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Moderne Zeiten – lange her!

Moderne Zeiten – lange her!

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Essen. 

Die derzeitige Krise von Rot-Weiß Essen weckt Erinnerungen an längst vergangene, ganz andere Zeiten. Der mittlerweile in die vierte Liga abgesackte Verein setzte in den 50er Jahren Maßstäbe in Fußball-Deutschland.

Es war einmal: Das modernste Fußball-Stadion Deutschlands, darin spielte der Deutsche Meister, und in seiner Mannschaft kickten Männer wie Helmut Rahn, „Penny“ Islacker, August Gottschalk und Fritz Herkenrath. Fußball-Legenden, märchenhafte Zeiten! Die Rede ist tatsächlich von Rot-Weiß Essen, dem Verein, der nun so dicht vor dem Abgrund steht…

1955 hatte RWE mit „Boss“ Rahn, dem Helden von Bern, durch ein 4:3 über den 1. FC Kaiserslautern die Meisterschaft gewonnen. Anschließend zog der Klub aus dem Arbeiterviertel Bergeborbeck als erster deutscher Verein in den neugeschaffenen Europapokal der Landesmeister ein. Der Himmel schien den „Roten“ offen zu stehen.

An der Hafenstraße wurde die erste Flutlichtanlage Deutschlands installiert

Als erster Gegner kamen die Hibernians aus Edinburgh, und ihr Präsident war schwer beeindruckt von der hochmodernen Arena an der Hafenstraße. Die Schotten gewannen in Essen mit 4:0, und nach einem 1:1 im Rückspiel war das Abenteuer Europapokal für Rot-Weiß erst einmal beendet.

Die Lichter gingen in Bergeborbeck aber noch lange nicht aus. Im Gegenteil! 1956 gingen sie erst richtig an, als hier die erste Flutlichtanlage Deutschlands installiert wurde. Die Namen der Mannschaften, die hier in den nächsten Jahren zu Gast waren, lesen sich wie das Adelsregister des europäischen Fußballs: Honved Budapest mit Ferenc Puskas, Racing Straßburg, Real Madrid.

Der Niedergang begann, als Rot-Weiß 1963 bei der Gründung der Bundesliga nur zweitklassig war. Zwar gelang später dreimal der Aufstieg ins Oberhaus, doch im Grunde blieb Essen eine Fahrstuhlmannschaft – auch wenn mit Willi Lippens, Manfred Burgsmüller, Horst Hrubesch, Frank Mill oder Jürgen Wegmann Klasse-Fußballer hier ihre Karriere starteten.

Rot-Weiß ist der Arbeiterverein der Stadt

Nur: Rot-Weiß gehörte schon damals zu jenen Vereinen, die ihre besten Spieler regelmäßig an finanziell stärkere Klubs verloren. Auch ein Otto Rehhagel beispielsweise begann an der Hafenstraße, verließ Rot-Weiß aber schon früh in Richtung Hertha BSC Berlin.

Der heutige Nationaltrainer von Griechenland, inzwischen wieder in seiner Heimatstadt zu Hause, fasst die Misere der einst so glorreichen Essener in dem Satz zusammen: „RWE hat es nie verstanden, Verbindung zu den Türmen herzustellen.“ Soll heißen: Mit den Chefetagen der reichen Firmen wollte der Klub lange nichts zu haben – und umgekehrt. Rot-Weiß verstand sich als Arbeiterverein, als Gegensatz zum „Lackschuh“-Klub Schwarz-Weiß im betuchteren Süden der Stadt.

Berühmt-berüchtigt in der ganzen Republik wurde vor allem die Westkurve, die Heimat der härtesten unter den harten Rot-Weiß-Fans. Spätestens als von hier aus mal ein Messer in Richtung von Bayern-Torwart Sepp Maier flog, galt Rot-Weiß Essen für den großen Rest der Fußball-Welt als anrüchig. Als Verein der Rüpel. Und dieser Eindruck verstärkte sich, als der Deutsche Fußball-Bund RWE in den 90er Jahren zweimal wegen finanzieller Ungereimtheiten die Lizenz entzog.

Während Fußball inzwischen längst auch für „bessere Kreise“ salonfähig geworden ist, während Direktoren und Manager woanders in komfortablen Logen die Spiele verfolgen, kicken die Rot-Weißen heutzutage vor trister Kulisse in der 4. Liga. Den Zug der Zeit haben sie verpasst – und das marode Stadion symbolisiert die Lage. Als der frühere Präsident von Hibernian Edinburgh 2005 zur 50-Jahr-Feier der Europapokal-Premiere noch einmal an der Hafenstraße zu Gast war, da staunte er fast so sehr wie bei seinem ersten Besuch. „Hier“, fand er nach einem Blick in die Runde, „sieht’s ja noch genauso aus wie damals.“ Aber diesmal war’s kein Kompliment mehr . . .