Arbeitszeugnisse sollen die Leistung eines Mitarbeiters bewerten. Allerdings ist es oft gar nicht leicht, die wahre Meinung des Chefs aus einem Zeugnis herauszulesen. Viele augenscheinlich positive Beurteilungen entpuppen sich als Kritik. Wir haben einige Codes entschlüsselt.
Essen.
Etwa 30.000 Rechtsstreitigkeiten in deren Verlauf ausschließlich über die Formulierung von Arbeitszeugnissen gestritten wird, werden jedes Jahr vor deutschen Arbeitsgerichten ausgetragen. Der Grund: Negative Beobachtungen und Beurteilungen sind in Arbeitszeugnisse nicht erlaubt. Der Arbeitgeber muss seinen Mitarbeiter alles Gute für die berufliche Zukunft mitgeben. Deshalb versuchen manche Chefs ihre Kritik als augenscheinliches Lob zu tarnen.
Denn nicht alles was gut klingt, ist auch gut gemeint. Hinter vielen positiven Formulierungen verbirgt sich scharfe Kritik. Längst haben sich zahlreiche Codes etabliert. Wir haben in Zusammenarbeit mit dem Portal „Arbeitszeugnis-bewerten.de“ einige Beispiele zusammengestellt.
Frau Müller war eine außergewöhnlich interessierte Mitarbeiterin
Diese Formulierung klingt erst einmal positiv. Doch sie deutet darauf hin, dass Frau Müller sich oft von Nebensächlichkeiten ablenken ließ und und sich nicht besonders gut auf ihre Arbeit konzentrieren konnte.
Frau Müller war eine sehr aktive Mitarbeiterin
Diese Formulierung ist eindeutig positiv. Schließlich wird extra hervorgehoben, dass Frau Müller sehr motiviert war.
Ihr kollegiales Verhalten machte Frau Müller bei Mitarbeitern und Vorgesetzten sehr beliebt.
Frau Müller hatte offenbar ein eher problematisches Verhältnis zu ihren Vorgesetzten. Denn bei Verhaltensbeurteilungen ist die Reihenfolge der genannten Personen entscheidend. Wird der Vorgesetzte zuerst genannt, war alles in Ordnung. Besser wäre also folgende Formulierung: „Ihr persönliches Verhalten gegenüber Vorgesetzten, Kollegen und Kunden war jederzeit einwandfrei.“
Ihre Vorstellungen verfolgte Frau Müller stets sehr konsequent und zeigte bei Bedarf eine ausgeprägte Autorität mit dem Ziel, die Arbeitseffizienz ihres Teams zu verbessern.
Auch diese Formulierung klingt nur auf den ersten Blick positiv. Denn „ausgeprägte Autorität“ ist ein ziemlich eindeutiger Hinweis auf einen rücksichtslosen Führungsstil. Und den schätzen die wenigsten Unternehmen.
Warum „größte Genauigkeit“ kein Lob ist
Frau Müller hat alle Arbeiten ordnungsgemäß erledigt.
Sie ist eine Bürokratin ohne Eigeninitiative.
Wegen ihrer Pünktlichkeit war Frau Müller stets ein gutes Vorbild.
Sie ist eine Versagerin.
Frau Müller arbeitete mit größter Genauigkeit.
Sie war pedantisch.
Bei auftretenden Problemen war Frau Müller stets kompromissbereit.
Sie war nachgiebig und hat nicht hart verhandelt.
Alle Arbeiten erledigte Frau Müller mit großem Fleiß und Interesse.
Sie war eifrig, aber nicht tüchtig.
Wir lernten Frau Müller als umgängliche Mitarbeiterin kennen.
Frau Müller war unbeliebt.
Durch ihre Geselligkeit trug Frau Müller zur Verbesserung des Betriebsklimas bei.
Sie war oft betrunken.
Für die Belange der Belegschaft bewies Frau Müller stets Einfühlungsvermögen.
Sie suchte sexuelle Kontakte.
Viele der genannten Formulierungen sind aber immer mehr aus der Mode gekommen, erklärt Gunnar Szymaniak, Betreiber von „Arbeitszeugnis-forum.de“. Um nicht vor dem Arbeitsgericht zu landen, würden Arbeitgeber diese Codes in der Regel vermeiden. Größere Firmen würden die Zeugnisse häufig sogar von Computerprogrammen aus Textbausteinen erstellen lassen, damit nicht versehentlich problematische Formulierungen verwendet werden, erklärt Szymaniak. Das Resultat: Arbeitszeugnisse werden immer holzschnittartiger und damit auch weniger aussagekräftig.
Man müsse außerdem immer auf den Kontext achten, erklärt er. „Wenn einem Abteilungsleiter „Interesse“ bescheinigt wird, ist das nicht gerade ein Lob. Denn dass er interessiert ist, wird natürlich vorrausgesetzt.“ Ganz anders sei das bei einem Praktikanten: „Hier kann „Interesse“ auch ein ernst gemeintes Lob sein.“
Entscheidend sei auch, was nicht genannt werde, erklärt Szymaniak. „Das Weglassen ist auch eine Art der Kritik.“ Wenn etwa bei einer Kellnerin nicht erwähnt wird, dass sie mit den Gästen gut zurecht kam, ist das ein deutlicher Hinweise auf Probleme.
„Zur vollen Zufriedenheit“ – So werden Sie in Zeugnissen benotet
Die wohl wichtigste Formulierung in Arbeitszeugnissen steht meist am Ende der Beurteilung. Sie soll eine allgemeine Benotung des Arbeitgebers ermöglichen. Am gebräuchlichsten bzw. bekanntesten ist die sogenannte „Zufriedenheits-Formel“. Sie sieht folgende Abstufungen vor:
- „Stets zu unserer vollsten Zufriedenheit“ entspricht der Note „sehr gut“
- „Stets zu unserer vollen Zufriedenheit“ entspricht der Note „gut“
- „Zu unserer vollen Zufriedenheit“ entspricht der Note „befriedigend“
- „Zu unserer Zufriedenheit“ entspricht der Note „ausreichend“
- „Insgesamt zu unserer Zufriedenheit“ entspricht der Note „mangelhaft“
Auch wenn diese bekannten Formulierungen nicht zwangsläufig verwendet werden müssen, empfiehlt es sich doch, zumindest an den zentralen Stellen im Zeugnis dem Konsens zu folgen, erklärt Gunnar Szymaniak. Eine sehr gute Leistung könne zwar auch durch andere Worte wie „sehr“, „äußerst“ oder „vollst“ bescheinigt werden. Allerdings sollte der Leser eines Zeugnisses eine sehr gute Beurteilung schnell erkennen können. Und da ist „stets zu unserer vollsten Zufriedenheit“ nun einmal die eindeutigste Formulierung.
Schlechte Bewertungen werden übrigens kaum noch vergeben. „Mittlerweile wird die Leistung der Arbeitnehmer in Zeugnissen fast ausschließlich mit „gut“ oder „sehr gut“ bewerte, sagt Szymaniak. „Wenn diese sprachliche Aufwertung fehlt, kann der Eindruck entstehen, dass es sich nur um eine „befriedigende Beurteilung“ handelt, also fast schon um eine Ohrfeige.“