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Schwule und Lesben bei Daimler gründen Netzwerk

Schwule und Lesben bei Daimler gründen Netzwerk

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Foto: AP

Stuttgart. Homosexuelle Beschäftigte des Autobauers Daimler gehen an die Öffentlichkeit. Begründung: Die Geheimhaltung eines so wichtigen Lebensteils kostet zuviel Kraft, das Outing wird als Befreiung empfunden. Die Resonanz im Betrieb ist positiv. In der Führungsebene bleibt das Thema noch tabu.

Besonders anstrengend fand Johanna Kösler früher die Montage. Als sie nach Wochenenden oder Urlauben mit ihrer Lebensgefährtin ins Büro kam und flunkern musste. Die 48-Jährige ist homosexuell. Bis vor fünf Jahren wusste das niemand im Büro. Die Geheimhaltung kostete Kösler zunehmend Kraft. «Es fällt schwer, wenn man über einen Teil seines Lebens nicht sprechen kann», sagt sie. Schließlich outete sich Kösler am Arbeitsplatz, sie empfand es als «Befreiung». Nach guten Erfahrungen will sie jetzt auch andere dazu ermuntern. Sie gründete mit weiteren Homosexuellen das Schwulen- und Lesbennetzwerk bei Daimler in Stuttgart. In dieser Woche fand die Gründungsversammlung statt.

Am Band ist das Thema noch tabu

Die rund 40 Gründungsmitglieder stammen aus allen Unternehmensbereichen. Allerdings sind «deutlich weniger Leute aus der Produktion» vertreten, berichtet Kösler. Dort sei die Furcht vor Mobbing oder Diskriminierung offenbar noch stärker. Außerdem hat sich bisher noch niemand von den leitenden Führungskräften als homosexuell geoutet. «Es ist immer noch eine Karrierebremse», vermutet die Initiatorin des Netzwerks.

Diese Vermutung bestätigt Marc Lienow vom Verdi-Bundesarbeitskreis für Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender. Für Schwule und Lesben sei es «fast unmöglich, sich nach oben zu arbeiten». Um die Geheimhaltung zu wahren, tauschen sich Lienow zufolge Mitglieder von Führungsebenen aus Unternehmen in ganz Deutschland im speziellen Netzwerk «Völklinger Kreis» aus, beteiligen sich aber wenig an Zusammenschlüssen in ihren jeweiligen Firmen. Innerhalb der Kollegenschaft sei die Akzeptanz von Homosexuellen inzwischen hingegen recht gut, sagt Lienow. Vor allem in großen Unternehmen.

Positive Reaktionen

Die Initiatoren des Daimler-Netzwerks bemerken ebenfalls einen starken Wandel in der Gesellschaft, was den Umgang mit Homosexualität angeht. «In meiner Schulzeit war schwul immer negativ besetzt», berichtet Jörg Sikorski. «Da hätte ich mich nie getraut, mich zu outen.» Der Entwicklungs-Projektleiter bei Daimler tat dies Ende der 90er. Durch die Geheimhaltung «geht einfach so viel Energie flöten», sagt Sikorski. Er und Kösler können über ihr Outing am Arbeitsplatz nur «von positiven Reaktionen berichten». Kollegen und Vorgesetzte hätten ihr das Gefühl gegeben, erzählt Kösler, ihre Homosexualität sei «OK und selbstverständlich und normal».

Sikorski trifft sich schon seit mehr als zehn Jahren in einem privaten Kreis mit homosexuellen Arbeitskollegen. Jetzt wollten sie «etwas Offizielles starten». Mit ihrem Netzwerk richten sie sich nicht nur an Homosexuelle. «Wir sind Ansprechpartner für alle Menschen im Unternehmen», betont Kösler. Sie hoffe darauf, dass auch viele heterosexuelle Vorgesetzte und Kollegen zu den Treffen kommen und ein lebendiger Dialog über Homosexualität im Unternehmen entstehe. Durch den offenen Umgang mit dem Thema sollen auch andere ihr Glück mit den Kollegen teilen können wie Kösler und Sikorski: Sie haben beide ihre Lebenspartner im Sommer geheiratet und viele Glückwünsche und Geschenke aus dem Büro erhalten. (ddp)