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Dolly Parton: Künstlich jung mit 70

Dolly Parton: Künstlich jung mit 70

Washington. 

Wer die grenzenlose Verehrung für Amerikas kuriosesten Showstar verstehen will, muss in die Knüste fahren. Great Smoky Mountains National Park. Appalachen. Tennessee. Ein saftig grünes Stück Postkartenhinterwald von saarländischen Dimensionen, wo der Himmel voller Banjos hängt, die Menschen Gottesfurcht durch die Nabelschnur einsaugen und trotzdem Whiskey schlürfen wie Wasser.

Hier, im Örtchen Pigeon Fork in der Nähe von Knoxville, liegt Dollywood. Drei Millionen Besucher bevölkern im Jahr den auf 150 Hektar Kitsch und Kalkül gebauten Freizeitpark, der sich um die kleinste Gigantin der Showbranche dreht – Dolly Parton. Am heutigen Dienstag wird sie 70 Jahre alt.

Die Holzhütte ohne Strom und Wasser, in der sie 1946 ganz in der Nähe mit elf Geschwistern aufwuchs, ist originalgetreu nachgebaut. Ebenso der Saloon aus Nashville, wo sie mit zwölf ihren ersten Auftritt hatte. Aus der Jukebox dort trällern ihre Klassiker wie „Jolene“, „9 to 5“ und das später von Whitney Houston zur Hymne veredelte „I Will Always Love You“.

In den Restaurants nebenan sind Dollys Lieblingsspeisen die Renner auf der Karte: Hickory-Hähnchen und süßes Popcorn. Und die Kellnerinnen sind angezogen wie Dolly Parton. Überkandidelt, auf ihre sehr eigene Art wunderschön.

Mit über 3000 selbst geschriebenen Liedern, einem etwas dünner gewordenen aber immer noch gebirgsbachklaren Sopran und über 100 Millionen verkauften Alben zwischen Country und Pop hat Dolly Parton bis heute mehr Geld verdient als jede andere Frau in der Geschichte der Popmusik.

Die Großstadtcowboys von The BossHoss haben den Klassiker „Jolene“ zusammen mit der holländischen Band Common Linnets neu aufgenommen und ihn als Single ihres Nummer-eins-Albums „Dos Bros“ ausgekoppelt. Im Radio läuft die neue „Jolene“ schon rauf und runter. Für Hoss Power, Sänger und Gitarrist der Band, ist es ein „Welthit für die Ewigkeit, den man eigentlich gar nicht besser machen kann“.

In Tennessee ist das Multitalent (Gitarre, Banjo, Orgel, Geige, Blockflöte und Altsaxophon) mit 2000 Angestellten der größte Arbeitgeber. „Dolly ist hier wichtiger als der Präsident in Washington“, sagte ein Koch im „Backstage Restaurant“ einmal dieser Zeitung.

In die Wiege gelegt war ihr diese Karriere, die den Besitz von Musikverlagen, Restaurants und Kosmetikserien einschließt, nicht. Dollys Eltern waren „arm wie Dreck“, wie sie schreibt. Nirgends besser zu hören als in „Coat of Many Colours“ aus dem Jahr 1971. Ein nah am Wasser gebautes Lied über den ersten Wintermantel, den ihre Mutter für sie aus Flicken nähte. Da war der Song, der ihren Ruf begründen sollte, schon vier Jahre alt: „Dumb Blonde“. Dummes Blondchen? Auch wenn sie bis heute keine Noten lesen kann: großer Irrtum.

Dolly Parton, die Patentante von Miley Cyrus, ist weder dumm noch blond. Wie lange es braucht, bis ihre platinhelle Zuckerwattenfrisur auf Ausgehformat toupiert ist, weiß sie selber nicht. Sie ist ja nie dabei: Perücke. Darunter ist ebenfalls nur wenig naturbelassen geblieben. An Partons 152 Zentimeter langem Körper haben Schönheitschirurgen wohl mehr Sonderschichten gefahren als an Pamela Anderson und Wolfgang Joop zusammen.

Ihre Künstlichkeit ist so ehrlichwie das riesengroße Herz

Dass die Parton ihren Körper als Dauerbaustelle eingerichtet hat und sich sofort unters Messer legt, „wenn irgendwo was hängt oder flutscht“, hat ihrer Beliebtheit auch im tief religiösen Bibelgürtel Amerikas überhaupt keinen Abbruch getan. Ebenso die Tatsache, dass man ihren seit 50 Jahren anverheirateten Mann Carl Dean noch nie gesehen hat und sich Spekulationen über eine Liebesbeziehung zu ihrer Geschäftspartnerin Judy Ogle halten.

Partons Erotik hat sie gleichermaßen bei Schwulen wie Lkw-Truckern zur Ikone gemacht. Ihre Künstlichkeit ist so ehrlich und echt wie das riesengroße Herz hinter der sorgfältig restaurierten Fassade, die ihrem alten Sinnspruch folgt: „Es ist teuer, so billig auszusehen.“ Wer heute mit Dolly Parton feiern will, sollte die aktuelle CD „Blue Smoke“ einlegen. Ihre Version von „Lay Your Hands On Me“ von Bon Jovi ist um einiges besser als das Original.