kosmos Udo Jürgens.

Erst Ende September feierte Udo Jürgens seinen 80. Geburtstag und sprühte noch voller Tatendrang: Mit seinem im Februar erschienenen Album „Mitten im Leben“ startete er am 24. Oktober nochmal zu einer großen Tour durch Deutschland, Österreich und der Schweiz. Doch nun stand Jürgens Anfang des Monats in seiner Wahlheimat Zürich letzmals auf den Brettern, die ihm die Welt bedeuteten. Am 21. Dezember 2014 ist Udo Jürgens unerwartet verstorben – seine letzte große Reise.

Er war der größte deutschsprachige Musik-Entertainer, der im Laufe der Jahrzehnte unwiderstehlich die Lücke zwischen Schlager, Chanson und Pop ausfüllte und in seinen Liedern immer wieder gegen den Strich gebürstet hat. In einem Gespräch mit der „Zeit“ sagte Jürgens mal, er wäre „ohne die Musik schon längst entweder im Irrenhaus gelandet oder grausam im Leben gescheitert, denn ich verfüge nicht über große Fähigkeiten. Kriminell hätte ich auch nicht werden können, weil ich zu viel Schiss habe“.

Wie tickte der geniale Musiker und Menschenfreund, der sein Alter spitzbübisch meist mit „ungefähr 50“ angab? Die Nachrichtenagentur spot on news blickt zurück auf den Kosmos Udo Jürgens.


Seine Lieder


Im Laufe seiner über 60 Jahre andauernden Karriere hat er an die 1.000 Lieder geschrieben. Sie handeln von Liebe, Untreue, Sehnsucht, Trennungen, Wohlstand, von Fluchten, Fußball, Spießigkeit, Erfolg, Neid, Frieden, dem Älterwerden, von sozialen Missständen. Wie kein anderer hat er in seiner Karriere den Nerv der jeweiligen Epoche getroffen, und nicht nur sein Bewunderer Hape Kerkeling (49) findet: „Er hat den Soundtrack zur Bundesrepublik Deutschland geschrieben.“

Zu den bekanntesten Songs seiner 53 Alben gehören „Merci Chérie“, „Griechischer Wein“, „Mit 66 Jahren“, „Ich war noch niemals in New York“, „Das ehrenwerte Haus“ oder „Aber bitte mit Sahne“. Er selbst findet, dass „Warum nur, warum“ und „Was ich dir sagen will“ zu den „schönsten Liedern gehören, die ich komponiert habe“. Weniger bekannt ist, dass er 1960 für Shirley Bassey (77) den Welthit „Reach for the Stars“ und für Sammy Davis Jr. (1925-1990) „If I Never Sing Another Song“ geschrieben hat.

In einem Interview mit der „Zeit“ sagte er: „Das Tolle an Liedern ist, dass sie immer aus Text und Musik bestehen, Hirn und Herz ansprechen. Oft stört der Text die Musik oder umgekehrt. Wenn aber ein guter Text und die passende Musik zusammenkommen, dann löst das die stärksten Emotionen aus.“

Das gelang ihm bei seinem großen Hit „17 Jahr, blondes Haar“. Seine uneheliche Tochter Sonja glaubt, dass er das Lied für ihre Mutter geschrieben hat. „Ich bin sicher, mein Vater hat damit meine Mutter gemeint. Er fand sie unglaublich schön, Typ Brigitte Bardot“, sagte die 48-jährige dem Magazin „Focus“, „aber es wurde nur eine Affäre daraus, ich kam zur Welt – er blieb bei seiner Frau Panja und meinen Halbgeschwistern Jenny und Johnny.“


Seine Heimat


Udo Jürgens wurde in Klagenfurt geboren und wuchs auf dem elterlichen Schloss Ottmanach in Kärnten auf. Obwohl seine Familie aus Deutschland stammt, war er Österreicher; seit 2007 besaß er auch die schweizerische Staatsbürgerschaft, weil er überwiegend in Zürich lebte. Über sein Heimatland sagte Jürgens der „Welt“: „Österreich ist ein unglaublich kreatives Land, in der Kultur, in der Wirtschaft, auf allen möglichen Gebieten unglaublich begabt, aber es ist auch ein Land, das geografisch am Scheidepunkt gelegen hat, am Eisernen Vorhang, direkt an Deutschland, das hat immer politische Angst hervorgerufen.“


Seine Familie


Udo Jürgens bürgerlicher Name war eigentlich Jürgen Udo Bockelmann. Er stammte aus einer deutsch-österreichischen Bankiersdynastie. Sein Großvater Heinrich Bockelmann war deutscher Bankdirektor im zaristischen Russland, sein Vater Bürgermeister von Ottmanach. Der Onkel Werner Bockelmann regierte von 1957 bis 1964 als Oberbürgermeister die Stadt Frankfurt am Main, der andere Onkel Erwin Bockelmann war Deutschland-Chef von BP in Hamburg und Präsident des Welt-Erdölkongresses. Und Jonny Bockelmann, ein weiterer Onkel, war ebenfalls Mineralöl-Industrieller. Der berühmte Dadaist Hans Arp war sein Onkel mütterlicherseits, und Udos älterer Bruder Manfred Bockelmann (71) ist ein bekannter Fotograf und Maler. Udo hat die Geschichte seiner Familie in seinem Roman „Der Mann mit dem Fagott“ beschrieben, der für das Fernsehen verfilmt wurde (2011).


Seine Frauen


Sein ganzes Berufsleben lang haben ihn Frauengeschichten begleitet, daraus machte er keinen Hehl: „Ich habe mich immer sehr schnell verliebt. Deswegen bin ich in höchstem Maße gefährdet, wenn ich eine tolle Frau kennenlerne, weil es in einer Sekunde um mich geschehen sein kann. Das passiert mir wahrscheinlich schneller als vielen anderen. Da hat es strohfeuermäßig gebrannt.“ Treu sein, das könne er nicht. „Ich weiß, dass das meiner Umwelt auch große Probleme bereitet hat. Immerhin habe ich es immer zugegeben. Untreue ist ja nicht nur eine Frage des Charakters, sondern Untreue ist vor allen Dingen eine Frage der Chancen.“

In erster Ehe war er von 1964 bis 1989 mit dem ehemaligen Model Erika Meier, genannt Panja, verheiratet. Sie bekam seinen Sohn John (geb. 1964) und seine Tochter Jenny (geb. 1967). Aus anderen Beziehungen entstammen seine Kinder Sonja (48) und Gloria (18). 1999 heiratete er seine langjährige Lebensgefährtin Corinna Reinhold aus Mönchengladbach-Rheydt. Diese zweite Ehe wurde 2006 geschieden.


Seine Freunde


„Wenn es wirklich um die Seelenverwandten geht, also um die, bei denen man keine Fragen stellen muss, man nicht zweifelt, ob sie einen nicht doch vielleicht hintergehen, bleibt gerade mal eine Handvoll übrig, und das ist wahrscheinlich auch gut so“, sagte Jürgens einst zu „Welt Online“. Zu diesen Freunden zählten Senta Berger (73), der ehemalige deutsche Außenminister Hans-Dietrich Genscher (87), sein Bruder Manfred Bockelmann, der Fotograf Hansi Hoffmann, sein Manager Freddy Burger, sein Schweizer Orchesterleiter Pepe. Außerdem der im September verstorbene Blacky Fuchsberger (1927-2014), der für ihn die Texte zu den Erfolgssongs „Was ich dir sagen will“, „Der große Abschied“, „Schau es schneit“ und „Dann kann es sein, dass ein Mann auch einmal weint“ geschrieben hat.

Eine enge Freundschaft musste eine harte Bewährungsprobe durchstehen: 17 Jahre war Hans R. Beierlein (85) der Manager von Udo Jürgens. Er machte ihn zum großen Star. Beierlein sagte einmal in „Bild“: „Wir waren wie die Brüder. Udo und ich haben uns viel geteilt: den Erfolg, die Probleme – und manchmal auch die Frauen.“ Doch dann zerbrach die Freundschaft, und Udo verklagte Beierlein auf die Rückgabe der Rechte an seinen Hits. Es folgte eine Eiszeit. Doch beide versöhnten sich wieder und Beierlein ließ an seinem 80. Geburtstag wissen: „Ich bin froh und glücklich über diese wunderbare Freundschaft.“


Seine Gedanken über das Alter


Udo Jürgen sagte stets, er wisse durchaus, wie alt er sei. „Ich mache kein Geheimnis daraus, und ich versuche nicht, durch alle möglichen Tricks jünger zu erscheinen.“ In einem Gespräch mit der „Berliner Morgenpost“ erklärte er: „Es wird einem irgendwann bewusst, dass jeder Tag eine Verkürzung ist. Man sieht links und rechts im Freundeskreis die schweren Erkrankungen, die mit dem Alter begünstigt werden. Schon eine Grippe ist mit 80 lebensgefährlich. Das sind natürlich die Dinge, die einen ängstigen. Man wird vorsichtiger. Bei mir sind es, Gott sei Dank, bisher nur Wehwehchen“, sagte er.

„Das Älterwerden ist auch eine Kopfsache. Dass man sich dem im Kopf stellt und es nicht leugnet, ist ganz wichtig. Aber wenn ich auf der Bühne stehe, ist der Unterschied zu früher nicht groß. Meine Stimme funktioniert genauso gut wie früher.“ Deswegen ging er mit seinem neuen Album „Mitten im Leben“ auch wieder auf Tournee: Vor seinem Tod konnte er nochmal in 26 Städten das Publikum mit seiner Musik verzaubern.