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Mit den Buden geht es bergab

Mit den Buden geht es bergab

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Foto: WAZ Fotopool

Dortmund. 

Mit einer Ruhrgebiets-Traditon geht es bergab: Immer mehr Trinkhallen stehen vor dem Aus. Vor allem die verlängerten Öffnungszeiten der Supermärkte machen den Budenbesitzern zu schaffen.

Hier wohnen die Lakritzschnecken neben den weißen Mäusen. Hier fallen Kronkorken genauso wie Entscheidungen. Trinkhallen im Revier sind weit mehr als Kaufladen-Minis. Wer sich hier blicken lässt, ist in Plauderlaune, sucht Rat oder einfach ein Lächeln. Der Kiosk ist Klümpchenbude und Kummerkasten zugleich, manchmal sogar mit Gute-Laune-Onkel. Aber er ist noch etwas: vom Aussterben bedroht.

Immer mehr Läden öffnen bis 22 Uhr

Während sich hier früher die Bergleute ihr Feierabendbierchen gönnten, während sie tratschten und tranken, grinsten und grantelten, so kommt das Seufzen heutzutage immer häufiger von der anderen Seite des Tresens. Budenbesitzer fürchten um ihre Existenz. Und ihre Angst scheint begründet. Allein in den vergangenen zehn Jahren haben rund 2 000 Buden zwischen Duisburg und Unna ihre Rollläden für immer geschlossen. Damit kam an jedem neunten Standort das Aus für das Haus der weißen Maus. Genaue Zahlen gibt es nicht, aber Jens Hapke, der Sprecher des Regionalverbands Ruhr, geht davon aus, dass es vor zehn Jahren etwa 18 000 Kioske im Ruhrgebiet gegeben hat. Aktuell dürften es noch um die 16 000 sein.

Das Böse hat einen Namen. Es heißt Supermarkt. Schicht im Schacht um halb sieben oder um acht – diese Zeiten sind seit 2006 vorbei. Seit das Ladenschlussgesetz gelockert wurde, öffnen immer mehr Läden bis 22 Uhr, manche noch länger. „Für die Kiosk-Betreiber ist das dramatisch. Wenn Aldi und Lidl nebenan sind und genauso lange geöffnet haben, haben sie es sehr schwer.” Das sagt jemand, der sich intensiv mit der Geschichte der Trinkhallen im Ruhrgebiet beschäftigt hat: Dietmar Osses, der Leiter des LWL-Industriemuseums Zeche Hannover in Bochum.

Budenzauber wird immer seltener

Im vergangenen Jahr hat sein Museum die Ausstellung „Die Bude” gezeigt und damit diese typischen Kiosk-Bilder: Zum Beispiel das des kleinen Furzknotens, er kann kaum laufen, blickt aber schon mit großen Augen über die viel zu hohe Theke. Der Kleine scheint vor der schwersten Entscheidung seines jungen Lebens zu stehen: Wer schafft es in die gemischte Tüte? Cola-Fläschchen treten an gegen Salzbrezel, Brausestäbchen und Lakritzlollis. Es geht um einen Euro, das ganze Taschengeld steht also auf dem Spiel.

Sicherlich gibt es diesen Budenzauber auch heute noch. Aber eben immer seltener. Sabine Lamig betreibt einen Kiosk im Dortmunder Kreuzviertel, nah an einem recht neuen Discounter. Seit zwei Jahren macht ihr der Riese Angst: „Dieses Ding hat mich dazu gebracht, über das Aufhören nachzudenken.” Seit 20 Jahren führt die 48-Jährige ihr Büdchen. Ihre Tochter ist hier aufgewachsen, inzwischen krabbelt schon ihr Enkelkind durch die Tiefen des kleinen Raumes. Familiengeschichte auf acht Quadratmetern. Sabine Lamig steht von 6 bis 22 Uhr hinter der Theke, sieben Tage die Woche. Freizeit: null.

Schon die Tankstellen waren ein Schlag

Sie macht das gerne, sonst ginge das nicht. „Aber lohnen tut es sich längst nicht mehr.” Der Discounter um die Ecke hat ebenfalls bis 22 Uhr geöffnet. Seine Schnäppchenpreise gelten auch für das Feierabend-Bier, für Schnaps und die anderen Kiosk-Klassiker. Also zieht er die Kunden vom Büdchen weg wie ein Menschenmagnet. „Seit das Ding da ist, sind die Umsätze bei mir um 30 bis 40 Prozent zurückgegangen”, sagt Lamig. Sie kann die neue Orientierung ihrer Kunden sogar verstehen, denn sie weiß: „Auch die müssen sparen.” Vor Jahren hat der Lieferant nur alle acht Wochen Sabine Lamigs Versorgungsstützpunkt angefahren, „heute kommt er alle vier Wochen. Auch er hat nicht mehr so viel zu tun, seit es weniger Trinkhallen gibt”.

So wie es dem Dortmunder Büdchen geht, so geht es vielen alteingesessenen Trinkhallen im Ruhrgebiet. „Der Abwärtstrend macht sich in allen Städten gleichermaßen bemerkbar”, sagt Museumsleiter Dietmar Osses. Schon die Konkurrenz durch die Tankstellen mit ihren integrierten Shops sei ein schwerer Schlag gewesen, doch die neuen langen Öffnungszeiten der Supermärkte geben ihnen den Rest.

Büdchenbesitzer müssen bescheiden sein

Aber es gibt sogar noch Menschen, die sich neu ins Büdchen wagen. So wie Oruc Dogan. Vor sechs Monaten hat der 46-Jährige einen alteingesessenen Kiosk im Dortmunder Saarlandstraßenviertel übernommen. „Es ist ein Versuch”, sagt er. So richtig begeistert ist er nicht, so richtig frustriert aber auch nicht. Noch nicht. Immerhin: „Wenn der BVB zuhause spielt, brummt’s”, sagt Dogan. Also alle 14 Tage. Büdchenbesitzer müssen bescheiden sein.

Vielleicht wird er Glück haben. Dietmar Osses sagt nicht allen Trinkhallen ein Endzeit-Szenario voraus: „Einige werden sich behaupten können, sie haben schon den Strukturwandel im Revier überlebt.” Sie haben tapfer um ihre Kundschaft gekämpft, als es mit Industrie und Bergbau bergab ging, als große Werke menschenleer blieben, weil die Belegschaft arbeitslos war. Denn eines können nur die Büdchen: neben Kleinkram auch warme Worte anbieten. Die finden sich im Sortiment der Supermärkte eben nicht.