Anwälte setzen die Krefelder Staatsanwaltschaft unter Druck: Sie soll die Nummer 2 der „Colonia Dignidad“ verfolgen. Der frühere Sektenarzt Hartmut Hopp lebt in der Stadt. Doch wo er sich aufhält, ist unklar.
Berlin/Krefeld.
Auf die NRW-Justiz ist Wolfgang Kaleck nicht gut zu sprechen. Der Berliner Anwalt ärgert sich, dass alle Verfahren gegen Ex-Mitglieder der Sekte „Colonia Dignidad“ erlahmen.
Am Donnerstag reichte seine Kollegin Petra Schlagenhauf bei der Staatsanwaltschaft in Krefeld zwei Anzeigen ein. Eine betrifft drei junge Chilenen, die in den 70er Jahren ermordet wurden und deren Spur sich in der Sekte verlor. Der Vorwurf ist, dass die Militärdiktatur damals in der deutschen Kolonie foltern ließ. Im zweiten Fall vertritt sie zwei Mandanten, die als Kinder und Jugendliche sexuell missbraucht wurden, meist unter Einfluss von Medikamenten und angeblich sogar noch bis zum Jahr 2002. Die Aufsicht hatte ein Mann, der zuletzt in Willich lebte, nun in Krefeld angemeldet ist und früher Sektenarzt war: Hartmut Hopp. Über ihn legte am Donnerstag das Europäische Zentrum für Menschenrechte (ECCHR) ein Dossier vor. Bis heute gilt er als die Nummer zwei von „Colonia Dignidad“, nachdem Sektenchef Paul Schäfer im April 2010 in einem Gefängnis in Chile starb.
„Da ist eine Menge schief gelaufen“
Wo er sich in Krefeld aufhält, ist unklar. In chilenischen Medien wird die „Freie Volksmission“ am Herbertzhof als Anlaufstelle für Bewohner der Kolonie genannt. Die Staatsanwaltschaft ermittelt seit Tagen. Mit ihren Anzeigen verfolgen die Anwälte mehrere Ziele. Erstens haben sie erst als Nebenkläger das Recht, die Akten einzusehen. Zweitens beträgt die Verjährungsfrist für den sexuellen Missbrauch zehn Jahre. Mit der Anzeige halten sie die Uhr an. Drittens sichert ihnen die Aktion Öffentlichkeit und setzt nicht zuletzt die Staatsanwälte in Krefeld unter Druck.
Dabei gilt Kalecks Kritik keineswegs ihnen, sondern ihren Bonner Kollegen. Die hatten seit 1985 ermittelt und die Arbeit eingestellt. Seine Hoffnung sei, dass die rot-grüne Regierung erkenne, „da ist eine Menge schief gelaufen, vielleicht kümmern wir uns selber darum“, so Kaleck. Die Aktivisten lassen nicht locker, obwohl Täter wie Opfer oft längst verstorben und Verbrechen verjährt sind. Der Fall Hopp ist der letzte Strang zu einer Jahrzehnten alten, schier unendlichen Leidensgeschichte. „Man muss einfach irgendwo anfangen“, erklärt Kaleck.
Mehrjährige Haftstrafe in Chile
In Chile wurde Hopp zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt. Bei Interpol wird er gesucht. Chile hat aber nicht seine Auslieferung beantragt. Warum auch? Deutschland liefert keinen Bundesbürger gegen seinen Willen aus. Von der Bonner Staatsanwaltschaft wurde er nie vernommen. Und als der Mediziner 1988 vor einen Bundestagsausschuss geladen wurde, setzte sich Hopp ab.
Die Anfänge der Kolonie gehen auf das Jahr 1961 zurück. Etwa 300 Menschen aus Siegburg siedelten nach Chile um. Sie kauften 3000, später 18 500 Hektar im Süden des Landes. Hopp reiste 1962 an, wurde später in die USA zum Studium geschickt und avancierte nach der Rückkehr zum Leiter des Krankenhauses.
Eine Nazisekte war die Kolonie nicht, heißt es beim ECCHR. Man kooperierte mit Militär und Geheimdienst; der gemeinsame Antikommunismus heiligte die Mittel. Regimegegner wurden gefoltert und einige ermordet, so der Vorwurf. Im Gegenzug wurde die „Colonia Dignidad“ als wohltätiger Verein anerkannt. Und Hopp? Der Arzt war der Kontaktmann zum Regime, ein dienstbarer Geist.