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Witze als Therapie – Kerkeling über seine traurige Kindheit

Witze als Therapie – Kerkeling über seine traurige Kindheit

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Foto: Getty Images
Seine Komik hatte einen therapeutischen Sinn: Hape Kerkeling wollte seine depressive Mutter erheitern. Doch tragischerweise konnte der Junge ihren Freitod nicht verhindern. Das erzählt der gebürtige Recklinghäuser in seinem Buch über seine Jugendjahre. Nicht nur das berührt.

Berlin/Recklinghausen. 

Mit „Ich bin dann mal weg“ landete Hape Kerkeling (49) einen fulminanten Bestseller. In seinem neuen Buch „Der Junge muss an die frische Luft“ (Piper, 320 Seiten, 19,99 Euro) spricht der Entertainer über seine Kindheit im Ruhrgebiet. Er erzählt von den wichtigen Menschen in seinem Leben und von Verlusten: Als Kerkeling acht Jahre alt war, beging seine Mutter Selbstmord.

Was erlebt ein Mensch, zudem noch als Kind, der neben seiner Mutter schläft, während sie stirbt? Die Nacht in „katatonischer Starre“ im Bett der Frau, die ihn gebar und über das achtjährige Kind hinweggeht, als sie eine Überdosis Schlaftabletten schluckt, ist die zentrale Katastrophe in Hape Kerkelings Kinderjahren. Der Entertainer, 49, offenbart die tief in ihm nistende Traurigkeit. 1973 hatte die Mutter ihn vor den Fernseher gesetzt, als sie im Nachbarzimmer ihr Sterben einleitete. Klein-Hape hockt vor der Glotze bis Sendeschluss. Müde kriecht er ins Bett der Mutter, die komische Geräusche macht, die ihn ängstigen, die er sich aber nicht erklären kann. Als morgens der Vater von der Nachtschicht kommt, ist es zu spät.

Kerkeling wollte seine Mutter aufheitern

Kerkelings Mutter war durch einen Geburtsfehler ohne Geschmacks- und Geruchssinn. Sie war dauerhaft depressiv und der Sohn, damals noch Hans-Peter, hatte es sich zur „komischen Mission“ gemacht, sie mit kleinen Shows aufzuheitern. Das war in den 1960er-Jahren in Recklinghausen, der Vater malochte für die Familie, die Mutter saß mit dem Sohn zu Hause. Er imitierte Theo Lingen und Jürgen von Manger, so dass die Mutter auch mal lachte, dann versackte sie wieder „in diesem tiefen dunklen Loch ohne Ausweg“. Kerkeling führt seinen Weg in die Unterhaltungskunst auf diese Zeit zurück. Er habe sich vorgenommen, „das passiert mir nicht wieder“.

Hape Kerkeling alias Horst Schlämmer, der dem Wörtchen „Hurz!“ zur Verbreitung verhalf und mit seiner spirituellen Reise auf dem Jakobsweg – sein Bericht hieß „Ich bin dann mal weg“ – monatelang auf den Bestsellerlisten war, überrascht hier mit Erzählungen über seine Kindheit. Die populäre Rampensau von einst hat sich mit dem Wanderbuch freigeschrieben von Zwängen des Entertainments, zudem ist er mit dem Buch reich geworden. Er lebt in der Toskana und lässt es sich gut gehen nach der Erschöpfung, die ihn vor einigen Jahren aus der Komik hebelte.

Nun entschuldigt er sich, dass er „großspurig ein Buch über seine Kindheit verfasst“ habe, aber die 300-Seiten-Biografie verrät an keiner Stelle Großspurigkeit, wie sie Memoiren vieler Künstler durchblicken lassen. Es soll die Begegnung mit einem todkranken Neunjährigen gewesen sein, für den er noch mal den Schlämmer gab. „Das war Horsts letzter und vielleicht wichtigster Auftritt“, resümiert er danach, entscheidet „Horsts komische Mission ist erfüllt“ und ahnt zugleich: „Vielleicht muss ich doch irgendwann einmal die Ereignisse meiner eigenen Kindheit mutig Revue passieren lassen“. Dieser Erkenntnis verdanken wir dieses ehrliche Buch.

Verwirrend, aber berührend

Kerkeling fragt sich, warum er, „der gemütliche, tapsige Typ“, unbedingt berühmt werden wollte und das als Kind schon. Er findet einige Antworten, hauptsächlich die, dass er es als Sechsjähriger seiner Oma versprochen habe. Der tragische mütterliche Hintergrund wird diskret geschildert, klar ist trotzdem, dass er lange gegen das Trauma anwitzeln musste, bis er es jetzt womöglich bewältigt hat.

Die Oma half dem trauernden Kind auf ihre Weise: „Aus dir wird einmal etwas ganz Besonderes werden, denn du wirst eines Tages sehr berühmt sein. Die Oma kann das jetzt schon sehen.“ Auch die geschlechtliche Neigung des Enkels hatte die alte Frau früh erfasst und im Familienrat gedonnert: „Er bleibt Junggeselle!“ Daran hielt sich der Nachfahre.

Ein anekdotenreiches, mitunter etwas verwirrendes, aber durchweg berührendes Buch. Hape Kerkeling zitiert Sören Kierkegaard: „Vorwärts leben wir, und erst rückwärts verstehen wir.“