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Foodsharing – So retten Sie Lebensmittel vor der Mülltonne

Foodsharing – So retten Sie Lebensmittel vor der Mülltonne

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Foodsharing - Anja Schellberg aus Mülheim Foto: Jakob Studnar/WAZ FotoPool
80 Kilogramm Lebensmittel wirft jeder Bürger pro Jahr in den Müll. Zwei Drittel der Menge könnte vermieden werden, würden wir bewusster mit Nahrungsmitteln umgehen oder Einkäufe planen. Im Internet organisieren sich immer mehr Menschen, um Lebensmittel zu teilen. So funktioniert das Foodsharing.

Mülheim/Düsseldorf. 

Lebensmittel wegzuschmeißen fühlt sich nie gut an. Trotzdem kaufen wir oft zu viel ein, legen Dinge in den Einkaufswagen, die wir ausprobieren möchten und dann nicht mögen. Oder vergessen sie in den Tiefen unserer Küchenschränke. Teilen statt wegwerfen – das ist die Idee des Foodsharings.

„Lebensmittel sind in Deutschland sehr billig, außerdem fehlt den meisten der Bezug zum Lebensmittel und dem Produktionsprozess“, sagt Ines Rainer. Sie ist Mitbegründerin des Vereins, der hinter den Online-Portalen foodsharing.de und lebensmittelretten.de steht. Die Portale sollen Essbares vor dem Müll retten.

Keine Konkurrenz zu Tafeln

Über 50.000 Nutzer geben auf foodsharing.de Lebensmittel, die sie nicht verwenden können oder wollen, an andere Nutzer ab. Mehr als 11.000 sogenannte „Essenskörbe“ haben seit Öffnung des Portals am 12. Dezember 2012 den Besitzer gewechselt, etwa 43.300 Kilogramm Lebensmittel sind so bereits in Mägen statt Mülltonnen gelandet. Und es werden stündlich mehr. Bisher funktioniert das besonders gut in Großstädten. Dabei wollen Betreiber und Nutzer nicht in Konkurrenz zur Tafel oder anderen wohltätigen Anbietern treten.

Die Abgabe der Lebensmittel wird direkt von Mensch zu Mensch organisiert, entweder online oder über sogenannte Fairteiler: Schränke, die öffentlich zugänglich sind und von jedem bestückt und auch geleert werden können. Bedürftigkeit muss nicht nachgewiesen werden. „Hauptsache, die Lebensmittel werden gegessen, egal von wem“, sagt Ines Rainer. Außerdem dürfen auch angebrochene Packungen oder Lebensmittel, die das Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten haben, angeboten werden. „Alles, was man selbst noch essen würde, darf man auch verteilen“, so Rainer. „Und ein Joghurt ist nicht von heute auf morgen plötzlich schlecht.“

Einfach auflisten, was abzugeben ist

Das Prinzip ist einfach: Auf foodsharing.de listet man auf, was abzugeben ist – mit Mengenangabe und eventuell hilfreichen Hinweisen. Meldet sich ein Interessent, macht man einen Treffpunkt für die Übergabe aus. Geld gibt es keines.

Der Mülheimerin Anja Schellberg war die Weitergabe einzelner Lebensmittel zu wenig. Deshalb meldete sie sich zusätzlich als sogenannte Foodsaverin, Lebensmittelretterin, auf der Internetseite lebensmittelretten.de an. Vor ihrem Haus hat sie einen selbst gezimmerten Holzschrank aufgestellt, ihren „Fairteiler“. Dessen aktuellen Inhalt postet sie regelmäßig auf Facebook, denn das „Sortiment“ wechselt oft. Einzig Kühlware kann sie bislang noch nicht unterbringen – wobei es auch schon Fairteiler mit Kühlschrank gibt, etwa an der Universität in Duisburg.

Es gibt sogar Cannelloni, Babytee und Marmelade

Wer Alkohol oder Babynahrung über den Mülheimer Fairteiler weitergeben möchte, sollte sich direkt bei Anja Schellberg melden, die dann einen entsprechenden Zettel in den Schrank hängt. „Der Alkohol darf wegen des Jugendschutzes nicht frei zugänglich sein“, erklärt sie. Und auf die Babynahrung möchte sie sicherheitshalber einen zusätzlichen Blick werfen, obwohl sie die Lebensmittel im Schrank mehrfach am Tag kontrolliert.

Um die Fairteiler füllen zu können, suchen sich die Betreiber Kooperationspartner unter Markthändlern, Geschäftsinhabern und Firmen. Regelmäßig holen sie dort Lebensmittel ab, die nicht verkauft werden konnten oder die bei Betriebsfeiern oder in der Cafeteria übrig geblieben sind. Manchmal sind das nur kleine Mengen, manchmal mehrere Paletten Obst oder Gemüse. Auch heute ist der Fairteiler in Mülheim-Speldorf gut bestückt: mit Möhren, Salat, Gurke, Keksen, Schokolade, Babytee, Cannelloni und sogar selbst gemachter Marmelade.

„Teilweise scheint man uns für Schmarotzer zu halten“

In Anja Schellbergs Küche türmt sich ebenfalls Gemüse: ein Teil des Abendessens. Die Tomaten: nicht mehr ganz knackig, die Paprika: kleine Macken. Nichts, was nicht wegzuschneiden oder -schälen wäre. „Nötig“ hat die Familie die kostenlosen Lebensmittel nicht – aber das ist beim Foodsharing ohnehin zweitrangig. „Es geht um die innere Einstellung“, sagt Schellberg, „wir wollen nichts verschwenden“.

Anja Schellberg hat den Eindruck, dass es bei vielen Menschen verpönt ist, Lebensmittel „einfach so“ abzugeben, ohne ausgewiesenen „guten Zweck“. „Teilweise scheint man uns für Schmarotzer zu halten“, sagt sie vorsichtig. Dabei sei doch auch das „Nicht-Wegwerfen“ ein „guter Zweck“. Und schließlich dürfe sich jeder bedienen, das seien auch Menschen, die wenig Geld hätten. Manche Nachbarn waren anfangs skeptisch, reagierten sogar ablehnend, als Schellberg ihnen kostenloses Gemüse anbot: „Wir brauchen so etwas nicht“. Doch mittlerweile kämen einige regelmäßig vorbei und schauten, „was gerade so da ist“.