Vor 125 Jahren wurde Charlie Chaplin geboren, der erste Weltstar des Kinos. Das Werk des Schauspielers und Regisseurs wird noch heute gefeiert, als Person war er nie unumstritten.
Essen.
Marlon Brando hat ihn verehrt. Charlie Chaplin, glaubte er, sei der „talentierteste Mann, den das Kino je hervorgebracht“ habe. Bis er zum ersten Mal mit ihm drehte. Das war 1972 in „Die Gräfin von Hongkong“. Danach befand Brando: Dieser Mann sei der „sadistischste Mensch“, den er je getroffen habe.
Sir Charles Spencer Chaplin, der heute vor 125 Jahren in London geboren wurde, war ein Perfektionist. Einer, der als Schauspieler unerbittlich an sich arbeitete; einer, der als Regisseur in den Nächten zwischen den Drehtagen nicht schlief, weil er lieber an Szenen feilte; einer, der für „Der Einwanderer“ 30.000 Meter Film verdrehte – das Fünfzigfache des später veröffentlichten Materials. „Filmemacher sollten bedenken“, erklärte er seinen Eifer, „dass man ihnen am Tag des Jüngsten Gerichts ihre Filme wieder vorspielen wird.“
Charlie Chaplin – Phänomen, Tramp und Frauenheld
Chaplin, das Phänomen. Der kleine Mann mit den strahlend blauen Augen war der erste Weltstar des Kinos, ein Tom Cruise der Stummfilmzeit. Welcher Ruhm ihm einst beschieden sein würde – als Kind ahnte er es sicher nicht. Die Eltern trennten sich kurz nach seiner Geburt. Der Vater, ein Alkoholiker, starb früh, die Mutter, eine depressive Sängerin, verbrachte mehr Zeit in Sanatorien als mit Charlie.
Zum ersten Mal stand der mit fünf auf der Bühne. Da war er eingesprungen, weil das Publikum seine Mutter davongejagt hatte. 1906 offerierte ihm Fred Karno, ein bekannter Impresario, für den auch Stan Laurel („Dick & Doof“) arbeitete, den ersten festen Vertrag. Elf Jahre später war er der begehrteste Schauspieler Hollywoods. Der erste, dem eine Filmgesellschaft eine siebenstellige Gage zahlte. 1919 gründete er seine eigene: United Artists. Doch noch als Millionär wohnte er in billigen Absteigen. Das Schlimmste, was passieren könne, sagte er einmal, sei, sich an Luxus zu gewöhnen
Chaplin, der Tramp.Die Geburt jenes melancholischen Vagabunden, der in zu engem Rock und zu weiten Hosen, mit riesigen Schuhen und winziger Melone Stöckchen schwingend durchs Leben tanzte, war Chaplins genialster Coup.
1914 erfand er die Figur, mit der er zeitlebens identifiziert wurde; in aller Eile hatte er sich das Kostüm aus dem Studio-Fundus zusammengeklaubt. Jener ziel- und heimatlose Habenichts, dem nichts heilig war, der das Absurde des Alltäglichen entlarvte, der einen gekochten Schuh verspeiste oder vom Fließband verschluckt wurde, das war der Charlie, den man in aller Welt liebte. Weil man ihn verstand, ohne dass er ein Wort sprach.
Weshalb Chaplin noch Stummfilme drehte, als der Ton für den Film längst etabliert war. Das Kino, sagte er, sei eine pantomimische Kunst. Und Worte billig: „Das größte, was man sagen kann, ist Elefant!“
Chaplin, der Frauenheld.Besser: der Mädchenheld. Denn kaum eine, die seinem eher dubiosen als betörenden Charme verfiel, war älter als 17. „Sie tragen ein wunderschönes Kleid. Ich werde Ihnen vorsichtig heraushelfen“, soll er gesagt haben, als man ihm die 15-jährige Lita Grey vorstellte.
Auch Oona O’Neill, Chaplins vierte Ehefrau, war bei der Hochzeit 1943 erst 17, Charlie 54. Doch diese Beziehung hielt. Acht gemeinsame Kinder hatte das Paar, bei der Geburt des jüngsten Sohnes war Chaplin 73.
Chaplin, der Jude. Dass er einer sei, war nur ein Gerücht – das er jedoch nie dementierte. Das wäre ihm, dem Pazifisten, wohl wie Feigheit vor dem Feind vorgekommen. Sicher ist jedoch, dass Hitler ihn zutiefst hasste. Erst dessen Reichsminister und Vertrauter Albert Speer räumte 1975 mit der Legende auf, „der Führer“ habe vor Wut in den Teppich gebissen, nachdem er „Der große Diktator“ gesehen habe. Das sei nicht wahr, sagte Speer einem amerikanischen Journalisten. Zwar habe die UFA tatsächlich in Portugal eine Kopie des Films besorgt. Doch niemand habe gewagt, sie Hitler zu zeigen.
Chaplin, der Kommunist.Auch das war er nicht. Aber den Kommunistenjägern um McCarthy genügten ein antikapitalistischer Film wie „Moderne Zeiten“, ein Interview, in dem Chaplin Hollywood den Krieg erklärte und sein Lebenswandel natürlich, um ihn unamerikanischer Aktivitäten zu bezichtigen – und vorzuladen. Seltsamerweise wurde der Termin dreimal verschoben, fand schließlich nie statt. Vielleicht weil Chaplin erklärt hatte, er werde im Tramp-Kostüm erscheinen?
FBI-Chef Hoover, Chaplins ärgster Feind, fand dennoch einen Weg, sich des unbequemen Stars zu entledigen. Er ließ Chaplin 1952 nach einem kurzen Europatrip die Wiedereinreise in die USA verweigern. Bis zu seinem Tod am 25. Dezember 1977 im schweizerischen Vevey litt Chaplin unter dieser Schmach.
„Ich würde nicht in die USA zurückkehren, selbst wenn Jesus dort Präsident geworden wäre“, soll er erklärt haben. Tatsächlich kehrte er doch noch einmal zurück. Im Triumph, als man ihm 1972 in Los Angeles den Oscar für sein Lebenswerk verlieh. Bis heute wurde niemand länger gefeiert. Fünf Minuten applaudierte das Publikum dem kranken, alten Mann – stehend.
„Die Gräfin von Hongkong“ übrigens war der einzige Chaplin-Film, der an den Kinokassen floppte. Mit einem Mann wie Brando zusammenzuarbeiten, erklärte Chaplin, sei einfach unmöglich.