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Clan-Chef Abou-Chaker nach nur zwei Wochen wieder frei: Zeugen schwiegen plötzlich

Clan-Chef Abou-Chaker nach nur zwei Wochen wieder frei: Zeugen schwiegen plötzlich

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Arafat Abou-Chaker ist in Berlin festgenommen worden. Foto: imago/Olaf Wagner

Berlin. 

Nur 16 Nächte verbrachte Arafat Abou-Chaker im Gefängnis: Am Mittwoch spazierte der Chef eines berüchtigten Berliner Clans aus der JVA Berlin-Moabit.

In einer Luxuskarosse fuhr Abou-Chaker davon. Das berichtet die „Bild“.

Dabei saß der Clan-Chef in Untersuchungshaft: Gegen ihn wird wegen eines besonders schweren Vorwurfs ermittelt. Abou-Chaker soll geplant haben, minderjährige Familienangehörige des Rappers Bushido entführen zu lassen. Bushido und Abou-Chaker sind ehemalige Geschäftspartner.

Abou-Chaker: Clan-Chef wegen Körperverletzung vor Gericht

Am 15. Januar stand Abou-Chaker eigentlich wegen eines Körperverletzungsdelikts vor Gericht. Er wurde zu einer Bewährungsstrafe von zehn Monaten verurteilt. Gegen Ende des Verfahrens stürmte eine Staatsanwältin in den Raum und ließ Abou-Chaker festnehmen – wegen Verabredung eines Verbrechens und Anstiftung zu einer Entführung.

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Zwei Brüder von Arafat Abou-Chakers Schwägerin hatten den Clan-Chef zuvor belastet und die Entführungspläne bestätigt, berichtet „Bild“. Bei einer Haftprüfung machten sie dann aber plötzlich von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch.

Unter bestimmten Umständen haben Zeugen das Recht, ihre Aussagen in einem Verfahren vor Gericht oder gegenüber Ermittlungsbehörden zu verweigern. Etwa wenn sie verwandt mit dem Betroffenen sind – die beiden Zeugen sind Cousins von Arafat Abou-Chaker.

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Damit entfällt der Haftgrund: Abou-Chaker muss freigelassen werden, so „Bild„. Ermittelt wird dennoch weiter gegen ihn.

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) erklärte, es seit trotz des aufgehobenen Haftbefehls wichtig gewesen, dass Abou-Chaker „auch mal eine Zelle von innen gesehen hat“. Der GdP-Landesvorsitzende Norbert Cioma betonte, das dies nicht das Ende der Ermittlungen sei. „Wir sind uns sicher, dass die Staatsanwaltschaft engagiert dranbleibt.“

Clan-Kriminalität im Fokus

Berlin gilt neben Bremen und dem Ruhrgebiet als Hotspot der Clan-Kriminalität. Die Sicherheitsbehörden mehrerer Bundesländer haben kriminelle arabische Clans seit Monaten im Fokus. Unter anderem hat das Landeskriminalamt in Niedersachsen seinen Kampf gegen die Clans intensiviert.

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Am Donnerstag kamen in Hannover Experten zum Thema zu einem Symposium zusammen. „Die Polizei hat das Thema Clankriminalität mit absoluter Prioriatät im Blick und nimmt das Phänomen sehr ernst“, so der Präsident des LKA Niedersachsen, Friedo de Vries. „Und wir sagen auch ganz deutlich: Der Rechtsstaat wird nicht akzeptieren, dass sich bestimmte Großfamilien abschotten, nur ihren Regeln folgen, eigenes Recht gelten lassen wollen und unsere staatlichen Strukturen bewusst ablehnen.“

Einen Tag zuvor hatte es in Essen ein ähnliches Symposium gegeben. 560 Experten aus Wissenschaft und Politik waren gekommen, NRW-Innenminister Herbert Reul war ebenfalls vor Ort. Reul betonte, man werde mit großer Entschiedenheit gegen die kriminellen Libanesen-Clans vorgehen, seit Monaten verfolgen die NRW-Behörden eine „Politik der 1000 Nadelstiche“. Behörden und Ämter arbeiten dabei eng zusammen, „um den Clans das Leben schwer zu machen“, so Reul. Beinahe wöchentlich finden in Städten des Ruhrgebiets Razzien gegen Clans statt.

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Woher kommen die Clans?

  • Wenn die Rede von kriminellen Araber-Clans ist, sind meist Mitglieder von Großfamilien mit türkisch-arabischen Wurzeln gemeint. In Deutschland gehören nach Schätzungen des Bundeskriminalamts (BKA) rund 200.000 Menschen zu solchen Großfamilien.
  • Die meisten von ihnen sind nicht kriminell. Manche aber haben sich zu mafiösen Gruppierungen zusammengeschlossen, nutzen familiäre Strukturen für kriminelle Geschäfte.
  • Sie leben häufig in einer abgeschottenen Parallelwelt, erkennen staatliche Strukturen nicht an. Straftaten werden zu internen Problemen erklärt, die innerhalb der Familien von sogenannten Friedensrichtern geregelt werden.

Mhallami kamen aus der Türkei

  • Das wesentlichste Kriterium der Zugehörigkeit des Einzelnen zum Clan ist die tatsächliche familiäre Verwandtschaft. Viele stammen ursprünglich aus dem Libanon, aus Syrien, dem Irak oder der Türkei. Häufig wird dabei von Libanesen-Clans gesprochen. Gemeint sind dann kriminelle Mitglieder von Familien, die ursprünglich aus der Türkei und aus Syrien stammen. Sie gehören zu den sogenannten Mhallami, einer arabischstämmigen Volksgruppe.
  • Viele von ihnen wurden nach dem Ersten Weltkrieg aus der Türkei vertrieben und siedelten sich im Libanon an – oft fehlten ihnen die Mittel für Pässe und eine Einbürgerung. Hier lebten viele der Familien am Rand der Gesellschaft Als dort Bürgerkrieg ausbrach (1975 bis 1990), flohen viele der Familien nach Deutschland.
  • Viele haben in ihrer Fluchtbiographie gelernt, sich auf sich selbst und den Familienclan zu verlassen, wenn es ums Überleben geht. Diese Einstellung haben sie gewissermaßen importiert.

Clans: Viele Familienmitglieder haben nur einen Duldungsstatus

  • Sie kamen über Ost-Berlin in den Westen, beantragten Asyl und wurden auf verschiedene Bundesländer verteilt – vor allem nach Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Bremen. Hier gab es einen Abschiebestopp, sie erhielten als Staatenlose direkt eine Duldung und blieben im Land. Bei nicht wenigen blieb der Duldungsstatus bestehen, über Generationen.
  • Menschen mit Duldungstatus haben es auf dem Arbeitsmarkt schwer: Eine selbständige Tätigkeit ist ihnen untersagt, eine Beschäftigung als Arbeitnehmer ist nur auf Antrag und nach Zustimmung durch die Ausländerbehörde möglich. Manche Experten sehen hierin eine mögliche Ursache dafür, dass sich aus der Perspektivlosigkeit heraus kriminelle Netzwerke innerhalb der Familien gebildet haben.

(pen)