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Wenn Erwachsene sich von Kindern angezogen fühlen

Wenn Erwachsene sich von Kindern angezogen fühlen

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Foto: imago stock&people

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„Die Versuchung ist immer da“, jedenfalls für die etwa 250.000 Pädophilen, die in Deutschland leben. Sie gehen sehr unterschiedlich mit ihrer Neigung um, einige haben äußerst abstruse Ansichten über Kinder und deren Wünsche.

Fynn Meier ist 19 Jahre alt – und steht auf kleine Jungen. „So ab vier Jahren finde ich sie süß. Sexuelles Interesse habe ich, wenn sie zehn bis dreizehn sind“, sagt er. Fynn Meier hat auch einen „Freund“. Jan, der genau wie Fynn eigentlich anders heißt, wird demnächst 13. Als sie sich kennenlernten war der Junge elf. Seitdem spielen sie zusammen Computer, quatschen und „raufen“, wie Fynn Meier sagt.

Er ist einer von rund 250.000. So viele Pädophile gibt es in Deutschland, schätzen Experten. „Pädophilie bezeichnet die sexuelle Ansprechbarkeit für das kindliche Körperschema“, sagt der Sexualwissenschaftler Klaus Beier vom Berliner Universitätsklinikum Charité. Die Neigung manifestiere sich im jugendlichen Alter, man könne sie nicht verändern. „Der Pädophile ist für seine Neigung genauso wenig verantwortlich zu machen wie ein Homo- oder Heterosexueller. Wegen seiner sexuellen Fantasien sollten wir daher niemanden verurteilen, auch keinen Pädophilen. Wegen seines Verhaltens schon“, sagt Beier. Mit dem Projekt „Dunkelfeld – Kein Täter werden“ hilft Beier pädophilen Männern, die alles tun, um ihre Neigung niemals auszuleben. Diese Männer sind verantwortungsbewusst, sagt er.

War er ein Kinderschänder?

Fynn Meier ist nicht in einer Therapie. Er findet, dass er sich trotzdem verantwortungsbewusst verhält. Als er mit vierzehn sicher war, dass er sich von Jungen angezogen fühlt, habe ihn das fertig gemacht. War er ein Kinderschänder? „Ich habe mir gesagt, dieses Monster, über das alle schreiben, wenn es um Pädophilie geht, bin ich nicht.“

Er verfiel in Selbstzweifel und depressive Phasen, dachte an Selbstmord. Seinen „Freund“ Jan lernte er vor knapp zwei Jahren in der Schule kennen. Er habe ihn nie zu etwas gezwungen, der Junge sei gerne mit ihm zusammen, sagt Fynn Meier. „Er weiß, dass ich in ihn verliebt bin und dass ich gerne sexuellen Kontakt mit ihm hätte.“ Und? Hat er Sex mit ihm? „Das würde ich nie machen. Selbst wenn er es anbieten würde“, sagt Meier.

Auch Dieter Gieseking ist pädophil. Er bekennt sich dazu und hat sich an die Spitze der Pädophilen-Bewegung gestellt. Auf seiner Internetseite „krumme13“ veröffentlicht er Texte über Pädophilie – als „Gegenpart zu den Mainstream-Medien“, wie er auf Anfrage mitteilt. Die Regelungen des Strafgesetzbuches, die sexuelle Handlungen mit Kindern unter 14 Jahren grundsätzlich unter Strafe stellen, bezeichnet er als „Unrecht“. Dem Kind werde die „sexuelle Selbstbestimmung“ abgesprochen.

Gieseking behauptet: „Es gibt eine Vielzahl von Kindern, die sich aus Neugier, Lust, Abenteuer, oder weil sie schon früh ihre Homosexualität erkannt haben und ausleben möchten, sexuelle Beziehungen zu Erwachsenen wünschen oder pflegen.“ Die „Tag tägliche praktizierte Realität“ beweise, dass sexuelle Kontakte zwischen Kindern und Erwachsenen nicht immer zu Schädigungen führen müssten. Und: „Wenn es eine Schädigung des Kindes geben sollte, dann entsteht diese nicht durch den Sexualkontakt, sondern durch das soziale Umfeld. Dem Kind wird eingeredet, dass es etwas Verbotenes getan hat und dadurch können psychische Probleme entstehen.“

Komplette Verdrehung der Tatsachen

Auch Dieter Giesking findet, dass er verantwortungsbewusst mit seiner pädophilen Neigung umgeht. Physische Gewalt lehne er ab. Aber wenn der Sex „einvernehmlich“ erfolge, sei alles in Ordnung. Dass sich das noch nicht herum gesprochen habe, liege daran, dass diese „Beziehungen“ wegen der Gesetzeslage geheim gehalten werden müssten.

Franz Resch, Ärztlicher Direktor der Heidelberger Klinik für Kinder- und Jugendpsychatrie, wird sauer, wenn er solche Argumente hört. Die Männer würden das Bedürfnis der Kinder nach Nähe und Zuwendung umdeuten und als Wunsch nach Sexualität interpretieren. Perfide sei das und eine komplette Verdrehung der Tatsachen.

Welche Folgen angeblich „einvernehmlicher“ Sex für die Jungen haben kann, erlebt Resch fast täglich: Unruhezustände, Reizbarkeit, Aggressivität und Konzentrationsstörungen seien noch das Harmloseste. Das Selbstwertgefühl sei fast immer gestört, 20 Prozent der Kinder zeigten depressive Entwicklungen. „Die sexualisierte Atmosphäre zieht ein Kind in eine Welt rein, in die es nicht will und die es völlig überfordert. Das wirkt traumatisierend“, sagt Resch. Posttraumatische Belastungsstörungen und Angstattacken aus heiterem Himmel verfolgten die Betroffenen oft bis ins hohe Alter.

„Das Kind erlebt die sexuelle Handlung als Kontrollverlust. Es möchte keinen Sex, traut sich aber nicht, dem Erwachsenen zu widersprechen“, ergänzt Reschs Kollege Jörg Fegert von der Kinder- und Jugendpsychatrie Ulm. Nur eine relativ kleine Gruppe überstehe den Missbrauch ohne psychische Schäden. Auch Jugendliche über 14 Jahren, mit denen gewaltfreie sexuelle Beziehungen nach geltender Rechtslage legal sind, seien mit den Wünschen pädophiler Männer oft völlig überfordert.

„Die Versuchung weiter zu gehen ist immer da“

Einigen Pädophilen sind die Folgen für die Kinder offenbar egal. In Internetforen tauschen sie sich aus, wie und wo man minderjährige Jungen am besten abgreifen kann. „Ich habe meine immer im Schwimmbad getroffen. Meistens, außer beim jetzigen, haben die Jungen keinen Vater gehabt. Beim letzteren sind die Eltern dem Alkohol verfallen“, scheibt ein User.

Ein anderer ergänzt, Jungen aus sozial schwachem Milieu seien zwar in Bezug auf das Kennenlernen und die Familie „eher unproblematisch“. Die Probleme würden aber „oft durch Dritte (Schule, Jugendamt, Polizei, Staatsanwaltschaft) in die Beziehung hinein getragen“. Es sei daher wichtig, den Jungen „so weit sozial zu stabilisieren, dass er gegenüber diesen Dritten nicht in Erscheinung tritt“.

Purer Zynismus, findet Fynn Meier. Er mag auch „Pädo-Aktivisten“ wie Dieter Gieseking nicht. „Ich finde es widerlich, als Pädophiler akzeptiert werden zu wollen und gleichzeitig zu fordern, das Schutzalter für Kinder zu senken“, sagt Meier.

Und er selbst? Hat er keine Angst, sich irgendwann doch nicht zurückhalten zu können? „Die eigene Sexualität nicht ausleben zu können, ist unbefriedigend. Aber Liebe heißt für mich, dass das Wohl derjenigen, die ich liebe, höher steht als mein Wohl. Das Kind soll sich normal entwickeln“, sagt er. Und sein sexuelles Verlangen? Was ist, wenn er mit einem seiner Freunde künftig nicht mehr nur Computer spielen und raufen will? Fynn denkt nach. Er scheint zu ahnen, dass seine Art, mit der pädophilen Neigung umzugehen, eine Gratwanderung ist: „Die Versuchung weiter zu gehen ist immer da.“ (dapd)