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Nicola Haardt

Nicola Haardt

INicola Haardt
INicola Haardt Foto: Foto: Josef Wronski/IKZ

Eigentlich hatten wir ja fest damit gerechnet, dass sie mit ihrem Fahrrad kommt. Schließlich ist der Weg von Bochum nach Iserlohn nur ein Katzensprung verglichen mit der Strecke, die Nicola Haardt bei der längsten Tour ihres Lebens zurückgelegt hatte. Doch diesmal kam sie mit der Bahn, um im aus allen Nähten platzenden Fanny-van-Hees-Saal über die fantastische Radtour Richtung Osten zu berichten. Riesig ist das Interesse an ihrem Abenteuer, zu dem die junge Frau im Jahr 2005 aufgebrochen war. Doch bevor sie vor ihr gespanntes Publikum tritt, treffen wir Nicola Haardt zum Interview im Wichelhovenhaus.

Mit ihrem sympathischen Lachen, den wachen, neugierigen Augen fängt einen diese Frau gleich ein. Langes „warm werden“ für unser Gespräch braucht es da nicht, und schließlich hat sie die auch nicht kurz vor ihrem „Auftritt“, bei dem sie über ihre Erlebnisse auf dem Weg zwischen Bochum, tief im Westen, und dem Baikalsee, tief im Osten, berichten will. „Tief im Osten“ – so lautet auch der Titel ihres Diavortrags, mit dem Nicola Haardt seit gut fünf Jahren durch Deutschland tourt und dabei überall auf Menschen trifft, die fasziniert sind von ihrer Geschichte und immer wieder die selbe Frage stellen: Wie kommt man nur auf diese verrückte Idee, ganz allein – „und dann noch als Frau“ – mit dem Fahrrad eineinhalb Jahre unterwegs zu sein und dabei gut 20 000 Kilometer zurückzulegen?

INicola Haardt
Nicola Haardt
Foto: Josef Wronski/IKZ

„Es war schon immer mein Wunsch, eine lange Radtour zu unternehmen“, erzählt Nicola Haardt, die für ihren Iserlohn-Besuch natürlich das original „Baikal“-T-Shirt übergestreift hat. Aus immer wieder neuen Gründen habe sie die Umsetzung ihrer Idee aber immer wieder verschoben, stets neue Ausreden gefunden, um nicht losfahren zu müssen. „Bis eines Tages dann mein Fahrrad gestohlen wurde und ich mir ein neues Trekking-Rad kaufte.“ Auch beruflich war die Landschaftsplanerin zu dieser Zeit, im Frühjahr 2005, nicht „verplant“, und das nötige Kleingeld für die Reise hatte sie ebenfalls angespart.

In welche Richtung es gehen sollte, war für die damals 34-Jährige sonnenklar: Immer gen Osten nach Russland. „Während meines Studiums habe ich ein Praktikum in Kirgistan absolviert und mich in Land und Leute verliebt“, sagt Nicola Haardt, und ihre Augen glänzen. „Die Mentalität der Menschen ist toll, es ist ein riesiges Land mit verschiedenen Völkern – einfach unheimlich spannend.“ Das Ziel Baikal-See setzte sie sich, „weil ich einen markanten Punkt brauchte, den ich innerhalb einer Vegetationsperiode erreichen könnte. Und diesen großen See konnte ich einfach nicht verfehlen.“

Als die junge Abenteurerin dann ihr Visum in den Händen hielt, gab es kein Zurück mehr: „Mir war gar nicht klar, wie lange meine Reise tatsächlich dauern würde, ich hatte ungefähr ein halbes Jahr veranschlagt.“ Vier Satteltaschen und eine Lenkertasche wurden gepackt, Schlafsack, Iso-Matte und Zelt am Drahtesel vertaut. Mehr brauchte sie nicht. „Das Zelt wurde mein Zuhause, eine feste Unterkunft oder gar ein Hotel kam nicht in Frage – zu teuer.“ Auf ein spezielles Fitnessprogramm zur Vorbereitung der Mammut-Radtour hatte sie verzichtet – man trainiert doch beim Fahren, lautetet ihre Devise. „Ich habe langsam angefangen, obwohl ich mich zusammenreißen musste, nicht gleich Vollgas zu geben. Nach ungefähr zwei Wochen hatte ich dann meinen Rhythmus gefunden und mich an die körperliche Anstrengung gewöhnt.“

Sechs Monate dauerte der Hinweg und je weiter sie Richtung Osten fuhr, umso einsamer wurde ihre Reise. „Das hatte aber auch seine Vorteile“, sagt Nicola Haardt. Denn die immer seltener werdenden Begegnungen mit Menschen wurden dafür umso intensiver. „In Zentralasien war ich eine echte Exotin, denn dort gibt es keine Radtouristen.“ Gefährliche Situationen hat die allein radelnde Frau bei ihrer Expedition nicht erleben müssen. Im Gegenteil: „Wenn neugierige Männer erfuhren, dass ich mit dem Rad aus Deutschland komme, bekamen sie echt Respekt vor mir und meiner Leistung. Und außerdem entsprach ich mit meinem Outfit nicht unbedingt dem gängigen Schönheitsideal mit High Heels und so“, sagt sie und schmunzelt. Es sei eher ein Bonus gewesen, dass sie sich als Frau ganz allein in dieses Wagnis begeben habe. „Man half mir sogar über eine Grenze zu kommen, die damals gar nicht von Radfahrern passiert werden durfte.“

Und überhaupt: Es sei dort in Russland gar nicht so gefährlich, wie oft behauptet wird. Und die Menschen in Russland hätten sie mit unglaublicher Gastfreundschaft empfangen und gespannt ihrer Geschichte zugehört. „Man kann kaum zurückgeben, was die Menschen einem dort geben,“ musste die Reisende feststellen: „Je ärmer die Menschen waren, desto mehr Herzlichkeit brachten sie mir entgegen.“

 

Das schlimmste an ihrer Reise sei etwas ganz anderes, viel kleineres gewesen: „Die Mücken waren nicht zu ertragen. Da hilft auch kein Spray, wenn sie in Schwärmen über einen herfallen und kaputt stechen.“

Ein halbes Jahr nach ihrem Start in Bochum, nach einer Reise über mehr oder minder gute Straßen, bei der sie ihr Fahrrad nie im Stich gelassen hat und nur einmal ein Felgenschaden zu reparieren war, mit mit vielen neuen Erfahrungen im Gepäck und überglücklich, ihr Ziel tatsächlich erreicht zu haben, erblickte Nicola Haardt schließlich den Baikal-See. „Ich war so glücklich, dass ich zwei Wochen lang nur vor Freude geheult habe oder mit einem dicken Grinsen im Gesicht durch die Gegend lief.“

Die sprichwörtliche, russische Gastfreundschaft durfte sie jetzt genießen. „Ich habe einen russischen Geschäftsmann kennen gelernt, bei dem ich wohnen durfte. Er war viel unterwegs, gab mir einfach seinen Schlüssel und sagte ,bis bald’“, sagt Nicola Haardt. Sie habe auf ihrem Weg zwar so viele tolle Erlebnisse gehabt, der Baikal aber habe sie „total umgehauen“. Dazu kam der schöne sibirische Winter mit blauem Himmel und trockener Kälte, und so blieb die Bochumerin fast ein halbes Jahr dort, lebte in einer deutsch-russischen Wohngemeinschaft zusammen mit Igor und Ludmilla in Irkutsk und lernte die Sprache jeden Tag ein bisschen mehr.

Hier reifte dann der Gedanke, auch den Rückweg nach Deutschland mit dem Fahrrad anzutreten. „Obwohl ich dann ab und zu mal mit dem Bus gefahren oder getrampt bin. So wurden aus den geplanten sechs Monaten gut anderthalb Jahre, die Nicola Haardt auf Reisen mit ihrem treuen Fahrrad war. „Wir sind aneinander gewachsen“, sagt sie, noch nicht einmal einen Platten hatte es auf den 20 000 Kilometern gegeben. Und sparsam sei es obendrein gewesen: „Ich habe sogar noch Geld zurück gebracht.“ Dazu kommen, Eindrücke von Landschaften und Menschen, die sie nie vergessen wird und auf rund 6000 Fotos verewigt hat.

Wenn sie auf Vorträgen von ihrer Tour berichtet, ist es so, als ginge sie noch einmal auf diese Reise: „Es macht mir unheimlich viel Freude, den Leuten davon zu erzählen.“ Und diese Freude teilen alle, die den Geschichten der sympathische Frau mit ihrer fröhlichen und packenden Ausstrahlung lauschen. Ob es auch einmal ein Buch „Tief im Osten“ geben wird, das weiß die Bochumerin noch nicht. „Aber ich habe schon angefangen ein paar Sachen aufzuschreiben“, sagt sie und packt ihre Tasche und Landkarte, um sich schnell auf den Weg zu ihrem Vortrag in der Volkshochschule zu machen.