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Gefährlicher Stein im Schuh

Gefährlicher Stein im Schuh

Viele Tausend Füße und Zehen werden in Deutschland jedes Jahr amputiert. Genaue Zahlen gibt es nicht, Schätzungen gehen aber von 40.000 und mehr Operationen aus. Besonders oft sind Diabetiker betroffen.

München/Dinklage (dapd). Viele Tausend Füße und Zehen werden in Deutschland jedes Jahr amputiert. Genaue Zahlen gibt es nicht, Schätzungen gehen aber von 40.000 und mehr Operationen aus. Besonders oft sind Diabetiker betroffen. „Durch den erhöhten Blutzuckerspiegel bei Diabetes Mellitus kommt es zu Gefäßschäden, Durchblutungsstörungen und Ausfällen der für Bein und Fuß zuständigen Nerven“, erklärt Professor Markus Walther, Chefarzt am Zentrum für Fuß- und Sprunggelenkchirurgie an der Schön Klinik München Harlaching.

Diese Einschränkungen, medizinisch als „diabetisches Fußsyndrom“ bezeichnet, führen dazu, dass schon kleinste Fußverletzungen zu Komplikationen führen können. Nicht nur die Wundheilung ist bei Diabetikern deutlich schlechter, ihre eher trockene Haut neigt auch stärker zu Verletzungen. „Das Tückische ist allerdings, dass durch die Nervenschädigungen Verletzungen nur spät oder auch gar nicht wahrgenommen werden“, sagt Professor Walther. „Und bis der Diabetiker dann endlich zufällig sieht, dass seine Füße verletzt sind, kann bereits eine gefährliche Infektion entstanden sein, die dann leider nicht immer geheilt werden kann.“

Ein typischer Fall: Am Wochenende ist der Enkel zu Besuch und spielt mit dem Großvater Lego: „Dabei gelangt ein Spielstein in den Schuh des Großvaters, der davon nichts bemerkt“, berichtet Professor Walther von einer tatsächlichen Begebenheit. Über mehrere Tage trägt der Großvater immer wieder den Schuh, ohne den Stein zu bemerken. Als er die Druckstelle am Fuß registriert, ist es zu spät: „Die Verletzung war so weit fortgeschritten, dass wir amputieren mussten“, sagt Walther und betont: „Diese Geschichte ist auch deshalb so traurig, weil sie vermeidbar gewesen wäre.“ Der Experte rät deshalb allen Diabetikern mit Fußproblemen dringend, die Schuhe vor dem Anziehen immer genau abzutasten. „Das klingt für viele Betroffene übertrieben, ist aber ein ganz wichtiger Grundsatz für die Fußgesundheit.“

Ob die Füße bereits in Mitleidenschaft gezogen worden sind, merkt man nicht gleich. Im Anfangsstadium sind die Symptome häufig noch unauffällig. Warnzeichen sind eine trockene Haut oder eine verringerte oder fehlende Schweißbildung. „Im weiteren Verlauf der Erkrankung zeigen sich weitere Veränderungen deutlicher“, sagt der Experte. „Betroffene berichten über das Gefühl, wie auf Watte zu gehen, oder von einem Kribbelgefühl an den Beinen wie Ameisenlaufen.“ Spätestens jetzt wird es Zeit, sich zu einem Spezialisten zu begeben, zum Beispiel in eine diabetische Schwerpunktpraxis oder in eine Fußambulanz. „Diabetiker sollten sich grundsätzlich ein- bis zweimal pro Jahr vom Experten durchchecken lassen“, sagt Walther.

„Wer Probleme mit den Füßen hat, sollte sich auch in die Hände medizinischer Fußpfleger, sogenannter Podologen, begeben“, rät der Professor. Hier besteht jedoch häufig eine Hemmschwelle. Nicht jeder möchte die Hände fremder Menschen an den eigenen Füßen sehen. Das erlebt auch Annette Lübbehüsen, Podologin mit einer Schwerpunktpraxis für Risikopatienten in Dinklage, im Gespräch mit vielen ihrer Patienten: „Oft wird mir erzählt, dass man sich lange vor dem Termin gedrückt hat, vor allem wenn die Füße nicht mehr so schön aussehen.“ Scham sei jedoch beim ausgebildeten Podologen nicht nötig: „Die Behandlung und Pflege von erkrankten Füßen ist schließlich unser Beruf.“

Zwei Jahre dauert die Ausbildung zum Podologen mindestens, mit Weiterbildungen und Schwerpunktzertifikaten länger. „Fußpfleger darf sich in Deutschland jeder nennen, auch ohne Ausbildung, deshalb ist es so wichtig, dass Patienten sich genau über die Ausbildungshintergründe informieren.“ Beim Podologen erwartet Patienten nämlich weitaus mehr als reine Fußpflege: „Wir schauen uns den Fuß ganz genau an, messen die Sensibilität und Fußpulse und machen einen umfassenden Befund“, erklärt Lübbehüsen. Neben Nägelschneiden und Hornhautentfernung gehört zur Aufgabe des Podologen auch das Erkennen kleinster Verletzungen oder Pilzerkrankungen. „Wir therapieren Risse in den Fersen, wie sie bei Diabetikern häufig vorkommen, und versorgen Problemzonen, wie zum Beispiel Krallenzehen, durch spezielle Polsterungen.“

Auch die Schuhe werden betrachtet, um Fehlstellungen oder Druckgefahren zu erkennen. Rund eine Stunde dauert so eine Behandlung. Die Krankenkasse zahle leider nicht bei jedem Diabetiker, bedauert die Expertin: „Erst wenn eine Angiopathie, also eine Gefäßschädigung, oder eine Neuropathie, eine Beeinträchtigung der Nervenfunktion, diagnostiziert wird, gibt es die medizinische Fußpflege für Diabetiker auch auf Rezept.“

dapd

2013-01-08 07:53:00.0