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Von Falafeln und Integration – Flüchtling eröffnet Imbiss in Essen

Von Falafeln und Integration – Flüchtling eröffnet Imbiss

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Foto: Volker Hartmann / FUNKE Foto Services
In Damaskus hatte Kamal Al Haboul ein bekanntes Restaurant – bis er vor dem Krieg flüchten musste. Nun wagt er den Neuanfang mit einem Imbiss in Essen.

Essen. 

NRZ-Reporter Matthias Maruhn berichtet über das Schicksal mehrerer Flüchtlinge, die er in den vergangenen zwei Jahren kennengelernt hat. Ein Etappenbericht:

Wie wirkt der Mann oben auf dem Foto? Ich finde, er sieht zuallererst mal entschlossen aus. Seine Körpersprache, die verschränkten Arme. Ein Mann mit Vergangenheit, der in die Zukunft schaut. Ein Ziel hat. Und der an diesem Tag, an dem das Foto entstand, gerade einen wichtigen Schritt darauf zu gemacht hat. Kamal Al Haboul (54) hat in dieser Woche in der Essener Innenstadt einen Falafel- und Sandwich-Imbiss, an der Gladbecker Straße gegenüber der Uni, eröffnet. Endlich wieder Arbeit. Endlich wieder mittendrin. Um sein kleines Glück zu verstehen, muss man die Geschichte von Kamal und seiner Familie kennen.

Im syrischen Damaskus gab es ein wohlbekanntes Restaurant mit Konditorei namens „Taeba“. Spezialität: Lamm mit Pistazien. Kamals Restaurant, vom Krieg zerstört wie das Wohnhaus. Als Achmad, sein Neffe, von der Polizei erschossen wird, ergreift die Familie die Flucht. In der NRZ-Weihnachtsausgabe 2014 berichtete Kamal über das wahnwitzige Unterfangen, die Überfahrt im kleinen Fischerboot von Libyen nach Italien, die Balkanroute gab es noch gar nicht, 800 Euro pro Person. Kamal fühlte sich als der einzige erwachsene Mann verantwortlich für die gesamte Großfamilie. Seine Frau, ihre Schwester, deren drei Kinder, die Eltern, die Schwiegereltern. 82 war seine Mutter bei der Überfahrt. Wasser im Boot, Motorschaden, dann doch die Rettung. Wir Deutschen haben uns inzwischen an eine dramatische Fluchtstory wie diese gewöhnt, die Flüchtlinge haben sie erlebt, durchzittert, müssen mit ihr leben lernen.

Mehrere Monate haust die gesamte Familie in Essen in einem ehemaligen Klassenraum, Toilette über den Schulhof. Dann endlich eigene Wohnungen. Es geht voran. Noch einmal, im vergangenen Oktober, steht die Familie in der Zeitung. Kamals Frau findet vor einem Supermarkt ein Portemonnaie mit 1000 Euro. Die beiden geben es auf der Polizei ab, verzichten auf den Finderlohn. „Das ist doch selbstverständlich“.

Freunde, Bekannte, Familie sind bei der Eröffnung dabei

Vor drei Monaten dann der Entschluss, jetzt was zu wagen, wenn schon kein eigenes Restaurant, dann wenigestens einen Imbiss aufzumachen. Viel Bürokratie. Der alte Container wird gekauft, das Mini-Grundstück gemietet. Wasseranschluss, Elektrizität. Viele Probleme, alle gelöst.

Jetzt steht er da, Kamal, und knetet den Teig für die Falafeln wie ein Berserker, als habe er alle Kraft der letzten Jahre für diesen Moment gespart, er sprüht vor Energie. Das muss er aber auch, denn viele Freunde, Bekannte, die Familie sind zur Eröffnung gekommen und wollen jetzt alle was zu beißen haben. Die jungen Männer in der Schlange stimmen ein Lied an. Auf Arabisch. Kamal lacht. Ein Schlangennachbar übersetzt. „Es ist eine Art Spottlied. So in etwa: Mach Falafeln, mach uns satt… Es ist aber nett gemeint. Eher ein Willkommensgruß.“

Auf der kleinen Speisekarte des „Abu Al Nour“ gibt’s neben dem Falafel-Sandwich (1,50 Euro) auch Shawarma, Hühnchen-Tasche (ab 2 Euro) und natürlich Pommes (groß, 2 Euro). Zu trinken neben Cola auch Eran, (bei uns besser als Ayran bekannt), auch nur ein Euro. Ziemlich zahme Preise, Kamal? „Ich muss erst mal meinen Laden ins Gespräch bringen. Auch wenn ich dann zunächst nicht viel verdiene.“ Er schaut hoch, sein Blick sagt: „Lass mal, ich kenne mein Geschäft. Wer von uns beiden hat in Damaskus das ‘Taeba’ geleitet..“ Hat ja recht. Und der Mann ist so voller Elan, dass wir uns nicht wundern müssen, wenn es in zehn Jahren in jeder deutschen Fußgängerzone ein „Abu Al Nour“ gibt.

Sie wollen die volle Breitseite „Integration“: eine syrische Familie auf der Magare­thenhöhe

Während Kamal in Essen-Altendorf lebt, einem Stadtteil mit vielen Migranten, hat es Neirouz Mohamad (37) und Makdad Khalil (40) mit ihren Jungs auf die Magare­thenhöhe verschlagen, einen eher bürgerlichen Stadtteil. Den Eltern ist das mehr als recht, denn sie wollen, dass Mohamad (6) und Ibrahim (4) gleich die volle Breitseite „Integration“ bekommen. Bei Mohamad ist das auch schon zu hören. Der Junge geht in die 1 c und kann dir auf Deutsch schon einen Knopf an die Backe quasseln. Er stellt auch gleich klar: „Mein Bruder kann’s noch nicht ganz so gut.“ Der ist aber auch noch nicht so lange in der Kita. Ihre Mutter macht jetzt seit Mitte März einen Sprachkurs, sprach aber schon vorher recht gut Deutsch, sie lernt leicht, spricht auch Englisch.

Ihre Wohnung haben sie modern eingerichtet. Wie eine klassische Mittelschichtfamilie. Das waren sie auch in Aleppo. Makdad war Werbetechniker, hat Reklameschilder gemacht, eigene Firma, 20 Angestellte, Neirouz arbeitete im Einwohnermeldeamt. Alles gut, bis der Krieg kam und das entscheidende Ereignis. Eine Granate trifft das Haus, der erste Stock bricht ein, der untere nicht. Neirouz ist mit den Jungs unten, rennt um ihr und das Leben ihrer Kinder. Schafft es. Nur weg.

„Wir wollen zurückgeben“

Heute sagt Makdad: „Wir wären geblieben, jeder muss mal sterben. Aber für die Kinder wäre das doch ungerecht gewesen, wenn sie nie eine Chance bekommen hätten.“

Anschluss haben sie gefunden. Makdad spielt Fußball beim SUS Haarzopf. Alte Herren, zweimal die Woche. „Danach gehe ich mit den anderen was trinken. Die anderen Bier, ich Cola. Hat niemand ein Problem mit.“ Er fühlt sich akzeptiert. Und Neirouz ist eine Frau, die auf andere zugehen kann. Manchmal ist sie irritiert vom Verhalten der Menschen. Einer gewissen Kühle im Umgang. Aber sie weiß: Das geht nur über die Sprache. Deshalb büffelt sie. Beide träumen davon, möglichst schnell wieder Arbeit zu finden. Neirouz: „Wir wollen zurückgeben. Es sind gute Leute aus Syrien gekommen. Ich bin ganz sicher. Deutschland wird von uns profitieren.“