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„Ein Jahr nach morgen“ – nach dem Amoklauf ist alles anders

„Ein Jahr nach morgen“ – nach dem Amoklauf ist alles anders

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Foto: WDR
Das Erste zeigt am Mittwoch, 20.15 Uhr, den Film „Ein Jahr nach morgen“. Darin spielt Margarita Broich eine Mutter, deren Tochter an der Schule Amok läuft. Ein Jahr nach der Tat findet sie mit Hilfe des Freundes der Tochter erste Antworten auf ihre Fragen.

Köln. 

Der Film beginnt danach. Luca, die 16-Jährige aus gutbürgerlichem Elternhaus, hat in ihrer Schule zwei Menschen erschossen. Doch auf das reflexhafte Fragen nach dem Warum wird es keine schnellen Antworten geben. Denn Luca schweigt. Und nicht nur sie. Aelrun Götte, zweifach mit dem Grimme-Preis ausgezeichnete Regisseurin, spürt diesem Schweigen nach, entblättert peu à peu die bürgerliche Mitte unserer Gesellschaft, zeigt sie nackt, hinter ihrer mühsam aufgebauten Fassade. In ihrer ganzen Sprachlosigkeit.

Und so ist es wohl einer der traurigsten Momente des Films, in dem Katharina, die Mutter (Margarita Broich), im Zeugenstand des Gerichtssaals sitzt und ihre Tochter, die Täterin, beschreiben soll. Sie sucht nach Worten, zögert, antwortet mit Plattitüden und zeigt auf traurigste Art und Weise wie wenig sie ihr Kind kennt, wie wenig sie von ihm weiß. Mit „Ein Jahr nach morgen“ (ARD, 20.15 Uhr) beschäftigt sich die 46-jährige Regisseurin wieder einmal mit menschlichen Abgründen, mit den Randzonen unserer Gesellschaft.

„Es ist eine Auseinandersetzung mit der Entkopplung der bürgerlichen Mitte Deutschlands“

Behutsam und eher beobachtend als analysierend hält sie die Kamera auf all das, was nach der Tat geschieht. Auf die Familie eines Opfers, auf die Kinder, die nun ohne ihre Mutter zurechtkommen müssen. Auf den Witwer, der den Tod seiner Frau nicht begreifen kann. Auf Julius, den Freund (Jannis Niewöhner) von Luca, der sich Vorwürfe macht, die von ihr ausgehende Gefahr nicht rechtzeitig erkannt zu haben. Sie alle gehören nach den Morden nicht mehr dazu, werden im Ort gemieden, ziehen sich selbst zurück.

„Der Film thematisiert die Beziehung von Mutter und Tochter, aber auch die der anderen Familien und die Atmosphäre in der Schule“, sagt Regisseurin Götte. Keiner begegne sich wirklich, keiner könne sich auf den anderen einlassen. „Es ist eine Auseinandersetzung mit der Entkopplung der bürgerlichen Mitte Deutschlands. Nie sahen Frauen so glänzend aus, nie waren sie so gut ausgebildet. Und nie waren sie so unglücklich. Ja, so nehme ich auch meine eigene Umgebung im Prenzlauer Berg wahr.“, sagt sie.

Götte, in Ost-Berlin geboren und aufgewachsen, arbeitete in der Psychiatrie, bevor sie nach der Wende modelte und Regie an der Filmhochschule Babelsberg studierte. Ihre Filme sind vielfach ausgezeichnet. Und so ist auch ihr neuester alles andere als leichte Fernsehkost. Nach den ersten Vorführungen, erzählt Götte, habe sie die Zuschauer verstört erlebt. „Viele begannen über ihre eigenen, ganz persönlichen Probleme zu reden. Sie thematisierten, was sie selbst über die Menschen wissen, denen sie nahe sind“, erzählt Götte.

Ein verstörtes, verirrtes Mädchen

Warum Luca letztendlich tötete, man kann es nur erahnen. Gloria Endres de Oliveira spielt sie mit erschütternder Zartheit. Ein verstörtes, verirrtes Mädchen, das nicht mehr in der Lage ist, in der Wirklichkeit anzudocken, dort menschliche Wärme zu finden.

„I don’t like mondays!“ erklärte vor über 30 Jahren eine 16-jährige Kalifornierin, befragt, warum sie ein Attentat begangen habe. „Ich mag keine Montage!“. Auch Luca schweigt vor Gericht, verweigert sich den Besuchen ihrer Mutter.

Erst als die sich in ihrer ganzen Verzweiflung an Lucas Freund Julius wendet, beginnt sie Luca zu verstehen, ihre Tochter wieder zu finden. Und am Ende wohl auch sich selbst.