Ein Gesetz soll Hebammen vor weiter steigenden Versicherungsprämien schützen – doch es droht wohl das Gegenteil. Ihr Beruf wird immer unattraktiver.
Duisburg/Essen.
„Für Geburten stehe ich momentan nicht zur Verfügung“: Wer nach einer Hebamme sucht, muss sich derzeit die Finger wundtelefonieren, nicht nur in ländlichen Regionen, auch im Ruhrgebiet. Leidtragende sind Hebammen – und werdende Mütter. Weil es immer weniger freiberufliche Hebammen gibt, die noch Geburtshilfe anbieten. Und die Probleme verschärfen sich zunehmend.
Viele Frauen wünschen sich eine enge und persönliche Betreuung von der Schwangerenvorsorge bis zur Wochenbettbetreuung – die finden sie vor allem bei freiberuflichen Hebammen. Wer vor der Geburt steht, muss durchschnittlich mittlerweile bei 15 Hebammen anfragen. Jüngst habe es einen Fall in NRW gegeben, dass eine werdende Mutter von 61 Hebammen eine Absage bekam. „Manche Frauen organisieren inzwischen erst die Hebamme, bevor sie überhaupt daran gehen, ein Kind zu zeugen“, sagt Renate Egelkraut, Vorsitzende des Hebammenverbands NRW und selbst mit 25 Jahren Erfahrung als Hebamme. Ihr Fazit: „Die Situation ist absurd“.
Hebammen-Haftpflicht ist jetzt auf 6274 Euro im Jahr gestiegen
Bundesweit sollen alleine im vergangenen Juni etwa 150 freiberuflich tätige Hebammen die Geburtshilfe aufgegeben haben, heißt es beim Deutschen Hebammenverband. Und vieles spricht dafür, dass sich der Trend fortsetzt. In NRW werden aktuell noch 200 Hebammen geschätzt, die selbstständig sind und auch bei Geburten zur Hand gehen. Vordergründig werden dabei die enormen Kosten für die Haftpflichtversicherung als Grund genannt: seit 1. Juli ist die Prämie auf 6274 Euro pro Jahr gestiegen – also um 23,5 Prozent. Wer aus der Geburtshilfe aussteigt, zahlt derzeit nur 457,20 Euro im Jahr. Doch das Problem ist viel komplizierter.
Zum einen ist da der Streit zwischen dem Gesamtverband der Kranken- und Pflegekassen und dem Hebammenverband, den jetzt ein Schiedsgericht klären muss: Darin geht es um die generelle Vergütung für Hebammen, um die Forderung nach Qualitätskriterien bei Hausgeburten und wieviel Geld die Kassen freiberuflichen Hebammen zuschießen als Ausgleich für die gestiegenen Kosten der Haftpflicht. Die wollte auch der Bundestag mindern helfen – doch hier beißt sich die Katze in den Schwanz:
„Es ist wie in einem Hamsterrad“, beschreibt Bernd Hendges, Versicherungsmakler des Deutschen Hebammenverbands. Jahrelang hat sich die Politik nicht mit dem Thema beschäftigt, bis Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) auf drängen von Hebammen die Initiative ergriff. Jüngst hat der Bundestag einen „Regressverzicht“ beschlossen. Krankenkassen sollen in bestimmten Fällen ihre Kosten nicht mehr der Haftpflichtversicherung anlasten, wenn es bei einer Geburt durch eine Hebamme zu einem verhängnisvollen Fehler kommt. Eigentlich sollte das dazu dienen, den Anstieg der Versicherungsprämien zu mindern, weil dem Versicherer Risiko genommen wird. Doch das Gegenteil droht: „Dadurch wird alles nur noch teurer“, befürchtet Hendges.
Gesetz soll Hebammen helfen – aber Gegenteil droht
Die Hebammen stecken in einer verfahrenen Situation. Sie fordern von den Krankenkassen mehr Geld, vor allem weil die Haftpflichtprämien steigen. Die Kassen wiederum sorgen mit dafür, dass diese Prämien teurer werden, weil sie auch bei Hebammen auf das „Verursacherprinzip“ beharren, wie Florian Lanz erklärt, Sprecher des Gesamtverbands der gesetzlichen Krankenkassen: „Wenn eine Hebamme für einen Geburtsfehler verantwortlich ist, soll sie auch dafür gerade stehen“.
Der GKV ist deshalb gegen den Regressverzicht. Der ist ab kommendem Jahr Gesetz, aber halbgar: Erstmals wird dann bei Hebammen-Fehlern zwischen leichter und grober Fahrlässigkeit unterschieden. Die Folge: „Die Kassen werden jeden nun kommenden Fall durchprozessieren“, glaubt Hendges, um Hebammen grobe Fahrlässigkeit zu unterstellen. Das lässt das Kostenrisiko für Versicherer noch mehr steigen, die sich inzwischen reihenweise aus dem Heilwesen verabschiedet haben. Die Kosten bei schweren Geburtsschäden sind in den vergangenen drei Jahren explodiert. Ein schwerer Geburtsfehler schlage heute durchschnittlich mit 2,6 Millionen Euro zu Buche, heißt es beim Gesamtverband der Deutschen Versicherer.
Zahl der Hebammenschülerinnen hat sich halbiert
Wer will da noch Hebamme werden – vor allen Dingen: freiberuflich? Laut Hebammenverband hat sich die Zahl der Hebammenschülerinnen seit 2011 halbiert. Tatsächlich aber ist die Nachfrage nach Hebammen groß, manche Krankenhäuser haben mittlerweile die Dienstzeiten in den Kreißsälen reduziert – weil Personal fehlt, aber wegen des Zwang zu Kosteneinsparungen nicht eingestellt werden kann. Freiberufliche Hebammen müssen reihenweise Anfragen abweisen – auch wenn es nur um Schwangerschaftsbegleitung oder Wochenbettbetreuung geht. Kristin Weißbach zum Beispiel, Hebamme in Duisburg sagt, „ich habe fünfmal so viele Anfragen derzeit, wie ich annehmen kann“. Bis Ende des Jahre sei sie ausgebucht. Geburtsbegleitung mache sie im übrigen nur an einem Oberhausener Krankenhaus, wo sie eine Viertel-Stelle hat und sie deshalb nicht die Versicherungsprämie finanzieren muss. „Als junge Hebamme trauen sich viele nicht in die Freiberuflichkeit – weil sie nicht wissen, ob sie tatsächlich davon werden leben können“.
Die Aussichten für Hebammen werden unterdessen nicht besser. In NRW werden 20 Prozent der Geburten von freiberuflichen Hebammen betreut. Noch können Frauen wählen, wo sie gebären wollen. Doch in vielen Regionen sei die Wahlfreiheit faktisch ohne Wert: weil sich nur noch in Kliniken Hebammen finden. Studien zeigen jedoch, dass Gebärende in Hebammengeführten Einrichtungen besser betreut werden als in Krankenhäusern.
Hebammen haften 30 Jahre für Geburtsfehler
Für Renate Egelkraut vom Hebammenverband in NRW ist die Höhe der Haftpflichtversicherungsprämie nicht Hauptgrund für die schlechte Perspektive für das Berufsbild Hebamme: „Das allgemeine Haftungsrisiko ist gewachsen, obwohl sich die Zahl der Geburtsfehler seit Jahren nicht verändert“. Bis 30 Jahre nach einer Geburt muss man als Hebamme für mögliche Geburtsfehler haften. „Diese Verantwortung ist vielen Kolleginnen erst in den vergangenen drei, vier Jahren bewusst geworden“, seitdem die Prämien soviel teurer geworden sind, sagt Egelkraut. Arbeitsverdichtung und Dokumentationspflichten hätten den Beruf zudem unattraktiver gemacht.
Renate Egelkraut überlegt unterdessen, in ihren Beruf zurückzukehren. Ihre Kinder seien nun alt genug, sagt die dreifache Mutter. Bei den Neuwahlen im Herbst im Hebammenverband will sie nicht mehr antreten. Sie plant, wieder freiberuflich als Hebamme zu arbeiten. „Es spricht nichts dafür“, sagt Egelkraut: „außer wahnsinniger Idealismus“.