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Sputnik V: Warum Russen ihn meiden – kann man dem Corona-Impfstoff vertrauen?

Sputnik V: Warum Russen ihn meiden
– kann man dem Corona-Impfstoff vertrauen?

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Sputnik V: Kann man dem Corona-Impfstoff aus Russland vertrauen? (Symbolbild) Foto: Pavel Golovkin/AP/dpa

Die Lösung für die Corona-Pandemie ist das Impfen. Da ist sich die Politik einig. Ein bislang in der EU und in Deutschland nicht zugelassener Impfstoff kommt jetzt ins Spiel: Sputnik V.

Der russische Impfstoff wurde als erstes Mittel der Welt bereits vergangenen Sommer zugelassen, die Europäische Arzneimittelagentur EMA prüft das Vakzin seit Anfang März. Die Wirksamkeit von Sputnik V ist umstritten. Es stellen sich viele Fragen:

  • Kann man dem Corona-Impfstoff aus Russland vertrauen?
  • Warum lassen sich nur wenige Russen mit Sputnik V impfen?
  • Wie ist die Studienlage?
  • Wie funktioniert Sputnik V?

Antworten auf die drängendsten Fragen findest du in unserem Artikel.

Sputnik V: Wie vertrauenswürdig ist der Impfstoff aus Russland?

Gesundheitsminister Spahn sieht in Sputnik V eine Möglichkeit, die Impfkampagne in der EU und in Deutschland zu beschleunigen. Er kündigte deshalb am Donnerstag an, bilateral ausloten zu wollen, ob das russische Vakzin als weiterer Impfstoff eingesetzt werden könnte. Indes unterzeichnete Bayern am Mittwoch einen Vorvertrag über 2,5 Millionen Sputnik-Dosen, Mecklenburg-Vorpommern zog am Donnerstag mit einer Option auf eine Million Dosen nach. Dabei ist der russische Impfstoff umstritten – und in der EU bislang nicht zugelassen.

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Spahn betonte auch, dass es zunächst eine Zulassung des Impfstoffs durch die EMA geben müsse. Dafür müsse Russland Daten liefern. Auch müsse geklärt werden, wie viel Impfstoff Russland kurzfristig liefern könne. Denn tatsächlich herrscht noch viel Ungewissheit über das Vakzin.

Warum steht der Impfstoff Sputnik V in der Kritik?

Russland hatte bereits Mitte August 2020 mit Sputnik V den weltweit ersten Corona-Impfstoff für eine breite Anwendung in der Bevölkerung freigegeben. Dabei hagelte es international Kritik. Wissenschaftler beklagten vor allem das Fehlen schlüssiger Daten. Grund ist, dass die Zulassung vor dem Vorliegen der Ergebnisse sogenannter Phase-III-Studien stattfand. Das widerspricht dem üblichen Ablauf. Denn in der Prüfung mit mehreren Tausend Probanden könnten seltene Nebenwirkungen erkannt werden, heißt es beim Paul-Ehrlich-Institut.

Sputnik V: Welche Studien gibt es zu dem Impfstoff?

Erste Details zu Sputnik V veröffentlichten die Forscher Anfang September 2020 in der Fachzeitschrift „The Lancet“. Demnach regt der Impfstoff eine Immunantwort an. Bei insgesamt 76 Teilnehmern konnten in der Testphase I/II Antikörper gegen das Virus nachgewiesen werden. Es folgte wieder Kritik am Vorgehen Russlands, aber auch Aufatmen: Das nun vorliegende Ergebnis sei eindeutig. Das wissenschaftliche Prinzip der Impfung sei aufgezeigt worden, sagte Forscherin Polly Roy von der London School of Hygiene & Tropical Medicine dem Fachblatt „The Lancet“.

In einer „Zwischen-Analyse“, der wichtigen Testphase III mit rund 20.000 Freiwilligen, kamen russische Forscher auf eine Wirksamkeit von 91,6 Prozent. Die Ergebnisse wurden Anfang Februar 2021 ebenfalls im medizinischen Fachblatt „The Lancet“ publiziert. Sie decken sich mit früheren Angaben.

Wie wirksam ist Sputnik V?

Eine Wirksamkeit von 91,6 Prozent bedeutet, dass in der geimpften Gruppe 91,6 Prozent weniger Erkrankungen auftraten als in der Kontrollgruppe. Demnach hat Sputnik V eine in etwa gleiche Wirksamkeit wie die Impfstoffe von Moderna und Biontech/Pfizer – und eine deutlich höhere als das Mittel von Astrazeneca. Nach Darstellung der Moskauer Behörden funktioniert Sputnik V auch bei der ansteckenderen Variante B.1.1.7. Der Impfschutz war 21 Tage nach der zweiten Impfung aufgebaut.

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Wie funktioniert Sputnik V?

Der russische Staatschef Wladimir Putin hält Sputnik V für „den besten Impfstoff der Welt“. Historiker Malte Thießen, der sich mit der Geschichte der Immunisierung seit der ersten Pocken-Impfung beschäftigt, sagt: „Impfen ist immer auch Politik, es geht nie nur um medizinische Fragen.“ Er spricht von Vorbehalten im westlichen Teil der EU. Die Vergiftung von Kremlkritiker Alexej Nawalny dürfte für manchen Bürger zudem ein Grund sein, sich kein Produkt aus Russland injizieren lassen zu wollen. Den Namen Sputnik für einen Impfstoff zu wählen, sei bereits eine „Propaganda erster Klasse“, so Thießen. Sputnik 1 hieß der weltweit erste gestartete Satellit, mit dem die Sowjetunion 1957 die westliche Welt übertrumpfte.

Bei dem vom russischen Gamaleja-Zentrum für Epidemiologie und Mikrobiologie entwickelten Vakzin handelt es sich wie bei dem in der EU bereits eingesetzten Mittel von Astrazeneca um einen Vektorimpfstoff. Dabei werden sogenannte Adenoviren, die üblicherweise Schimpansen befallen, als Vektoren genutzt. Es handelt sich dabei um abgeschwächte, harmlose Viren. Ziel ist es, das Immunsystem dazu zu bringen, Abwehrreaktionen gegen Sars-CoV-2 hervorzurufen. Bei Kontakt mit dem Coronavirus ist der Körper dann vorbereitet und kann die Infektion besser eindämmen.

Wie wird Sputnik V verabreicht?

Verabreicht wird der russische Impfstoff in zwei Dosen im Abstand von 21 Tagen. Zu den Nebenwirkungen zählen Schmerzen an der Einstichstelle, Kopf- und Gliederschmerzen, Abgeschlagenheit und teils grippeähnlichen Symptome. Zudem gibt es Berichte über Fieber und Schüttelfrost.

Wer hat bereits Sputnik V-Vakzin angefordert?

Weltweit 56 Länder hätten Sputnik V zugelassen, wie der staatliche Direktinvestmentfonds RDIF mitteilt (Stand 24.3.). Dieser ist an der Finanzierung von Sputnik V beteiligt und kümmert sich um die Vermarktung des Impfstoffs. In der EU ist das Präparat auch ohne Zulassung schon in Ungarn und in der Slowakei im Einsatz, Tschechien und Österreich haben Interesse signalisiert – zur Sorge der EMA: Eine Vertreterin der EU-Arzneimittelbehörde warnte EU-Staaten, noch vor der EMA-Prüfung den russischen Impfstoff einzusetzen. Entscheidende Daten von Geimpften lägen nicht vor, sagte Christa Wirthumer-Hoche im ORF.

Etwa ab Mitte des Jahres könnten in der EU 50 Millionen Menschen mit Sputnik V versorgt werden, wenn die EMA ihre Zustimmung gebe, erklärte RDIF-Chef Kirill Dmitrijew in Moskau. Dabei soll der russische Impfstoff für die EU auch gleich hier produziert werden. Dazu wurden laut Dmitrijew Produktionsvereinbarungen mit Firmen in Deutschland und anderen europäischen Ländern wie Frankreich, Italien und Spanien geschlossen. Der RDIF nennt weder die Namen dieser Unternehmen, noch macht er klare Angaben zu den verkauften Mengen und den Vertragsbedingungen in den einzelnen Ländern.

Wann könnte Sputnik V in Deutschland eingesetzt werden?

Der Vorsitzende der Ständigen Impfkommission (Stiko), Thomas Mertens, sagte im ZDF-„Morgenmagazin“, die publizierten Daten zu Sputnik V „sehen sehr gut aus“, er wisse aber nicht, was der EMA an zusätzlichen Daten vorliege. „Wenn der Impfstoff geprüft und zugelassen wird, hätte ich persönlich dagegen nichts einzuwenden.“ Der Gesundheitspolitiker und CDU-Europaabgeordnete Peter Liese forderte, man dürfe nicht aus politischen Gründen auf Sputnik verzichten. Falls die EMA das Präparat positiv bewerte und falls Russland schnell liefern könne, müsse man den Impfstoff auch aus Russland importieren. Schließlich könne es bei anderen Impfstoffen zu Lieferproblemen kommen. Jedoch sei er gegen nationale oder regionale Alleingänge; die EU-Kommission müsse handeln.

Derzeit prüft die EMA Testergebnisse, auch wenn noch nicht alle Daten vorliegen und noch kein Zulassungsantrag gestellt wurde. Im April wollen EMA-Experten dann Produktion und Lagerung des Impfstoffs in Russland begutachten.

Wie wird der Impfstoff in Russland angenommen?

In Russland selbst sind der Regierung in Moskau zufolge bislang erst fünf Millionen Menschen geimpft; gerade einmal 3,4 Prozent der Gesamtbevölkerung. Das ist im Vergleich zu vielen anderen Staaten sehr wenig – vor allem angesichts dessen, dass Russland neben Sputnik V noch zwei weitere Corona-Impfstoffe entwickelt hat. Zuletzt hatte Russlands Gesundheitsminister Michail Muraschko eine Herdenimmunität in der russischen Bevölkerung bis Ende Juli angekündigt. Wie das gelingen soll, ist unklar. In der russischen Hauptstadt, wo sogar in der Oper oder im Einkaufszentrum geimpft wird, gibt es an jeder Ecke Appelle, sich doch endlich den Piks abzuholen.

Das russische Gesundheitsministerium hat stets deutlich gemacht, dass zuerst die eigene Bevölkerung versorgt werden solle, bevor Sputnik V in den Export geht. Trotzdem berichten Staatsmedien in Moskau fast täglich über neue Länder als Abnehmer. Russland will damit sein Image in anderen Staaten verbessern. Viele Menschen im flächenmäßig größten Land der Erde ärgern sich, weil Sputnik V zwar ins Ausland, aber nicht zu ihnen in entlegene Regionen gelangt.

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Zudem zögern auch viele Russen. Hauptproblem ist Umfragen zufolge eine massiv verbreitete Impf-Skepsis in der russischen Bevölkerung. Nur 30 Prozent sind derzeit bereit, sich das russische Präparat Sputnik V spritzen zu lassen, wie eine kürzlich veröffentlichte Befragung des Meinungsforschungszentrums Lewada ergab. Als Hauptgründe wurden Angst vor Nebenwirkungen und nicht vollständig abgeschlossene klinische Studien genannt.

Welche Erfahrungen gab es in der Vergangenheit mit russischen Impfstoffen?

Russland habe eine „ausgezeichnete Tradition“ bei der Herstellung und Anwendung von Impfstoffen, lobt die Weltgesundheitsorganisation (WHO). Zur Anwendung kamen diese auch in der DDR. Die Bürger mussten bis zur Volljährigkeit insgesamt 17 Pflichtimpfungen absolvieren, erklärt Historiker Malte Thießen. Ab den 1950er-Jahren seien die Impfstoffe zunächst von der Sowjetunion gekauft worden, später habe die DDR selber produziert – „allerdings nach sowjetischer Vorlage“.

Eine Erfolgsgeschichte wurde mit dem Einsatz des Polio-Impfstoffs gegen Kinderlähmung geschrieben. „Bei dem Wettrennen war die DDR dem Westen Deutschlands einen Schritt voraus“, so Thießen. Dank der Impfung ging die Zahl der Erkrankten im Osten ab den 1960er-Jahren stark zurück. Daran erinnerte auch Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU), als er jüngst für den russischen Corona-Impfstoff warb.

Ob man Sputnik V also vertrauen kann und, ob sowie wann der Impfstoff in Deutschland zum Einsatz kommen wird, hängt von der Entscheidung der EMA ab. Spahn wies außerdem darauf hin: „Um wirklich einen Unterschied zu machen in unserer aktuellen Lage, müsste die Lieferung schon in den nächsten zwei bis vier, fünf Monaten kommen – ansonsten haben wir so oder so mehr als genug Impfstoff.“

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