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Was Renault aus dem Twingo gemacht hat

Was Renault aus dem Twingo gemacht hat

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Foto: Sebastian Konopka
Renaults Modell Twingo revolutionierte 1993 das Kleinwagenbild, heute ist er eine Smart-Kopie. Was vom knuffigen Auto übrig blieb, ist nicht viel mehr als der Mythos.

Essen. 

Kein anderes Massenauto hat sich so oft gehäutet wie der Renault Twingo. Als auf Kleinwagenformat geschrumpfter Minivan mit großen Kulleraugen machte er bei seinem Erscheinen vor über 20 Jahren „die Welt verrückt“ (damaliger Werbeslogan). 2007 mutierte er zum charakterfreien Allerweltswagen im Langeweile-Look der späten Nuller-Jahre. Jetzt gibt es den kleinsten Renault erstmals und nur noch als Viertürer – und mit Heckmotor. Wie viel Ur-Twingo in der Generation drei steckt, klärt ein Treffen mit einem Vertreter der alten Schule.

Ur-Modell bis 2013 in Kolumbien

Rückblick ins Jahr 1993. Renault verfrachtet die ungemein praktische, um 17 (!) Zentimeter verschiebbare Rücksitzbank in eine 3,43 Meter kurze Karosserie im sogenannten One-Box-Design, also wie bei einem Minivan eine durchgehende Form ohne abgesetzte Motorhaube, geschweige denn Kofferraum. Innendrin geht es wild und bunt durcheinander, der Digitaltacho sitzt in der Mitte des Armaturenbretts, das natürlich gar keins mehr ist. Die Autojournalisten rufen „Chapeau!“, und die Menschen lieben die knuffige Kiste für weniger als 16.000 Mark, besonders mit Faltdach. Dass anfangs noch der steinalte Motor aus dem R4 im Twingo werkelt, stört dabei keinen, und mit der Crashsicherheit war es auch nicht weit her. Greenpeace dient der klassenlose Twingo als Ausgangsmodell für sein Benzinsparauto Smile.

Bis 2007 wird der Twingo so ohne nennenswerte äußere Änderungen verkauft. Am Ende gibt es das ehemalige Volksauto auch in Luxusausstattungen mit Glasdach, 75 PS und Metalliclack, zum Beispiel unter dem unbescheidenen Beinamen Elysee, den bekanntlich auch der französische Präsidentenpalast trägt. Über den Twingo II, eigentlich ein verkürzter Renault Clio, soll hier der gnädige Mantel des Schweigens gedeckt werden, außer für diese Randnotiz. In Kolumbien wurde noch bis 2013 das Original angeboten. Auf dem Ebay-ähnlichen Portal mercadolibre.com.co kann man sich einen Überblick verschaffen und vom Import eines der letzten von über 2,4 Millionen Ur-Exemplaren träumen.

Wendekreis: Weniger als neun Meter

Das einzige, was vom traurigen Twingo Nummer zwei übrig bleibt, ist der Produktionsstandort im slowenischen Novo Mesto. Man muss ja auch nicht lange drumherumreden: Der neue Twingo ist nichts anderes als ein viertüriger Smart, der vom gleichen Band rollt. Das beide nicht die Welt verrückt machen werden, steht ihnen ins plattgedrückte, an eine Bulldogge erinnernde Gesicht geschrieben.

Und wegen der Wahlverwandtschaft zum Smart trägt auch der Renault den Motor jetzt hinten. Das verkleinert den sogenannten Kofferraum zu einem besseren Handschuhfach zwischen Motorabdeckung und Glasklappe, das zudem noch von der Wärme des Dreizylinders kräftig beheizt wird. Da ruft niemand mehr „Chapeau“. Tatsächlich ist der Wendekreis des 3,60 Meter kurzen Viertürers mit weniger als neun Metern winzig. Aber das gleiche Kunststück gelingt Toyota bei seinem kurzen IQ auch ohne Heckantrieb.

Ein Auto, das man sich schönfahren muss

Schon vor dem Einsteigen missmutig geworden, dreht man am Zündschlüssel des Neulings (ab 10.000 Euro mit 71 PS) und versucht, irgendetwas vom alten Charme wiederzuentdecken. Leider vergeblich. Auch das Raumgefühl ist nicht besser als anno 1993. Es ist ein Auto, das man sich schönfahren muss. Und tatsächlich löst der neue wenigstens etwas ein, das der alte Twingo nur versprach: eine überragende Sitzposition fast wie in einem Van, die sich in der Karosseriehöhe von stolzen 1,55 Meter widerspiegelt.

Aber vielleicht haben wir ja Glück, und der nächste Twingo häutet sich wieder, auf dass aus der smarten Raupe wieder ein leichtlebiger Schmetterling wird.

Auf die Ausstattung kommt es an

Die letzten alten Twingo-Modelle von Baujahr 2007 stehen mit einer ungewöhnlich weiten Preisspanne von 800 bis 4300 Euro in der Schwacke-Liste. Die Minimalsumme gibt ein Händler für die ungeliebten Automatikmodelle. Der Höchstpreis wird vom professionellen Verkäufer für die stärkere 75-PS-Version in der hochwertigen Ausstattung Initiale verlangt. Der schwächere 58-PS-Motor senkt den Verkaufspreis beim Händler um rund 450 Euro auf 2950 Euro für die beliebte Version Edition Toujours. Wer das Risiko nicht scheut: Auf dem Privatmarkt sind die Preise geringer, besonders für die Basisversion Authentique.

Schiebedächer
sind beliebt, die mit der Hand nach hinten zu schiebende Falt-Variante ist im Alter selten noch so straff, dass es nicht bei höherem Tempo pfeift. Grundsätzlich ist ein Renault kein Mercedes und ein Twingo kein Polo. Doch der Twingo zählt zu den ersten Fahrzeugen, die von dem gehobenen Qualitätsverständnis bei Renault profitierten. Rost, zuvor bei Renault scheinbar serienmäßig, spielt kaum eine Rolle mehr. Auch Leckagen an Getriebe und Motor haben Seltenheitswert, von früheren Exemplaren bis 1996 einmal abgesehen. Über eine Viertelmillion der alten Twingos fahren noch über Deutschlands Straßen.