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Kann Gentechnik den Kampf gegen den Welthunger gewinnen?

Kann Gentechnik den Kampf gegen den Welthunger gewinnen?

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Getty Images Editorial All-2_507220793-HighRes.jpg Foto: Moment Mobile/Getty Images
Im Labor optimierte Pflanzen könnten die Welternährung sichern, sagen Forscher. Gentechnik-Gegner kämpfen erbittert gegen diese Idee.

Berlin. 

Rund 800 Millionen Menschen weltweit leiden unter Hunger. Und die Weltbevölkerung wächst weiter. Bis zum Jahr 2050, so schätzen die Vereinten Nationen (UN), werden fast zehn Milliarden Menschen auf der Erde leben. Um sie zu ernähren, müsste sich die landwirtschaftliche Produktion nach Einschätzung der UN-Ernährungsorganisation (FAO) verdoppeln. Doch Wasser- und Flächenknappheit, Pestizide und Monokulturen sind schon heute ein Problem. Gentechnisch veränderte Pflanzen gelten als mögliche Lösung – aber seit Jahrzehnten tobt darum ein erbitterter Streit.

Insgesamt wachsen derzeit auf etwa 13 Prozent der Felder weltweit gentechnisch veränderte Pflanzen – überwiegend Mais, Soja und Baumwolle. 162 Millionen der insgesamt rund 180 Millionen Hektar liegen in den USA, Brasilien, Argentinien, Indien und Kanada. In Europa und speziell Deutschland haben die Genpflanzen einen schweren Stand – zum Unmut vieler Wissenschaftler.

„Verbrechen gegen die Menschlichkeit“

Einen Höhepunkt erreichte die weltweit geführte Debatte im Sommer 2016: In einem offenen Brief sprachen sich mehr als 100 Nobelpreisträger für Gentechnik zur Sicherung der Welternährung aus. Sie warfen der Umweltorganisation Greenpeace vor, Fakten zu leugnen und falsch darzustellen. Dies gelte insbesondere für den Goldenen Reis. Bei dieser Sorte sorgen Gene anderer Pflanzen für die Bildung von Provitamin A im Korn. Das soll den verbreiteten Vitamin-A-Mangel in der Welt bekämpfen.

„Wir rufen Greenpeace auf, ihre Kampagne gegen den Goldenen Reis im Speziellen und gegen biotechnologisch verbesserte Feldfrüchte und Nahrungsmittel im Allgemeinen einzustellen“, heißt es in dem Brief, der mit der Frage endet: „Wie viele von Armut betroffene Menschen in der Welt müssen noch sterben, bevor wir dies als Verbrechen gegen die Menschlichkeit anerkennen?“

Warum der Goldene Reis scheiterte

Der Goldene Reis, benannt nach der Farbe seiner Körner, wurde von den Biologen Ingo Potrykus und Peter Beyer aus Zürich und Freiburg im Jahr 2000 im Magazin „Science“ der Öffentlichkeit vorgestellt. „Wir haben ihn entwickelt, weil Reis das Hauptnahrungsmittel von fast zwei Milliarden Menschen ist, von denen viele in Armut leben“, erinnert sich der inzwischen emeritierte Potrykus.

Weil für die weitere Entwicklung des Produkts öffentliche finanzielle Unterstützung fehlte, boten die Forscher die kommerzielle Nutzung ihres Patents gegen die Unterstützung ihres Projekts an. Der Konzern Zeneca, inzwischen Syngenta, sagte zu, das Saatgut Bauern in Entwicklungsländern zum Preis konventioneller Sorten zur Verfügung zu stellen, wenn ihr Jahresumsatz 10.000 US-Dollar (umgerechnet knapp 9000 Euro) nicht übersteigt.

Manche Medien reagierten damals euphorisch: „Dieser Reis könnte jährlich eine Million Kinder retten“, titelte das US-Magazin „Time“. Doch 16 Jahre später ist von dem Überschwang wenig geblieben: In keinem Land ist die Pflanze bislang zugelassen. „Wäre der Goldene Reis durch normale Züchtung entstanden, wäre er längst auf den Feldern“, sagt Potrykus bitter. „Die intensive politische Aktivität von Greenpeace und anderen Nichtregierungsorganisationen hat die Zulassung bisher verhindert.“

Kommt der Durchbruch im Öko-Anbau?

„Die Zulassung ist nicht an uns gescheitert, sondern an technischen Problemen, trotz Milliardeninvestitionen. Das zeigt, dass die Gentechnik keine Perspektive für die Welternährung bietet“, sagt Greenpeace-Vertreter Dirk Zimmermann. Auch der Schweizer Landwirtschaftsexperte Hans Rudolf Herren sieht in dem auf Vitamin-A-Versorgung getrimmten Reis den falschen Ansatz zur Lösung des Welternährungsproblems.

„Vitamin-A-Mangel ist eine Folge von Armut“, betont er, „wir müssen die Armut bekämpfen, statt Goldenen Reis zu propagieren. Wir produzieren heute schon genug Nahrung für 14 Milliarden Menschen.“ Mittel der Wahl sei der ökologische Landbau, mit dem man nicht nur die Erträge, sondern auch die Nährstoffe pro Hektar weltweit deutlich steigern könne, sagt der Träger des Welternährungspreises und des Alternativen Nobelpreises (Right Livelihood Award). Erste Maßnahmen sollten die Verbesserung der Böden und das Ende der Monokulturen sein.

Doch ist ein Durchbruch der ökologischen Landwirtschaft in den kommenden Jahren zu erwarten? Der Biotechnologe Wilhelm Gruissem von der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH) hält dieses Szenario für unrealistisch: „Es ist illusorisch zu denken, dass wir bis 2050 alle Menschen mit Biolandbau ernähren können.“

Er hat Reispflanzen so verändert, dass sie deutlich mehr Eisen enthalten – 14,5 Mikrogramm pro Gramm poliertem Reis statt 2 Mikrogramm. „Weltweit leiden mehr als zwei Milliarden Menschen an Eisenmangel, der häufigsten Ursache von Anämie“, sagt er. Und genveränderte Pflanzen könnten nicht nur Nährstoffmangel bessern, sondern auch Umwelt und Klima schonen. So soll der Anbau genveränderter Pflanzen etwa den Einsatz von Insektiziden senken und die Erträge steigern, einige kämen mit weniger Stickstoff aus und müssten weniger gedüngt werden.

„Ernährung und Gesundheit sind ein Menschenrecht“

Jede einzelne dieser Innovationen bringe jedoch ein neues Problem mit sich, so Kritiker: Die Patente auf gentechnisch veränderte Lebensmittel halten meist Großkonzerne. Diese können Bauern die Bedingungen für die Nutzung ihrer Produkte diktieren. „Die Firmen sind deshalb so groß geworden, weil wir es als Gesellschaft verpasst haben, auf dem Gebiet zu forschen. Die Konsequenz, die wir daraus ziehen müssen, ist, dass wir mehr in die öffentliche Forschung investieren. Dann können wir gegensteuern“, argumentiert Gruissem. Landwirtschaftsexperte Herren stimmt zu. „Der Staat darf sich nicht aus der landwirtschaftlichen Forschung zurückziehen und der Privatwirtschaft überlassen“, so Herren, „Ernährung und Gesundheit sind ein Menschenrecht.“