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„Es gibt immer ein Morgen“ – Handwerker erzählt von der Walz

„Es gibt immer ein Morgen“ – Handwerker erzählt von der Walz

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Foto: Weinand
Mathias Weigand (32) hat die ganze Welt gesehen: Vier Jahre und vier Monate lang ging der Zimmermann nach seiner Lehrzeit auf die Walz.

Essen. 

Einfach loslaufen und die Welt bereisen – ohne Pflichten, von Ort zu Ort gehen und Neues kennenlernen: Diesen Traum hat sich Mathias Weigand (32) erfüllt. Der Zimmermann ging nach seiner Lehrzeit auf die Walz. Vier Jahre und vier Monate – etwas länger als die erforderlichen drei Jahre und einen Tag – bereiste er die Welt und bildete sich nicht nur beruflich fort.

Herr Weigand, Sie waren von März 2011 bis Juni 2015 als Geselle auf Wanderschaft. Wie kamen Sie auf diese Idee?

Mathias Weigand: Gegen Ende meiner Ausbildung hat mich der Vater eines Kollegen auf einen Gesellenabend mitgenommen. Der ist einmal im Monat und es treffen sich dort alle Kameraden aus einem Dorf, die selbst auf Tippelei waren. Dabei habe ich mich informiert. Ich fand es mega spannend und mir war ziemlich schnell klar, dass ich das auch machen wollte.

Die Idee war also geboren, aber es kann ja nicht jeder einfach so losziehen. Was für Voraussetzungen benötigten Sie dafür?

Weigand: Ein Kandidat muss unter 30 Jahre alt sein, ledig, schuldenfrei und darf keine Kinder haben. Außerdem benötigt man einen einwandfreien Leumund. Ich musste mich beispielsweise auf einem Gesellenabend vorstellen und dann wurde entschieden, ob ich geeignet bin – immerhin repräsentieren wir unsere Kameradschaft. Wir müssen uns also benehmen können, dürfen nicht lügen oder stehlen – und müssen zu unserem Wort stehen. Es zählt bei uns übrigens noch der Handschlag.

Vieles von dem, was Sie gerade aufgezählt haben, stammt aus dem Mittelalter. Wieso konnte sich der Brauch so lange halten?

Weigand: Naja, es ist doch wirklich cool, drei Jahre lang ohne Verpflichtungen und völlig frei in der Welt herum zu tippeln. Das ist doch das Schönste, was es gibt. Ähnlich wie schon im Mittelalter lernt man an den unterschiedlichsten Orten neue Dinge, beispielsweise habe ich in Thailand Bambushütten gebaut und in Kanada Blockhäuser.

Also gibt es keinerlei Einschränkungen wohin Sie gehen können?

Weigand: Doch. Wir müssen das erste Jahr im deutschsprachigen Raum bleiben, aber danach können wir die ganze Welt bereisen. Dazu muss ich aber sagen, dass jeder seine eigene Tippelei macht, nach der Grundregel: Jeder ist ein freier Mensch. Wenn jemand nur in Deutschland bleiben will, ist das genauso ok, als wenn jemand jedes Land der Welt bereist. Ich selbst war auf allen Kontinenten – angefangen in Kanada dann die Westküste hinunter über San Francisco nach Mexiko und die Ostküste hoch nach Toronto. Von dort aus bin ich über China nach Neuseeland und Australien gereist, danach durch Südostasien. Zwischendurch bin ich immer wieder nach Deutschland gereist.

Gegen Ende war ich in Israel, bin weiter nach Ägypten und über den Sudan nach Uganda. Da bekam ich per Mail eine Anfrage von einer Firma, für die ich schon mal gearbeitet habe. Sie stellt weltweit Radrennbahnen her und es wurde jemand in Trinidad und Tobago benötigt. Ich sagte, wenn sie mir den Flug aus Uganda bezahlten, wäre ich sofort dabei – und sie sagten zu. Also arbeitete ich dort und fuhr dann mit der Fähre nach Venezuela, weiter nach Kolumbien, Bolivien und Peru. Ich habe nicht überall gearbeitet. Beispielsweise habe ich in Thailand für Kost und Logis ausgeholfen, in Neuseeland konnte ich richtig sparen.

Das sind ja alles Ziele in verschiedenen Klimazonen. Nun ist es bei Ihnen aber so, dass Sie immer nur Ihre Kluft – Hut, Schlaghose, Hemd, Weste und Jackett – tragen dürfen. Ist das nicht anstrengend?

Weigand: Naja, manchmal schon. Wenn es ganz heiß ist, dürfen wir die Jacke auch mal ausziehen. Aber im Prinzip ist es so, dass die Tradition im deutschsprachigen Raum schon hochgehalten werden muss. Im Ausland ist es dann aber etwas legerer. Bei 40 Grad und 90 Prozent Luftfeuchtigkeit dürfen wir dann schon mal nur in Hemd – ohne Weste und Jackett – arbeiten.

Wenn man so viel unterwegs ist – ganz ohne Handy – vermisst man nicht seine Freunde und Familie?

Weigand: Natürlich, aber ich hatte schon Kontakt mit ihnen, über Festnetz oder E-Mails. Außerdem haben mich meine Eltern vier Mal besucht. Mutti macht sich ja auch Sorgen (lacht). Aber es ist wichtig, dass man sich bei seiner Familie meldet. Das ist ja auch alles viel einfacher geworden. Mit Kameraden ist es leichter, wenn man kein Handy hat, so kann niemand eine Verabredung spontan absagen. Die sehen bei uns übrigens so aus: „Wir treffen uns in drei Monaten in Essen in der nächstgelegenen Kneipe vom Rathaus.“

Was hat Ihnen am meisten gefehlt in dieser Zeit?

Weigand: Das ist einfach: Mein Kühlschrank, der immer gefüllt ist. Auf Wanderschaft hat man das nicht (lacht). Das ist schon anstrengend. Außerdem die Privatsphäre – wir stehen mit unserer Kluft ja in der Öffentlichkeit – oder übernachten bei jemandem. Einfach mal unerkannt bleiben, ist auch nett.

Und was hat Ihnen besonders gut gefallen?

Weigand: Die absolute Freiheit, ohne Verpflichtungen und Termine überallhin zu gehen, wohin man gerade möchte. Das vermisst jeder Wandergeselle nach einiger Zeit. Jetzt habe ich einen Handyvertrag, ein Auto, zahle Miete. Ich kann nicht einfach mal nach Istanbul reisen.

Was haben Sie während der Wanderjahre gelernt?

Weigand: Das Leben geht weiter, man darf die Hoffnung nie verlieren. Auch wenn man mal keinen Schlafplatz für die Nacht hat und in einem Häuschen auf einem Spielplatz übernachtet, weil es in Strömen regnet. Es gibt ein Morgen und es kommt immer wieder etwas Gutes.