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Martin Sheen 75 – „West Wing“ war sein großes Ding

Martin Sheen 75 – „West Wing“ war sein großes Ding

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Foto: IMAGO
„Apocalypse Now“ verhalf dem Hollywood-Schauspieler zum Durchbruch. Mehr Ehre brachte ihm aber die TV-Serie „The West Wing“. Jetzt wird Sheen 75.

Los Angeles. 

Das Bild wird man so schnell nicht los. Der nackte junge Mann, der im Delirium durch sein Hotelzimmer in Saigon taumelt, sich dreht und windet und zu Boden wirft, während die „Doors“ die Reste ihrer Untergangsode „The End“ auf der Tonspur verstreuen. Das schöne Gesicht wie im Wahn verzerrt und mit dem Blut seiner Hand verschmiert, die er sich an einem kaputt geschlagenen Spiegel verletzt hat. Martin Sheen wird 1979 weltberühmt mit der Szene, die den Irrsinn vorwegnimmt, der Francis Ford Coppolas Vietnamdrama „Apocalypse Now“ fortan durchdringt und den Zerfall des Menschlichen im Krieg so künstlerisch versinnbildlicht, dass das Hinsehen schmerzt. Ein Stück Filmgeschichte, wer wollte widersprechen?

Nur eine von Sheens mehr als 150 Rollen in Kino- und Fernsehfilmen hat ihn je an ähnliche Grenzen geführt: Als er in Terrence Ma-licks verstörendem Meisterwerk „Badlands“ 1973 den emotionslosen Herumtreiber Kit spielt, der auf der Flucht mit seiner Freundin ohne Reue tötet.

Rund 60 Mal klicktendie Handschellen

Zwei denkwürdige Auftritte, die Martin Sheen aber trotzdem nicht in den Hollywood-Olymp katapultierten: Der Mann aus Dayton, US-Staat Ohio, der heute seinen 75. Geburtstag feiert, gehört zu den Stars, die nie weg waren und deren Namen trotzdem nicht sofort genannt werden, wenn es um die Großen der Branche geht. Dabei ist er dank seiner Vielseitigkeit gefragt wie eh und je: In seiner aktuellen Fernsehserie „Grace and Frankie“ spielt er einen Anwalt, der seine Liebe zu einem Kollegen öffentlich macht und seine Frau (Jane Fonda) und die Kinder in eine Krise stürzt.

Sheen, dessen politisches Herz linksaußen schlägt, gilt privat als Verfechter der Homoehe. Ohnehin ist sein politisches Engagement beachtlich und bemisst sich nicht nur an der Anzahl seiner Festnahmen bei Protestveranstaltungen: Rund 60 Mal sollen die Handschellen bisher bei ihm geklickt haben. Wenn es um Kriege und Umweltbedrohung, Arbeiterrechte und Minderheitenschutz geht oder um das Organisieren eines Streiks, ist Sheen auch heute noch zur Stelle und geht vorneweg.

Er ist Aktivist aus Überzeugung. Seine Gage aus „Gandhi“ spendete er Mutter Teresa, es sollte kein billiger Showeffekt sein. Ärger spornt ihn eher an, die Kraft hat er seinen vier Kindern vererbt. Sohn Charlie („Two and a Half Men“) lenkt sie bekanntlich mit Vorliebe in des­truktive Bahnen.

Als Fortsetzung von James Dean mit anderen Mitteln betrat Martin Sheen in den 70ern die Filmszene, ein gut aussehender Bursche mit Babyface, ein Einzelgänger, der das Zweifelnde aufgriff, das man von Dean kannte, eher ein grübelnder Versager als ein draufgängerischer Eroberer. Ein Priester hatte Sheen Geld für die Fahrt zur Schauspielausbildung in New York geliehen: Der junge Mann, der am 3. August 1940 als Ramón Antonio Gerardo Estévez geboren wurde, war eines von zehn Kindern eines spanischen Einwanderers, die Familie lebte in armen Verhältnissen.

Glänzender Auftrittals Präsident

Längst hat Martin Sheen die nötige Gravität erreicht, um gewichtige und weltgewandte Männer zu spielen, Politiker, Anwälte, Unternehmer, große Nummern beim FBI oder der CIA. Als US-Präsident in der Fernsehserie „West Wing“ machte er zu Beginn des neuen Jahrtausends in sieben Staffeln eine ebenso glänzende Figur wie im Mehrteiler „Kennedy“ und in all den Gesellschaftsdramen, Politthrillern oder Krimis, in denen er heute noch mitspielt.

Und doch wird er uns wohl nie mehr so ins Mark treffen wie als zerrissener Captain Willard in „Apocalypse Now“. Obwohl er doch nach Steve McQueen und Harvey Keitel nur Coppolas dritte Wahl für die Hauptrolle war.

Sollte man sich mal wieder ansehen.