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Stoppenberg: Kumpel, Kirchenpracht und Zollverein

Stoppenberg: Kumpel, Kirchenpracht und Zollverein

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Foto: Michael Gohl / FUNKE Foto Services
Mehr als nur Kohle: Stoppenberg – stolz auf seine lange Geschichte – war vor 100 Jahren Preußens größte Landgemeinde. Unterwegs mit Ex-Bergmann Gerhard Greiwe aus der Kolonie Stiftsdamenwald. Teil 23 unserer Stadtteil-Serie.

Essen. 

Gerhard Greiwe blickt zufrieden aus dem neu eingebauten Küchenfenster seines Zechenhauses und erfreut sich des herbstsatten Grüns. „Der Garten ist riesig und hinter der Laube fängt schon der Wald an“, sagt der 74-Jährige, der im Lauenbüschken aufgewachsen ist und vor mehr als zwanzig Jahren mit seiner Christel in die malerische Zollverein-Kolonie „Stiftsdamenwald“ gezogen ist. Lokalpatriotischer Stolz schwingt mit, wenn der ehemalige Bergmann (Knappe auf Helene, Hydraulikschlosser unter Tage auf Zollverein, bis 1991 auf der Stabsstelle) über sich selbst sagt: „Ich bin Stoppenberger durch und durch.“

Der Charme dieses geschichtsträchtigen Stadtteils erschließt sich – typisch Ruhrgebiet – auch hier erst auf den zweiten Blick. An die vor-industrielle heile Welt des 17./18. Jahrhunderts erinnern allenfalls Straßenschilder, die beredsam vom bäuerlich-ländlich-katholischen Idyll jener Tage erzählen: von Müllern und Köttern, von Stiftsdamen und Schulzen, von sumpfiger Landschaft und fischreichen Mühlenteichen. Die Straßen tragen urige Namen wie Mühlenbruch, Im Natt, Kapitelacker, Ahrendahls Wiese.

Schmuckes Stoppenberger Rathaus

Von Greiwes Siedlung geht’s in wenigen Schritten vorbei an der evangelischen Thomaskirche aus rotem Backstein (eingeweiht 1900) und dem Barbarossa-(Markt)-Platz zum schmucken Stoppenberger Rathaus, das Bombenkrieg und Zerstörungswahn der 60-er und 70-er Jahre unbeschadet überstanden hat: ein wilhelminisches Amtsgebäude mit Uhrenturm und dem Stoppenberger Stiftssiegel von 1547 im Spitzgiebel.

„Leider sind viele markante Bauwerke von der Bildfläche verschwunden“, klagt Greiwe, der im Geschichtskreis Zollverein mitwirkt und davon beseelt ist, die Erinnerung an die wechselvolle Stadtteilgeschichte wachzuhalten. Er vermisst den Bahnhof Stoppenberg, natürlich den majestätischen Kaiser-Wilhelm-Turm im Hallopark oder die kürzlich in Brand gesetzte und inzwischen ebenfalls abgerissene Hallo-Gastronomie. Bauwerke, die allesamt in der euphorischen Boom-Phase entstanden, in der auch die Zollverein-Schächte 1/2, 6/9, 3/7/10 und die Fördergerüste von Zeche Ernestine aus dem Boden schossen.

„Wo Bergleute sind, wird immer gut gefeiert“

Nur 563 Seelen zählte 1832 das kleine „Kirchdorf Stoppenberg“, 80 Jahre später war die Zahl auf 12.020 hochgeschnellt. 1906, als zur Landbürgermeisterei Stoppenberg noch Frillendorf, Huttrop, Katernberg, Kray, Leithe, Rotthausen und Schonnebeck gehörten, durfte sie sich mit 74.000 Einwohnern „größte Landgemeinde Preußens“ nennen.

„Schauen Sie mal hoch zum Giebel“, sagt Greiwe, als wir in der Ernestinenstraße 31 vor der „Alten Post“ stehen. Er deutet aufs imposante Reichspostwappen mit schwarzem Adler und goldener Kaiserkrone. „Früher habe ich hier meine Briefmarken gekauft.“ Jetzt ist es ein gemütliches Lokal, das das Kneipensterben überlebt hat. „Früher hatten wir so schöne Wirtschaften“, schwärmt Greiwe und zwinkert mit dem Auge: „Wo Bergleute sind, wird immer gut gefeiert.“

Hallopark ist eine grüne Oase

Später werden wir noch die Ernestinenstraße hochschreiten bis zum mächtigen Damm der alten Zechenbahn, der jetzt Radweg („Route Nord“) ist, von dort durch ein kleines Wäldchen vorbei am Sportpark und hinein in den Hallopark: eine grüne Oase, in der Stoppenberg fast Naherholungsgebiet ist.

Aber jetzt geht’s erst mal vorbei an der kleinen Feuerwache, der „Nikolausschule II“ (wieder roter Backstein), über die Essener Straße und hinauf zum Stiftskirchen-Friedhof. In Höhe der geschmackvoll renovierten, leuchtend gelb gestrichenen alten Vikarie ist der Straßenlärm schlagartig verschwunden. Und hoch droben auf dem Stoppenberg mit dem fantastischen Ausblick auf Schacht XII und Kokerei herrscht gar himmlische Ruhe.

Drinnen in der Stiftskirche von 1074, der romanisch-gotischen Basilika, versieht Schwester Maria vom Orden der unbeschuhten Karmelitinnen ihren Dienst. Sie deutet auf den Taufstein aus dem 12. Jahrhundert, dem ältesten der Region, und sagt andächtig: „Man spürt, dass die Mauern hier beten.“

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