Weiße Finger bei Kälte – Alles über das Raynaud-Syndrom
Junge Frau friert draußen im Winter Foto: getty
Bei der Gefäßerkrankung werden Finger bei Stress oder Kälte plötzlich weiß. Die Krankheit ist meist harmlos, muss aber genau diagnostiziert werden.
Essen.
Es passiert ganz plötzlich: Erst verfärbt sich die Kuppe des rechten Ringfingers weiß, dann ist der Mittelfinger dran. An der linken Hand passiert das Gleiche. Die anderen Finger folgen. „Was hast du denn gemacht?“, fragen Freunde entgeistert. „Das sieht ja aus wie abgestorben!“
Im 19. Jahrhundert beschrieb der französische Arzt Maurice Raynaud erstmals eine Erkrankung, bei der die Finger (und manchmal auch die Zehen) plötzliche Durchblutungsstörungen zeigen: das Raynaud Syndrom, oder auch Raynaud-Phänomen. Verantwortlich dafür ist eine anfallartige Verengung der kleinen Blutgefäße, ausgelöst durch Kälte, plötzliche Temperaturveränderung, feuchtkalte Luft oder emotionalen Stress. Nikotin verstärkt die Symptome zusätzlich.
Oft nicht als Krankheit erkannt
„Studien zufolge sind etwa drei bis fünf Prozent der Weltbevölkerung betroffen“, sagt der Angiologe (Gefäßmediziner) Dr. Markus Hörbelt, Oberarzt an der Essener Uniklinik. Frauen häufiger als Männer, Menschen aus nördlichen Ländern häufiger als Menschen aus dem Süden.
Allerdings müsse man von einer hohen Dunkelziffer ausgehen: „Viele Betroffene erkennen die Symptome nicht als Krankheit und arrangieren sich damit.“ Was in etwa 90 Prozent der Fälle nicht problematisch ist – nämlich bei Patienten mit dem „primären Raynaud-Syndrom“. Dieses tritt unabhängig von weiteren Erkrankungen auf, die Anfälle sind kürzer und milder, das Risiko von Gewebeschäden ist gering. Dennoch müsse abgeklärt werden, so Markus Hörbelt, ob ein Betroffener zu besagten 90 Prozent gehöre. Denn die übrigen zehn Prozent leiden unter dem „sekundären Raynaud-Syndrom“, dem eine Vielzahl von verursachenden Erkrankungen zugrunde liegen kann. „Häufig ist das Raynaud-Phänomen Frühsymptom dieser anderen Krankheit, die sich oft erst viel später – oft erst nach einigen Jahren – auch durch andere Symptome bemerkbar macht.“
Die Liste dieser möglichen Grunderkrankungen ist lang: Autoimmunerkrankungen wie Sklerodermie, Entzündungen der Blutgefäße, eine Schilddrüsenunterfunktion oder Tumore. Weiterhin können Vergiftungen mit Schwermetallen, bestimmte Medikamente wie Betablocker oder Chemotherapeutika, so wie auch Drogenkonsum die Durchblutungsstörung herbeiführen. Auch sogenannte Vibrationstraumen können bei bestimmten Berufsgruppen, zum Beispiel im Straßenbau, zu einem sekundären Raynaud-Phänomen führen.
Ein Sieben-Punkte-Katalog soll den Verdacht weiter erhärten
Neben der Kälteempfindlichkeit ist die Farbveränderung ein wesentliches Merkmal der Erkrankung. Sie besteht bei Raynaud-Betroffenen aus mindestens zwei, oft auch drei Phasen: Durch die Minderdurchblutung (Ischämie) wird zunächst eine Weißfärbung mit einhergehendem Taubheitsgefühl verursacht. Wenn das Gewebe nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff versorgt wird, kommt es zu einer Blau- oder Lila-Verfärbung (Zyanose). Oft folgt dann eine Rötung (Reperfusion), die auch mit Schwellung und Schmerzen verbunden sein kann, während das Blut wieder verstärkt in die Gefäße zurückfließt. „Hier spricht man auch vom Tricolore-Phänomen – angelehnt an die Farben der französischen Nationalflagge,“ erklärt Markus Hörbelt.
Sind diese Kriterien erfüllt, können Mediziner den Verdacht anhand eines Sieben-Punkte-Katalogs weiter erhärten. Hier wird zum Beispiel danach gefragt, ob weitere Körperstellen wie Zehen, Knie, Lippen, Ohren, Wangen, Nase oder Brustwarzen stillender Mütter Symptome zeigen.
Hände und Füße warm halten
Das primäre Raynaud-Syndrom bedarf meist keiner besonderen Behandlung. Um die Anfälle zu vermeiden, sollten Hände und Füße stets warm gehalten werden, empfiehlt der Mediziner. „Außerdem kann ein gezieltes Training der Fingermuskulatur helfen, die Symptome zu lindern.“ Auch Entspannungsübungen sind ratsam, da emotionaler Stress ein auslösender Faktor sein kann. Ebenso sollte man auf Nikotin verzichten.
Anders als das primäre Raynaud-Phänomen verursacht das sekundäre Raynaud teils schwere Komplikationen: Die Anfälle können mehrere Stunden anhalten, was zu schweren Gewebeschäden führen und sogar Amputationen notwendig machen kann. Medikamentöse Therapien kommen daher fast ausschließlich beim sekundären Raynaud-Syndrom zum Einsatz. „Hier werden als erster Therapieansatz sogenannte Calciumantagonisten in Tablettenform empfohlen“, erklärt Markus Hörbelt. Zeigt sich keine Besserung, werden auch intravenöse Medikamente, sogenannte Prostaglandine, eingesetzt, um die Durchblutung zu verbessern.
Wer akute Schmerzen hat, könne auch Nitroglycerinsalbe verwenden, um die Gefäße zu entspannen. Eine chirurgische Therapie, zum Beispiel in Form einer Nervendurchtrennung, bleibe hingegen besonders schweren Einzelfällen vorbehalten.