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Prinz Karneval und der „Juh-Jah“-Marsch

Prinz Karneval und der „Juh-Jah“-Marsch

Blankenheim. 

Mit Einbruch der Dunkelheit wird das Kribbeln stärker. Das kleine Eifel-Örtchen Blankenheim, fast 70 Kilometer südlich von Köln gelegen, füllt sich mit eigentümlichen Gestalten. Überall werden weiße Laken übergestülpt, mit Kordel zwei drollige Öhrchen abgebunden und Gesichter mit Mehl oder Schminke gekälkt. Man begrüßt sich mit „Juh-Jah“; vereinzelt ertönt ein spukiges „Jaahuuu“.

Bei der eigentümlichen Gesellschaft handelt es sich um ein jahrhundertealtes Brauchtum, das einst im ganzen Rheinland verbreitet war – und sich nur hier in Blankenheim ununterbrochen erhalten hat: der Geisterzug. Ein ursprünglich germanisch-heidnischer Brauch, wo in wirbelndem Tanz die Frühlingsgeister die finsteren Winterdämonen vertreiben.

Auch wenn die Tradition schon weit älter ist: In Blankenheim wird in diesem Jahr ein stolzes Jubiläum gefeiert. Vor 400 Jahren, 1613, gründete Graf Hermann von Manderscheid die „Junge Mannschafts-Compagnie“, die als örtlicher Karnevalsverein fungierte. Schon damals wurden viele Figuren der „Blangemer Fassenaach“ eingeführt. „Alle denkbaren und nie geahnten Geister des unergründlichen Erdinneren“, so heißt es auf dem Karnevalsplakat von 1934, „sämtliche Kobolde, Gnome, Nymphen, Feen und Hexen der alten und der neuen Welt veranstalten bei dieser Gelegenheit einen brillanten, erznärrischen, diabolisch-elektrisch-bengalischen Geister-Fackel-Zug.“

Und das , wie in einem Plakat von 1884 zu lesen ist, mit„Illumination sämmtlicher närrischer Hirnschädel und hirnverbrannter Oberstübchen“. Trotz all solcher Unterscheidung: Das Erscheinungsbild des Zuges, der durch das alte Fachwerk und über das Pflaster des Ortes wirbelt, ist denkbar einheitlich.

Klare Kleiderordnung

Mitlaufen darf nämlich nur, wer das ordnungsgemäße Kostüm von Laken, Hörnchen und Pechfackel trägt. Aliens, Skelette, Mumien und andere moderne Gruselgestalten werden freundlich, aber bestimmt an den Rand gebeten. Voran tanzen in eigentümlichem Schritt die beiden „Jecke Böhnchen“, schon seit 400 Jahren als närrische Zugordner eingeteilt.

Danach kommen das Schellenbäumchen, ein paar Hexen mit Besen, ein Teufel – und dann der Zugführer, Prinz Karneval als der Obergeist, mit Flügeln und hoch zu Ross. Ihm folgen Hunderte weißer Geister, eingehakt zu Paaren, mit schrillen Schreien und einem Zickzack-Tanz, dem sogenannten „Juh-Jah“-Marsch: „Juh-Jah, Kribbel in d’r Botz, wer dat net hät, dä is’ nix notz“ („Wer nicht das Kribbeln in der Hose hat, der ist zu nichts nütze“). Die Prozession durch die von bengalischen Feuern beleuchtete Stadt endet mit einem „Geisterball“. Erst am nächsten Morgen, bei der karnevalistischen „Junggesellenmesse“, findet sich der beflügelte „Obergeist“ vom Vorabend verwandelt: von einem spukigen Schmetterling in den Prinzen Karneval.

Prinzensuche oft schwierig

Wer möchte bei diesem närrischen Treiben nicht der Obergeist sein? Offenbar nicht allzu viele: Zuletzt war es nicht leicht für die Findungskommission, jedes Jahr einen neuen Prinzen präsentieren zu können. Der Grund: Blankenheim und die umliegenden Dörfer sind klein, die Rechnung für das Fastnachtsvergnügen groß.

Von rund 20 000 Euro „als Hausnummer“ spricht Thomas Bons vom Vereinskartell. Dabei kennt im Ort jeder jeden, und es ist gar nicht leicht, die Kommission abzuwimmeln. „Das geht dann schon mal in Richtung Nötigung“, verrät Isolde Meyer, Prinzessin des Jahres 1991. Zur Not werde mit der Cognac-Flasche nachgeholfen. Im 399. Jahr des Bestehens, also 2012, war es besonders schwer. Gut möglich, dass sich viele junge Männer ihre Kandidatur für das Jubiläumsjahr aufsparten. Und so musste , 38 Jahre nach seiner ersten Krönung, Werner V. noch einmal in den Sattel. Bereits 1974, im WM-Jahr von Franz Beckenbauer und Berti Vogts, war er erstmals Blangems Prinz Karneval – als Werner II. Auch 2003 war die Not so groß, dass nach schlafloser Nacht der Pfarrer von der Kanzel in die Bütt springen musste. Karl-Heinz II. brachte zwar gemäß dem katholischen Kirchenrecht keine eigene Prinzessin mit. Beim Ball hatte er am Ende aber doch 15 (Ex-)Prinzessinnen, die ihm beisprangen. „Das Bütze“ (Küsschengeben), sagte er damals augenzwinkernd, „muss ich natürlich voll ausnutzen.“

Selbst mitmachen macht übrigens mehr Spaß, als nur am Rand stehenzubleiben. Man sollte allerdings nicht allzu dicke Unterkleidung wählen – trotz der Winterkälte: Denn für innere Wärme sorgt mit Sicherheit das Tanzen.