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So fühlt sich die Heimatstadt von Frank Sinatra an

So fühlt sich die Heimatstadt von Frank Sinatra an

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imago55263528h~8f198137-204e-47e9-b622-93e73c2b292d-027.jpg Foto: imago/icon SMI
Der große Entertainer wäre am 12. Dezember 2015 ein Jahrhundert alt geworden. Anlass für uns, seine Heimatstadt Hoboken zu besuchen.

Hoboken. 

Elvis‘ ärmliches Geburtshaus in Tupelo in Mississippi ist ein Schrein, vor dem Zehntausende jährlich für die Wiederauferstehung des „King of Rock“ beten. Und an Bob Dylans erster Adresse in Duluth/Minnesota drängeln sich selbst im Winter vor Kälte bibbernde Musik-Touristen. Nur gegenüber von New York, in Hoboken, New Jersey, 415 Monroe Street, haben die Sachwalter des amerikanischen Kulturkanons so kläglich versagt, dass man geradezu melancholisch wird.

Wo das Geburtshaus von Frank Sinatra stand, der vor 100 Jahren mit ziemlich blauen Augen, abstehenden Ohren, sizilianischem Jähzorn und seltenem Swing auf den Stimmbändern zur Welt kam, lugt zwischen piefigen Vorstadthäusern eine hässliche Baulücke mit Schotterparkplatz. Wäre da nicht die lieblos in den Bürgersteig eingelassene Plakette mit dem nachgeahmten Hollywood-Stern, niemand wüsste, dass der Siegeszug des größten Sängers des 20. Jahrhunderts hier seinen Anfang nahm.

Grundstück von Sinatras Geburtshaus steht zum Verkauf

Aber zum Glück gibt es ja Frank. Frank Palmisano. Eine Type wie aus der Mafia-Serie „Sopranos“. Er wohnt seit Ewigkeiten direkt nebenan. 50 Jahre Nachbarschaft mit den Sinatras haben ihn zu einem Geheimtipp für Anekdoten werden lassen. Der alte Mann mit apulischen Wurzeln, hoch in den 80ern, empfängt am Küchentisch und erzählt gleich am Anfang einer dieser Geschichten, die kaum zu glauben sind. „Es gehört mir, ehrlich. Wenn Sie 1,5 Millionen Dollar haben, können Sie es haben. Wir haben es schon bei Ebay reingesetzt.“

Wir, das sind der alte Palmisano und seine Großfamilie, in der die liebenswürdige Tochter Liberta die Hosen anhat. Und „es“ ist d a s Grundstück, auf dem Sinatras Geburtshaus stand. Es steht seit Wochen zum Verkauf.

Elternhaus brannte 1969 ab

1969 brannte „die Bude von Marty und Dolly ab“, wie Frank erzählt, „sie war ja Hebamme, er anfangs Preisboxer und später bei der Feuerwehr“. Palmisano hat lange für Sinatras Eltern „so dies und das“ gearbeitet. Bis sie ein paar Straßen weiterzogen, in ein besseres Mittelstandsleben. „Sie waren wie Zigeuner, immer auf der Suche nach mehr.“

Palmisano blieb in seinem Kiez von „Little Italy“, kam aber selbst nach dem Tod des großen Schwerenöters und Mafiafreundes nie auf die Idee, dem musikalischen Weltkulturerbe ein Denkmal zu setzen. Und warum nicht? „Hoboken ist nicht so“, sagt Palmisano nach langem Nachdenken, „wir machen nicht so‘n Wind darum“.

Nur eine kleine Ausstellung huldigt dem großen Entertainer

Wer die graue Vorstadt in New Jersey durchstreift, aus der die gut ausgebildeten Menschen zum Geldverdienen mit der Fähre morgens über den Hudson River nach Manhattan pendeln, muss dreimal hinschauen, um auf Sinatra zu stoßen. Oder ins „Historische Museum“ an der Hudson Street gehen. Dort haben sie mit Herzblut und kleinem Budget eine Ausstellung mit Original-Fotos, Filmen, Plakaten und Devotionalien gebastelt, um dem Mann zu huldigen, der lange vor Elvis und den Beatles Teenager-Herzen zum Schmelzen brachte und in seiner Karriere über 1000 Platten besungen und 5000 Konzerte gegeben hat.

Den Rest muss man sich erwandern. Jefferson Street. St. Francis Kirche. Hier geschah im April 2016 das Malheur. Sinatra sollte eigentlich Albert heißen. Aber Taufpate Frank Garrick gab dem Priester den falschen Namen. Weil die Eltern zu arm waren, blieb die Taufurkunde unkorrigiert. In der gleichen Straße, drei Blöcke weiter, steht die schmucklose St. Ann‘s-Kirche. Beim jährlichen Ravioli-Dinner gab Frank Sinatra hier sein Gesangsdebüt.

Mutter Dolly besorgte ihrem Sprößling, der es erst als Taxifahrer, Liftboy und Zeitungsreporter versuchte, später ein Engagement in der berühmte Kapelle von Tommy Dorsey. Schon damals soll sich beim Publikum diese seltene Sehnsucht eingestellt haben, die Sinatra später mit einem einfachen Fingerschnipsen entfachen konnte, wenn wer von einsamen Nächten, ach so fernen Frauen und unglücklicher Liebe sang.

Sinatras Schullaufbahn endete mit Rauswurf

Auf dem Weg zum Hudson River, läuft man an der Joseph F. Brandt-Schule vorbei. Hier endete Sinatras Schullaufbahn nach 47 Tagen mit Rauswurf. Grund: Rowdytum. Die Ehren-Doktorwürde in Ingenieurskunst des benachbarten Stevens Instituts bekam er 1985 trotzdem. Aber danach nichts zu essen.

Dafür hatte Sinatra Leo di Terlizzi. Ein Kumpel aus der kurzen Schulzeit, der schon 1939 in der Grand Street ein Restaurant eröffnete: „Leo‘s Grandezvous“. Bis heute ist der unspektakuläre Italiener eine feste Adresse für Sinatralogen. Aus der Juke Box erklingen Alben wie „Come Fly With Me,” „Songs for Swingin’ Lovers” oder „Nice and Easy“. Auf der Karte sind „Shrimps Sinatra“ für 21,95 Dollar der Renner.

„Hier hat er regelmäßig gesessen“, sagt Grace, die Enkelin des verstorbenen Patrons, und zeigt auf das Ende der weit geschwungenen Theke. John, ein älterer Mann mit Schnäuzer, sitzt dort über einem Glas Rotwein und zeigt stolz an die Decke. Neun Bilder in Wasserfarben hängen dort. „Ergebnisse unseren Mal-Wettbewerbs zu Ehren des 100. Geburtstag.“ Alle mit dem gleichen Motiv: Ein Pepita-Hut. Eine Flasche Jack Daniel’s-Whiskey. Ein Aschenbecher. Zigaretten. Die Grundausstattung, die Frank Sinatra mit ins Grab gelegt wurde.

„Für den Fall seiner Rückkehr ist Hoboken bereit“, sagt Grace.