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Das große Geschäft mit Blumen und Zierpflanzen

Das große Geschäft mit Blumen und Zierpflanzen

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Foto: Kai Kitschenberg
In NRW wachsen deutschlandweit die mit Abstand meisten Blumen und Zierpflanzen. Die Branche ist abhängig vom Wetter – und von der Mode.

Essen. 

Metall, Chemie, Maschinen – dazu die Energie: NRW gilt zu Recht als Land der Industrie. Zudem haben allein neun der 30 Dax-Konzerne ihren Sitz an Rhein und Ruhr. Doch inmitten all der Konzernzentralen und Fabrikanlagen floriert eine ganz andere Branche, die das bevölkerungsreichste Bundesland erblühen lässt wie kein anderes: der Gartenbau.

Nirgendwo sonst in Deutschland wachsen so viele Schnittblumen, Zierpflanzen und Stecklinge wie in NRW. Auch ein großer Teil des deutschen Gemüseanbaus gedeiht vornehmlich hierzulande. Schwerpunkt sind der Niederrhein und das Münsterland. Allein im Kreis Kleve, weiß der Landesverband Gartenbau, werden über zehn Prozent aller deutschen Zierpflanzen produziert. 2012 kamen über die Hälfte aller in Deutschland erzeugten Beet- und Balkonpflanzen und Stauden aus NRW. Das nächstgrößte Erzeugerland Baden-Württemberg kam nur auf einen Anteil von 6,7 Prozent.


„Wir haben furchtbar viel gearbeitet“, sagt Eva Theuerkauf. Die Gärtnerin aus Kempen am Niederrhein hat derzeit alle Hände voll zu tun, „Primeln unter die Menschen zu bringen“. Primeln, sagt die Präsidentin des Gartenbauverbandes Rheinland, sind nämlich der ideale Auftakt in die Saison. 200 000 Exemplare der auch als Erstlingsblume bekannten Pflanze haben die Theuerkaufs den Winter über in ihren Gewächshäusern herangezogen. Auf Abnehmer warten auch 300 000 Lavendel, 200 000 Chrysanthemen und 100 000 Margeritenbüsche. Trotz der imposanten Zahlen: Die Gärtnerei Theuerkauf ist ein kleiner Familienbetrieb in der vierten Generation. Gearbeitet wird mit bis zu 20 Saisonkräften.

Mittelstand prägt Gartenbaubranche


Der Gartenbau in Deutschland wird geprägt durch kleinere und mittlere Unternehmen. Fast 90 Prozent der Betriebe werden als Einzelunternehmen geführt. Laut der letzten Agrarstrukturerhebung 2010 sind allein im Blumen- und Zierpflanzenanbau deutschlandweit rund 4000 Betriebe auf dem Markt. NRW-Platzhirsch ist der als Genossenschaft von rund 3000 Erzeugerbetrieben organisierte Blumen- und Pflanzenvermarkter Landgard mit Sitz in Straelen an der niederländischen Grenze. Die Landgard-Gruppe erzielte 2013 mit rund 3500 Beschäftigten einen Jahresumsatz von über 1,8 Milliarden Euro und ist darüber hinaus Vertragslieferant für die Discounterkette Aldi.


Auch der Betrieb von Eva Theuerkauf beliefert die Landgard eG. Die Pflanzen aus Kempen gehen über den Großhandel nach ganz Deutschland. Eva Theuerkauf legt Wert auf die Feststellung, dass Pflanzen trotz der riesigen Anbaumengen keine industriellen Produkte sind. „Der Gärtner hat den Blick dafür, was die Pflanze braucht“, sagt die Verbandspräsidentin. Außerdem sei die Branche extrem abhängig vom Wetter. „Ein dunkler Winter wirft uns schon im Frühjahr zurück“, weiß Theuerkauf aus eigener, leidvoller Erfahrung. Der Winter 2013 sei miserabel gewesen. „Pflanzenzucht“, sagt die Gärtnerin, „das ist auch ein Geschäft mit dem lieben Gott“.

Die Wertschöpfungskette der Pflanzenproduktion


Dabei überlässt die Branche die Züchtung neuer Sorten keineswegs göttlicher Fügung. Hinter Entwicklung und Aufzucht steckt vielmehr eine ausgefeilte Technologie (siehe Grafik). Am Beispiel der Petunie hat jüngst die Essener IPM, die immer zu Jahresbeginn ausgerichtete Weltleitmesse des Gartenbaus, die Wertschöpfungskette der Pflanzenproduktion vorgestellt: Von der Züchtung bis zur ersten Auslieferung ins Gartencenter vergehen gut und gerne ein Jahrzehnt. Allein die Selektion der besten Sorten nimmt mehrere Jahre in Anspruch. Sämlinge reifen im Labor unter strengsten Hygienebedingungen heran. Bei der Petunie testet man jede Sorte auf 27 verschiedene Viruskrankheiten. Die Mutterpflanzen reifen dann in der Regel in südlichen Breiten oder in Übersee heran. Auf die Aufzucht der neuen Sorten haben sich Jungpflanzenbetriebe spezialisiert, von denen es auch in NRW viele gibt. Erst danach landen neue Sorten im normalen Gartenbetrieb.


Gärtner klagen nicht so laut wie die Landwirte, heißt es in der Branche. Doch auch beim Geschäft mit dem Grün ist nicht alles Gold, was glänzt. „Viele unserer Betriebe sind Familienunternehmen und die Kapitaldecke ist nicht besonders dick, die Gewinnmargen eher dünn“, sagt Theuerkauf. Läuft es nicht so gut, werde oft auch privates Vermögen angezapft. Zu leiden hat die Branche auch unter dem Mindestlohn. Besonders die als zu bürokratisch empfundene Dokumentationspflicht bereite den Betrieben, die in der Regel mit Saisonkräften arbeiten, unnötige Kopfschmerzen, sagt die Verbandspräsidentin.

Auch die Architektur beeinflusst die Blumenzucht


Unter Druck gerät der Gartenbau auch durch „weiche“ Faktoren: das veränderte Freizeitverhalten vieler Menschen, der schnelle Wechsel der Moden. Gestern noch galt die Geranie als Freude des kleinen Mannes. Heute sind Lavendel, Kräuter und „alles, was gut duftet“ angesagt. Was derzeit zieht, sagt Eva Theuerkauf, sei etwa Bienenfreundlichkeit.

Auch die Architektur beeinflusst die Blumenzucht. Bodentiefe Fenster verlangen halt nach anderer Bepflanzung als klassische Balkonkästen – oder eben nach gar keiner. Außerdem gehe es darum, wieder mehr junge Menschen für Blumen empfänglich zu machen. Eva Theuerkauf sagt es durch die Blume: „Die Mehrheit unserer Konsumenten ist über 65. Für diese Generation haben Pflanzen noch Symbolwert.“