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Lebenszeichen von Christiane F. – dem Kind vom Bahnhof Zoo

Lebenszeichen von Christiane F. – dem Kind vom Bahnhof Zoo

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Foto: Marcel Mettelsiefen/Deutscher Levante Verlag
Was ist aus Christiane F. geworden? Deutschlands einst berühmtester Junkie, das Mädchen vom Bahnhof Zoo, gibt in einem neuen Buch Auskunft über sein Leben. Ein ewiger Kampf gegen die Sucht und ein Leben in der Drogen-Achterbahn.

Berlin. 

Das Schicksal des heroinsüchtigen Berliner Straßenmädchens Christiane F. hat Millionen Menschen bewegt. 35 Jahre nach dem Welterfolg des autobiografischen Buches „Wir Kinder vom Bahnhof“ erzählt Christiane Felscherinow, so ihr voller Name, jetzt von der Zeit danach. „Kaum einer hätte gedacht, dass ich 51 Jahre alt werde – aber sieh an, hier bin ich: Christiane F.“, sagt sie in einem Videospot zu ihrem neuen Buch „Mein zweites Leben“, das am 10. Oktober auf den Markt kommt.

Als „Wir Kinder vom Bahnhof“ 1978 erschien, hatte die damals 16-Jährige die Hölle schon erlebt. Mit einer lieblosen Mutter und einem prügelnden, oft betrunkenen Vater aufgewachsen, war sie mit 13 erstmals an Heroin gekommen. Schnell geriet sie in einen Teufelskreis aus Abhängigkeit, Kriminalität, Verwahrlosung und Prostitution auf dem Kinderstrich am Berliner Bahnhof Zoologischer Garten. Im letzten Augenblick zog ihre Mutter die Reißleine und schickte sie zur Großmutter aufs Land.

Fünf Jahre clean – dann der Rückfall

Fünf Jahre ist Christiane F. danach clean. Der Erfolg des Buches von zwei „Stern“-Reportern mit mehr als vier Millionen Lesern und erst recht der gleichnamige Film von Regisseur Uli Edel und Produzent Bernd Eichinger 1981 machen sie zum berühmtesten Ex-Junkie Deutschlands. Sie ist in Talkshows gefragt, kommt mit Prominenten von Loriot bis David Bowie zusammen und versucht sich als Sängerin und Schauspielerin. Doch der Druck wird zu groß. Erst ist es Kokain, dann kommt es zum großen Rückfall mit „H“.

„Ich war so clean, dass ich es nicht mehr vertrug. Ich habe nur noch gekotzt“, schreibt sie. „Ich weiß, es klingt irre: Du kotzt dir die Seele aus dem Leib, aber es fühlt sich an wie das schönste Gefühl der Welt.“ Bald ist sie wieder auf vier Gramm Heroin plus 60 Schlaf- und Beruhigungstabletten am Tag.

Große Liebe, ein Kind – und wieder ein Absturz

Es folgen Jahre eines zermürbenden Wechselspiels: Sie geht auf Entzug, bekommt Boden unter die Füße, findet in Griechenland sogar eine große Liebe, aber greift mehrfach auch wieder zur Spritze. „Die einen lernen, damit zu leben, die anderen verrecken daran. Es ist ein schmaler Grat dazwischen.“

Nur einmal gibt es Hoffnung auf dauerhaftes Glück. 1996 kommt ihr Sohn Phillip zur Welt. Sie hat zu dem Zeitpunkt zwei Abtreibungen hinter sich und einen Abgang. Und auch diesmal wird der Mann sie nach einigen Monaten wieder verlassen. Und dennoch findet sie durch das Kind Halt. „Der Junge ist das einzig Richtige, was ich im Leben je gemacht habe“, heißt es im Buch. „Ich wurde durch ihn ein besserer Mensch.“

Elf Jahre leben die beiden in einer fast symbiotischen Beziehung. Doch als sie versucht, ihrer eigenen Vergangenheit durch einen Wechsel nach Amsterdam zu entfliehen, entzieht das Jugendamt ihr das Sorgerecht. Das Kind kommt von einem Tag auf den anderen in eine Pflegefamilie. Sie hat einen Rückfall. Es dauert sehr lange.

Schwere Lebererkrankung

Offen und sachlich, fast im Protokollton, erzählt Felscherinow mit ihrer Co-Autorin Sonja Vukovic von den vielen dunklen Zeiten in ihrem Leben. Schuldzuweisungen vermeidet sie, auch wenn immer wieder durchkommt, wie stark ihr das „Christiane-F.-Ding“ nachhängt und wie sehr sie manchmal unter Schlagzeilen über echte und angebliche Rückfälle gelitten hat.

KinofestWarum sie sich jetzt noch einmal der Tortur aussetzt, ihr Leben öffentlich preiszugeben, steht nicht in dem Buch. Sie habe irgendwann einfach das Gefühl gehabt, dass die Leute wissen wollten, was seither passiert sei, sagt sie im Videospot.

Heute lebt Felscherinow außerhalb von Berlin im brandenburgischen Teltow. Trotz ihrer Leberzirrhose aufgrund einer Hepatitis-Infektion kann sie von Alkohol und Hasch nicht lassen. Zusätzlich macht ihr das Methadon zu schaffen, das sie seit fast 20 Jahren in einem Drogenersatzprogramm bekommt. „Die Ärzte schlagen in letzter Zeit nur noch die Hände über dem Kopf zusammen, wenn sie mein Blutbild sehen“, schreibt sie, aber sie wolle davon nichts hören. „Wenn es soweit ist, ist es einfach soweit.“ (dpa)