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Wenn Menschen überhaupt keine Gefühle zeigen können

Wenn Menschen überhaupt keine Gefühle zeigen können

So wird man Gefühlsblinde nicht sehen. Sie können ihren eigenen Empfindungen nur sehr schwer Ausdruck verleihen. Fotos: imago
So wird man Gefühlsblinde nicht sehen. Sie können ihren eigenen Empfindungen nur sehr schwer Ausdruck verleihen. Fotos: imago

Greifswald. Ein charmantes Kompliment entlockt uns ein Lächeln, beim Abschied von einer geliebten Person schießen uns dagegen Tränen in die Augen. Es gibt aber auch Menschen, die das nicht können. Sie sind gefühlsblind. Sie können weder ihre eigenen Gefühle zeigen noch die Emotionen anderer deuten.

Ein charmantes Kompliment entlockt uns ein Lächeln, beim Abschied von einer geliebten Person schießen uns dagegen Tränen in die Augen. Solch emotionalen Regungen mögen für viele selbstverständlich sein, alexithymen Menschen sind sie fremd. Denn die sogenannten Gefühlsblinden können weder ihren eigenen Empfindungen Ausdruck verleihen, noch sind sie in der Lage, die Gefühlsregungen anderer korrekt zu deuten. «Einen Satz wie ‚Ich freue mich‘ hört man von einem Alexithymen fast nie», berichtet Professor Hans-Jörgen Grabe, Psychiater an der Uni Greifswald.

Wo andere Menschen ihren Emotionen wie Wut, Trauer oder Freude freien Lauf lassen, verziehen Gefühlsblinde oft kaum eine Miene. «Auf Außenstehende wirkt ihr Verhalten meist distanziert und kalt», erklärt Christa Roth-Sackenheim, Vorsitzende des Berufsverbands Deutscher Psychiater. Dies ist allerdings kein Zeichen antrainierter Beherrschtheit oder Coolness, sondern Ausdruck eines chronisch gestörten Gefühlshaushalts.

Offiziell keine Krankheit

Obwohl die Gefühlsblindheit offiziell nicht als Krankheit gilt, beschäftigt das Phänomen Psychologen und Psychiater seit langem. Rund ein Zehntel der Menschen in Deutschland gilt als alexithym. Körperliche Signale, die sich normalerweise in Emotionen entlüden, nähmen Alexithyme lediglich als rätselhaften körperlichen Erregungszustand wahr, sagt Grabe. In ihren Erzählungen wimmelt es von Daten und Fakten, Gefühle oder persönliche Einschätzungen kommen hingegen kaum vor. Zudem sind Gestik und Mimik bei Alexithymen oft schwach ausgeprägt, sie sind wenig phantasiebegabt und nehmen emotionale Ausbrüche anderer mit unerschütterlicher Gleichmut zur Kenntnis.

Den Gefühlsblinden selbst ist ihr Defizit in der Regel kaum bewusst. «Viele leben in gesellschaftlichen Nischen, in denen ihre Besonderheit nicht weiter auffällt», erklärt Roth-Sackenheim. So wählten sie zum Beispiel technische Berufe, in denen der Kontakt mit Menschen keine Rolle spiele und mieden das öffentliche Leben. Nur im Zusammenleben mit engen Angehörigen wird mitunter der Mangel an emotionaler Wärme zum Problem. «Partner oder Kinder leiden dann zum Beispiel darunter, dass sie nie umarmt werden oder selten ein nettes Wort hören», sagt Grabe.

Gründe schweben im Unklaren

Die Gründe der Gefühlsarmut sind nach wie vor nicht eindeutig geklärt. Forscher vermuten sowohl genetische Ursachen als auch Entwicklungsdefizite. Wer in der Kindheit zum Beispiel im Kontakt mit seinen Eltern nicht gelernt habe, mit Gefühlen umzugehen, entwickle nicht die Fähigkeit, seine eigenen Gefühle gut wahrzunehmen, sagt Grabe. Neurologen fanden überdies Hinweise darauf, dass bei Alexithymen emotionale Reize im Gehirn nicht korrekt weitergeleitet werden, wie Roth-Sackenheim berichtet. Untersuchungen mit Kernspintomographen ergaben demnach, dass sich in Hirnregionen, in denen Emotionen gesteuert werden, kaum etwas regt, wenn Alexithyme Fotos mit lächelnden oder wütenden Gesichtern sehen.

In ärztliche Behandlung begeben sich Alexithyme nach Grabes Erfahrung nur, wenn sie von Angehörigen gedrängt werden oder andere Beschwerden entwickeln. Die Persönlichkeitsstörung erhöhe das Risiko für psychische Leiden wie Depressionen oder «Burn-Out»-Zustände, weil Alexithyme eine schlecht ausgeprägte Fähigkeit hätten, Stress zu bewältigen, erläutert der Psychiater. Überdies neigten sie auch eher zu körperlichen Erkrankungen wie Bluthochdruck oder Gefäßverkalkung.

Ankreuztest mit 20 Fragen

Zentrales Instrument für die ärztliche Diagnose ist nach wie vor ein Ankreuztest mit 20 Fragen, die «Toronto-Alexithymie-Skala». Patienten müssen hier Aussagen wie «Mir ist oft unklar, welche Gefühle ich gerade habe» oder «Wenn mich etwas aus der Fassung gebracht hat, weiß ich oft nicht, ob ich traurig, ängstlich oder wütend bin» auf einer Skala bewerten. Wer den Test mit mehr als 60 Punkten abschließt, gilt als alexithym.

Die Möglichkeiten zur Behandlung sind derweil begrenzt. In Frage komme unter anderem eine Psychotherapie in der Gruppe, erläutert Grabe. Denkbar sei etwa, dabei bestimmte Emotionen zu provozieren und sie danach intensiv zu besprechen. Heilbar sei das emotionale Defizit allerdings nicht, sagt der Psychiater: «Alexithyme müssen sich den Zugang zu ihren Gefühlen mit therapeutischer Unterstützung hart erarbeiten.» (ddp)

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