Düsseldorf.
30 Jahre nach „The Wall“ in Dortmund führte Roger Waters die Rockoper in Düsseldorf auf – damals wie heute ein gigantisches Spektakel. Der frühere Pink-Floyd-Frontmann setzte vor 35.000 Fans in der ausverkauften Arena mal wieder Maßstäbe.
Kann es so etwas ü b e r h a u p t geben: das perfekte Konzert? Die perfekte Show? Mindestens die Maßstäbe hat Roger Waters einmal mehr neu definiert. Bei seiner 2011er Inszenierung von „The Wall“ setzte der frühere Pink-Floyd-Frontmann die 35.000 Fans in der ausverkauften Arena Düsseldorf am Samstagabend einer audiovisuellen Reizüberflutung massivster Art aus. Eine detailgetreue Beschreibung scheitert an den Fesseln der deutschen Grammatik. Die kennt dummerweise keine Steigerungsform für den Superlativ. Bescheiden wir uns also mit dem Vokabular, das der Duden zur Verfügung stellt. Es war noch gigantischer, noch spektakulärer, noch infernalischer und: noch politischer. Musikalischer Mauerbau in höchster Vollendung.
RÜCKBLENDE: Nach der Veröffentlichung des Doppel-Albums „The Wall“ 1979 führen Pink Floyd ihre Rock-Oper 80/81 weltweit nur in vier Hallen auf: im Nassau Colisseum/N.Y., in der Sports Arena/L.A., im Londoner Earl’s Court – und in der Westfalenhalle. Vom 13. bis 20. Februar 1981 spielt die letztmals komplette britische Kult-Band an acht Abenden in Folge in Dortmund. Aus ganz Europa pilgern die Fans zum „Konzertereignis des Jahrhunderts“ an die B1, um die vertonte Lebensgeschichte des Musikers „Pink“ zu hören und zu sehen. In Wahrheit ist es die Geschichte von Roger Waters. Der Tod des Vaters im Krieg. Eine Horror-Schulzeit mit tyrannischen Lehrern. Die erdrückende Liebe einer Über-Mutter. Die gescheiterte Ehe. Das alles ist Waters selbst. Vor allem aber: die Entfremdung von seinem Umfeld. Zuschauermassen schrecken ihn ab, die Oberflächlichkeit mancher Fans widert den Egozentriker an. Und mit den Bandkollegen hat sich der Perfektionist während der Studioarbeiten an „The Wall“ auch hoffnungslos zerstritten.
30 Jahre später ist von der Wut, der Aggression und Frustration, die Roger Waters einst zu seinem Hauptwerk trieben, nichts mehr zu spüren. Mit den Fans hat der bald 68-Jährige längst seinen Frieden gemacht. Und sich sogar mit den Bandkollegen, mit denen er jahrelang nur über Anwälte gesprochen hatte, ausgesöhnt. Unlängst in London hatten Gitarrist David Gilmour und Schlagzeuger Nick Mason – nach dem Tod von Syd Barrett und Rick Wright die letzten noch lebenden Pink-Floyd-Mitglieder – sogar einen Kurzauftritt an der Seite von Waters. Man mag es Altersweisheit nennen. Oder Altersmilde. Jedenfalls: Aus dem Menschenfeind ist ein netter Kerl geworden, dem die Arbeit sichtlich Freude bereitet.
Von seinem Alter ist am Samstag ohnehin nichts zu spüren. Roger Waters hat für die Jubiläumstour das gemacht, was er schon mit Pink Floyd zu allen Zeiten stets getan hat: die technischen Möglichkeiten seiner Zeit voll ausgeschöpft. Moderner geht’s nicht. Das mehr als drei Jahrzehnte alte Konzeptalbum kommt als „The Wall reloaded“ daher. 73 Meter ist die Mauer diesmal breit, 11 Meter hoch. Sie wird komplett zur Projektionsfläche für Filmsequenzen und für Gerald Scarfes ebenfalls vollständig überarbeitete Animationen.
In die Musik hat Waters kaum eingegriffen. Ein paar Passagen nur sind neu arrangiert. Abstürzende Flugzeuge und Überwachungs-Hubschrauber fehlen eben so wenig wie der Lehrer-Tyrann und die pralle Mutter als überdimensionale Marionetten. Das unvermeidliche Pink-Floyd-Schwein fliegt über den Köpfen der Zuschauer durch die Arena. Eine Show auf Blockbuster-Niveau. Ganz großes Ohren-, Augen- und Gefühlskino.
Und ein klares politisches Statement gegen Krieg und jede Form von gewalttätigem Konflikt. Als Mahnung lässt Waters Portraits von Kriegsopfern auf die obligatorische runde Leinwand über der Bühne und auf die Mauer projezieren. Auch die Antwort auf eine der vielen Fragen, die Pink an seine Mutter hat („Should I trust the government?“), gibt die Wand in überdimensionalen, blutroten Lettern: „No fucking way!“ Vertrauen in die Regierung? Auf gar keinen Fall.
Natürlich hat Roger Waters hochkarätige Musiker an seiner Seite. Snowy White und Dave Kilminster erheben die anspruchsvollen Gitarrenparts bei „Another Brick In The Wall“, „Young Lust“, „Hey You“ oder „Run Like Hell“ zu einem grandiosen Hörerlebnis und spielen sich bei „Comfortably Numb“ in den Olymp. Viele Experten halten diese Komposition, bei der auf „The Wall“ David Gilmour glänzt, für den perfekten Rocksong – mit zwei der unglaublichsten Gitarrensoli der Rockgeschichte. Schließlich stürzt die Mauer ein. Ein letzter Superlativ, ein Funke Hoffnung am Ende der düsteren Rock-Oper. Allemal größer als die Hoffnung, „The Wall“ irgendwann noch einmal mit Rogers Waters auf der Bühne zu sehen.