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Rentnerin muss in den Knast, weil sie Lebensmittel klaute – ihre Begründung ist herzzerreißend

Rentnerin muss in den Knast, weil sie Lebensmittel klaute – ihre Begründung ist herzzerreißend

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Die 85-jährige Ingrid Millgramm soll Waren im Wert von 17,63 Euro geklaut haben. Foto: dpa

Ingrid Millgramm aus dem bayerischen Bad Wörishofen gilt als „armutsgefährdet“, ihre Rente soll ihr nicht zum Leben reichen. Immer wieder hat die 85-Jährige deshalb nachgeholfen und gestohlen.

Am Dienstag musste sie sich für einen Diebstahl im Wert von 17,63 Euro vor dem Landgericht Memmingen verantworten. Da das bereits ihr sechster Ladendiebstahl sein soll, greift der Richter durch, verurteilt Millgramm am Dienstag zu vier Monaten Gefängnis.

Die Rentnerin, die auf einen Rollstuhl angewiesen ist, soll Haarklammern, Gesichtscreme und Sahnesteif geklaut haben. Sie selbst will davon aber nichts wissen. Vor Gericht sagte sie: „Ich kann nicht erklären, wie Sahnesteif und Haarklammern in meinen Wagen kamen. Ich nutze das nicht. (…) Ich habe nichts entwendet. Das ist mir von irgendeinem Menschen zugetragen worden.“

Zeugen sehen das anders. Sie sagen vor Gericht aus, den Diebstahl beobachtet zu haben.

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Bereits 2017 und 2018 war Millgramm zu Gefängnisstrafen wegen Ladendiebstahls verurteilt worden. Damals legten sowohl ihr Verteidiger als auch die Staatsanwaltschaft Berufung ein. Am Dienstag machte dann auch der Staatsanwalt klar, wie ernst das Thema ist: „Immer wieder probiert die Angeklagte, sich die Sache schön zu reden, dass sie aus Hunger Nahrung geklaut hat. Aber es wurden nicht nur Lebensmittel, sondern auch Kosmetik geklaut.“

Als Motiv für die Diebstähle gab die Witwe an, dass ihre Rente zu gering sei, um davon leben zu können. „Das habe ich getan, weil ich sonst verhungert wäre“, äußerte sie sich am Dienstag.

Ingrid Millgramm lebte einst in Wohlstand

Millgramm habe ihr halbes Leben lang gearbeitet, heißt es. Mit ihrem zweiten Mann lebte sie im Wohlstand – elegante Landhausmöbel und gutes Essen gehörten dazu. Doch dann habe sie Investitionen verloren. Und im selben Jahr ihren Mann. Seitdem bekommt sie Witwenrente, gilt als „armutsgefährdet“. In Bayern fallen alle darunter, die monatlich weniger als 1025 Euro erhalten. Monatlich blieben ihr nach eigenen Angaben weniger als 100 Euro zum Leben.

Beim ersten Diebstahl beobachtete eine Verkäuferin, wie Millgramm Gulasch aus der Fleischtheke in einen Gefrierbeutel füllte. Das preisreduzierte Fleisch kostete sie nach einem Urteil des Amtsgerichts Memmingen 1800 Euro Strafe. Weitere Ladendiebstähle folgten: Fertigsuppen, eine Flasche Rum. Später: Tabletten, Mascara, Feuchtigkeitscreme, Pflaster, Eyeliner, Puder, Wimperntusche. Nach dem fünften Delikt musste sie im Oktober 2017 ins Gefängnis.

Durch das Interesse der Öffentlichkeit erhielt Millgramm viel Aufmerksamkeit, andere Menschen meldeten sich und wollten sie unterstützen. Nach 55 Tagen wurde die Frau vorzeitig aus der Haft entlassen. Sie wolle das nie wieder erleben, bekundete Millgramm öffentlich. „Sowohl psychisch als auch physisch hat sie die Haft sehr mitgenommen“, erklärt ihre Bewährungshelferin am Dienstag vor Gericht. (bs mit dpa)