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Trend zum Schrebergarten – aus „spießig“ ist „urban“ geworden

Schrebergärten im Trend – aus „spießig“ ist „urban“ geworden

Spießig war gestern. Die neue Generation der Kleingärtner wühlt gerne und ganz entspannt in der Erde. Sie liebt es, eigenes Gemüse zu ziehen, Komposthaufen anzulegen und ihren Nachwuchs im Grünen toben zu lassen. Gerade wenn sie in der Innenstadt wohnt. Und bezahlbar ist so ein Garten obendrein.

Dortmund. 

Miriam Rubens reißt ihren Arm hoch. Die 31-Jährige stemmt ein Bund frischer Möhren in den Himmel wie ein Rennfahrer seinen Pokal. Fehlt nur noch, dass jetzt die Champagnerdusche folgt und die junge Frau die Karotten küsst. Miriam Rubens hat Spaß – und Erfolg. In ihrer Schrebergarten-Clique feiern sie in diesen Tagen einen Erntetriumph nach dem nächsten. Möhren, Tomaten, Salat – entwickeln sich prächtig.

Spießig und altbacken? Keineswegs

Im Klischee, da gilt der Schrebergarten als Strebergarten. Als Kolonie der Haarspalter, die mit Nagelschere und Geodreieck unterwegs sind, um ihre Rabatten auszurichten. Bis sich selbst der Gartenzwerg berührt wegdreht. Spießig und altbacken soll das Wühlen in der Erde also sein? Keineswegs! „Früher war es wichtiger, dass ein Garten einen perfekten Eindruck abgibt. Steine sollten akkurat liegen, jede Blume wie gemalt aussehen“, sagt die junge Ärztin Miriam Rubens.

Doch in ihrer Generation sei es heute meist anders. In ihrem Garten heißt das Konzept: kein Stress, keine Überforderung. Da darf ein Busch vorübergehend auch mal ein paar vertrocknete Blüten tragen. „Wir haben uns entschieden, nur heimische Pflanzen anzubauen. Ansonsten soll jeder das machen, was ihm liegt. Und wenn einmal ein Kind ins Beet tritt, ist keiner böse. Wir sehen das nicht streng“, ergänzt ihre Gartenfreundin Hannah Vennemeier, 28 und von Beruf Lehrerin.

Alles natürlich in dem Spielraum, den die Kleingartenordnung eines Vereins zulässt. Denn bei aller Lockerheit sind damit auch Pflichten verbunden: Mindestens ein Drittel der Gartenfläche muss zum Anbau von Obst und Gemüse genutzt werden, es gibt Mittags- und Nachtruhe sowie Arbeitsstunden, in denen jedes Mitglied hilft, die Anlage zu pflegen. Zudem darf der eigene Garten nicht verwildern, sonst droht Ärger bei der jährlichen Begehung – oder Stress mit den Nachbarn.

Thomas Wagner, Sprecher des Bundesverbands Deutscher Gartenfreunde (BDG), stellt fest, dass das Leben zwischen Beet und Laube bei „jungen Urbanen als entspannend und trendy gilt“. Jeder kann sich davon ein Bild machen, der beispielsweise durch die Anlage „Gildenpark“ im zentrumsnahen Dortmunder Kreuzviertel spaziert. Das ist der Ort, an dem auch Miriam Rubens und Hannah Vennemeier so gerne gärtnern.

In Großstädten gibt es schon Wartelisten

Dass es junge Städter auf die eigene Scholle zieht, bestätigen die Zahlen des BDG: Mittlerweile werden 45 Prozent aller Kleingärten an Familien mit Kindern verpachtet. Vor etwa sechs Jahren habe dieser Generationenwechsel eingesetzt, hat BDG-Präsident Peter Paschke beobachtet. Er sagt: „In Großstädten ist die Nachfrage manchmal größer als das Angebot.“

So verhält es sich auch in Teilen des Ruhrgebietes und des Rheinlandes. In der Anlage Gildenpark stehen rund 15 Interessenten auf der Warteliste. Grundsätzlich ist Nordrhein-Westfalen aber ganz ordentlich mit Kleingärten bestückt. Etwa 90.000 Stück sind es laut Paschke, „eine gute Auslastung“. Noch mehr blühen die Sachsen auf: 208.000 Gärten gibt es hier.

Die beiden Gartenfreundinnen aus Dortmund haben über Beziehungen das Stück zu ihrem grünen Glück gefunden. Sie sind mit in einen Garten eingestiegen, der seit 35 Jahren im Besitz einer befreundeten Familie ist. Jetzt teilen sich fünf Erwachsene und zwei Kinder (5 und 10) die kleine Oase, die nur einen Geranienwurf entfernt von der vielbefahrenen Bundesstraße 1 liegt. „Wir sind alle berufstätig und kommen uns nicht in die Quere“, erzählt Hannah Vennemeier. Von ihren Mitgärtnern wurde sie zur Rosen- und Unkrautbeauftragten gewählt. „Es ist herrlich. Hier kann ich abschalten und runterkommen.“ Miriam Rubens sieht es ähnlich: „Ich mag es, die Pflanzen wachsen zu sehen. Wenn ich in der Erde wühle, kann ich alle Sorgen vergessen.“

Die Geschichte von den Bienchen und den Blümchen

Und dann die Stadtkinder. Sie sollen wissen, wo die Möhre herkommt. „Viele Familien nutzen einen Schrebergarten, um ihren Nachwuchs mit der Natur vertraut zu machen“, sagt Verbandspräsident Paschke. Also um zu zeigen, wie die Sache mit den Bienchen und den Blümchen so funktioniert beispielsweise. In dem Dortmunder Garten haben sie aus genau diesem Grund jetzt ein kleines, lehrreiches Insektenhotel gebaut.

Außerdem haben sie hier kürzlich Polterabend gefeiert (hat der Vereinsvorstand genehmigt), einen Komposthaufen angelegt, Tipps von dem Rentnerpaar nebenan angenommen, trotzdem aber wieder vergessen, die vertrockneten Blüten vom Busch zu schneiden . . . Plötzlich ein Star, die alte Parzelle!

Diese Kosten kommen auf den Kleingärtner zu

Die einmalige Ablöse für den Vorpächter für Gartenhaus und Pflanzen liegt laut BDG im Durchschnitt bei 3300 Euro – sie hängt stark vom Zustand der Laube ab. Die Bewirtschaftung kostet inklusive aller Ausgaben für Pflanzen und Gartengeräte rund 400 Euro jährlich. Hinzu kommen öffentliche Gebühren, etwa für die Straßenreinigung, für Abfall, Wasser, Versicherung und Strom. Unterm Strich sind die Parzellen aber auch für Menschen mit kleinem oder mittlerem Einkommen interessant.