Veröffentlicht inPanorama

Was Sie tun können, wenn die Kasse das Pflegegeld verweigert

Was Sie tun können, wenn die Kasse das Pflegegeld verweigert

urn-newsml-dpa-com-20090101-140123-99-04900_large_4_3.jpg
Immer mehr Demenzkranke, zu wenig Pflegekräfte - der Reformbedarf in der Altenpflege ist groß. Foto:  Angelika Warmuth
Ob und wie viel Geld bei Pflegebedürftigkeit bezahlt wird, entscheidet der Medizinische Dienst der Krankenkassen. Doch jeder dritte Antrag auf Pflegeleistungen wird zunächst abgelehnt. Deswegen sollte der Hausbesuch der Gutachter gut vorbereitet werden. Was Sie wissen müssen.

Essen. 

Christa Becker hatte Glück im Unglück. Nachdem die fast 80-Jährige, schwer verwirrte Frau mitten in der Nacht zu Hause ausgebüxt war, griff sie die Polizei auf. Da die Beamten weder ihren Namen noch ihre Angehörigen auf die Schnelle ermitteln konnten, brachten sie die demenzkranke Frau ins Krankenhaus. Dort ging dann alles ganz schnell: Frau Becker wurde behandelt und nach wenigen Tagen schon kam ein Gutachter des Medizinischen Dienstes (MDK) der gesetzlichen Krankenkassen vorbei. Schwestern, Ärzte und gut vorbereitete Kinder hatten keine Mühe, den Gutachter zu überzeugen: Christa Beckers Alzheimer-Erkrankung erfordert einen erheblichen Pflegeaufwand, der MDK sagte wenige Tage nach der Erstbegutachtung problemlos Pflegestufe II zu.

Glück im Unglück also für die Beckers – wenigstens die finanzielle Unterstützung aus der Pflegekasse war nach dem Schock gesichert. Dass alles so glatt läuft mit dem MDK, ist indes nicht selbstverständlich. Wer für sich selbst oder Angehörige finanzielle Leistungen aus der Pflegekasse beantragt, hat es oft schwer – und bisweilen mit nervenaufreibenden bürokratischen Hürden zu kämpfen. Jeder dritte Antrag auf Pflegebedürftigkeit wird in der ersten Runde abgelehnt. Deshalb ist es wichtig, den Besuch des MDK-Gutachters gut vorzubereiten. Das gilt insbesondere für Hausbesuche.

Die Gutachter haben einen gewissen Ermessensspielraum

Zu Hause stehen einem eben nicht, anders als bei den Beckers, Ärzte und Pfleger als glaubhafte Zeugen zur Seite, die dem MDK ein realistisches Gesamtbild der Pflegesituation vermitteln können. Der Gutachter muss sich selbst in kürzester Zeit ein Bild machen, und dafür bleibt – bei rund 1,5 Millionen Begutachtungen der Medizinischen Dienste pro Jahr – nur wenig Zeit.

Die einzelnen Gutachter haben zwar einen gewissen Ermessensspielraum, im Wesentlichen aber prüfen sie den Grad der Pflegebedürftigkeit anhand eines standardisierten Fragebogens. Dieser dient den Pflegekassen als Grundlage für die Einordnung der Pflegestufe. „Das Gutachten hat damit entscheidenden Einfluss auf die Höhe der Pflegeleistungen“, erläutert die Verbraucherzentrale NRW.

Der MDK bekommt bei seiner Kurzvisite nur eine Momentaufnahme

Die Krux bei der Sache: Bei der Ermittlung des Pflegebedarfs werden nur ganz bestimmte „Hilfebedarfe“, so genannte Katalog-Verrichtungen, zugrunde gelegt. Dazu gehören Hilfen für die Körperpflege (Waschen, Toilette), beim Essen (Kleinschneiden, Nahrung reichen) oder die Unterstützung beim Zubettgehen, Aufstehen oder Ankleiden. Kurz: Im Mittelpunkt des Gutachtens stehen motorische Störungen, die zum Beispiel in der frühen Phase einer Demenz-Erkrankung noch nicht die entscheidende Rolle spielen. Ob jemand nachts wegläuft, im Straßenverkehr gefährdet ist oder seine Schuhe im Kühlschrank aufbewahrt, spielt für die Ermittlung der Pflegestufe keine Rolle.

Das hat erst dann Einfluss, wenn sich die Verwirrung erkennbar auf die „verrichtungsbezogenen Tätigkeiten“ auswirkt. Problem: Der MDK-Gutachter bekommt bei seiner Kurzvisite immer nur eine Momentaufnahme; und wie gut sich alte Menschen in solchen Situationen zusammenreißen können, davon wissen Angehörige ein Lied zu singen. Plötzlich klappt alles sehr gut, und Mutter putzt sich sogar auch wieder mit großer Geschicklichkeit die Zähne.

Deshalb: „Je besser sich der Antragsteller auf den Besuch des Gutachters vorbereitet, umso größer ist die Chance auf ein Gutachten, das dem tatsächlichen Pflegebedarf entspricht“, rät die Verbraucherzentrale. So sollte für mindestens zwei Wochen lang ein Pflegetagebuch geführt werden. Dort müssen die Zeiten notiert werden, welche für die Katalog-Verrichtungen wie Waschen, Essen und auch hauswirtschaftliche Arbeiten wie Kochen und Einkaufen benötigt werden. Der MDK orientiert sich zwar an Richtzeiten für die einzelnen Arbeiten. Jedoch kann man, wenn der Zeitaufwand tatsächlich höher ist, mit guter Begründung auch Zeitzuschläge heraushandeln. Etwa bei Gelenkversteifungen oder anderen Gebrechen, die mehr Zeit für die Pflege nötig machen.

Der Zeitaufwand für die Pflege ist der wichtigste Punkt für die Pflegekasse: Er entscheidet darüber, ob und welche Pflegestufe es gibt. So beginnt die „erhebliche Pflegebedürftigkeit“ in Pflegestufe I, wenn ein Mensch am Tag im Schnitt mindestens 90 Minuten Hilfe benötigt; wenigstens 46 Minuten davon müssen auf mindestens zwei Verrichtungen der Grundpflege wie Waschen und Essen entfallen. Zur Vorbereitung des MDK-Besuchs gehört es unbedingt auch, alle Unterlagen und Dokumente bei der Hand zu haben, die den Pflegeaufwand erläutern – von Ärzten, Pflegern oder einem ambulanten Pflegedienst. Am besten ist, wenn Pflegepersonal oder Mitarbeiter eines Pflegedienstes bei dem Termin anwesend sind. Sie können ein große Hilfe sein, um den Gutachter zu überzeugen.

In einem zusätzlichen Fragebogen prüft der MDK, ob auch eine „Einschränkung der Alltagskompetenz“ vorliegt – ob etwa mit einem „unkontrollierten Verlassen der Wohnung“ zu rechnen ist oder „eine Störung des Tag-/Nacht-Rhythmus“ vorliegt. „Werden bei der Begutachtung wenigstens zwei dieser Kriterien erfüllt“, erläutern die Verbraucherschützer, „besteht ein Anspruch auf Leistungen der Pflegeversicherung – selbst dann, wenn keine Pflegestufe vorliegt“. Demenzkranke ohne Pflegestufe, die zu Hause versorgt werden, haben seit 2013 Anspruch auf Pflegesachleistungen und Pflegegeld.

Der Widerspruch – So können Sie sich wehren

Nach dem Gutachtertermin hat die Pflegekasse fünf Wochen Zeit, das Ergebnis der Prüfung mitzuteilen. Ist der Antragsteller im Krankenhaus, in einer Reha-Einrichtung oder sogar schon in einem Hospiz, verkürzt sich die Frist auf eine Woche. Angehörige, die Pflegezeit oder Familienpflegezeit beantragt haben, dürfen binnen zwei Wochen mit einer Antwort der Kasse rechnen.

Scheitert der Antrag trotz guter Vorbereitung doch oder ist man mit der Einstufung der Pflegebedürftigkeit nicht einverstanden, können gesetzlich Versicherte einen Monat lang Widerspruch bei der Kasse einlegen. Das sollte man unbedingt tun, raten Experten. Denn bei der Einstufung der Pflegebedürftigkeit gibt es Ermessensspielräume. Manchmal scheitert ein Antrag an nur wenigen Minuten Pflegeaufwand. Tipp: Lassen Sie sich deshalb unbedingt eine Kopie des Pflegegutachtens schicken, damit Sie sehen, woran genau der Antrag gescheitert ist.

Für Privatversicherte bleibt nur der Weg zum Sozialgericht

„Erst wenn Sie das Pflegegutachten vorliegen haben, können Sie daraus die Begründung für den Widerspruch ableiten“, empfiehlt die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen. In den meisten Fällen wird der Medizinische Dienst nach Prüfung der Einwände ein neues Gutachten anfertigen. Die Aussichten stehen gut, dass die zweite Runde erfolgreicher ist. Bei dem Widerspruch kann man sich auch von einer Verbraucherzentrale helfen lassen. Stellt sich die Pflegekasse weiter quer und Sie fühlen sich im Recht, steht einen Monat lang der Klageweg beim Sozialgericht offen.

Für Privatversicherte läuft das Verfahren anders: Hier gibt es keinen Widerspruch bei der Versicherung, nur den direkten Klageweg beim Sozialgericht. „Einige Gesellschaften überdenken ihre Entscheidung aber, wenn Versicherte mit dem Klageweg drohen“, haben die Verbraucherschützer beobachtet.