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„Auf der Flucht“ – wie das Niveau bei ARD und ZDF abstürzt

„Auf der Flucht“ – wie das Niveau bei ARD und ZDF abstürzt

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In ihrem Bemühen, den Massengeschmack zu treffen, verlieren die Sender ihren Bildungsauftrag aus den Augen. Jüngstes Beispiel: ein gedankenloses Flüchtlings-Format, das sich in der Ausführung auf dem Niveau von RTL II bewegt. Eine Polemik.

Essen. 

Der Weg führt nicht ins Dschungelcamp. Dabei spricht alles dafür. „Sechs Kandidaten und eine Erfahrung, die ihr Leben verändern wird“, dröhnt es im Fernsehgerät zur Krimimusik, als Handys und Pässe eingesammelt werden. Sie sollen auf die Route von Flüchtlingen geschickt werden, damit man mal nachfühlen kann, wie dreckig es den armen Menschen auf wackeligen Booten und in Lagern auf Lampedusa geht. Es wird geflennt und dummes Zeug erzählt, sobald die Kamera läuft, und die wirklich Leidenden sind kaum mehr als Statisten bei diesem zynischen Erkenntnistrip.

Das muss RTL sein, nein eher der noch krawalligere Ableger RTL 2; so abgeschmackt sind nur die Privatsender, denkt man unweigerlich. „Auf der Flucht – das Experiment“ ist aber ein neues Format für das ZDF, das seinen Probelauf am Donnerstagabend bei „zdf neo“ erlebte.

Kochsendungen und Quasselrunden

Soll man zur Ehrenrettung sagen, dass der Gefühlsmüll für Voyeure von Sachinformationen für ernsthaft Interessierte unterfüttert wird, die einen Zipfel des Bildungsauftrags erkennen lassen? Es rettet nichts. Das Schlimme: Es mag ein weiterer Qualitäts-Tiefpunkt für das öffentlich-rechtliche Fernsehen sein – aber im wachsenden Bemühen, sich den Privaten anzunähern, überrascht der Absturz von ARD und ZDF nicht einmal mehr.

ARD und ZDF verstopfen ihre Programme längst mit Koch- und Zoosendungen, Promimagazinen, drittklassigen Vorabendkrimis und hauptabendlichen Quasselrunden. Der Fußball darf – zu welchen Kosten auch immer – noch dazwischenfunken, andere haben es schwer. Dokumentarfilmer müssen um Sendeplätze betteln und werden trotz teilweise herausragender Produktionen nicht selten mit Zeiten nach 23 Uhr abgespeist. Dann bricht in der Regel auch die Stunde der hochwertigen Spielfilme an. Vermeintlich Sperriges wird in Spartensendern verklappt, selbst erstklassige Serien wie „Mad Men“ verschwinden dort einigermaßen spurlos.

Warum diese Angst vor den Risiken im Programm?

Warum aber sollte man die aufgeblähten Sender mit Gebühren mästen, wenn man die gleichen Nichtigkeiten bei der Konkurrenz gratis bekommt? Verlangt der Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nicht ein mutiges Programm, das gerade jenen Anteil stärkt, der im werbefinanzierten Fernsehen keine Chance hätte? Kann man es den Machern durchgehen lassen, wenn sie sich bei Angriffen stets damit wehren, dass ja auch der Deutschlandfunk, das Kinderfernsehen und ganz viele kluge Wissenschaftsmagazine aus dem Milliardenetat bezahlt werden?

Kein Kritiker der jetzigen Zustände verlangt ernsthaft ein reinrassiges Bildungsfernsehen, das nur noch Spezialisten lockt. Das Fernsehen muss sich allen Schichten öffnen. Aber sind mehr Niveau und mehr Risiko so schmerzhaft? Steht im Staatsvertrag nicht „Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten haben in ihren Angeboten der Bildung, Information, Beratung und Unterhaltung zu dienen, sie haben Beiträge insbesondere zur Kultur anzubieten“?

Die großen Serien, wie sie einst Helmut Dietl, Jurek Becker oder Wolfgang Menge erdachten, die außergewöhnlichen Fernsehabende, über die man noch Tage sprach, sind so selten geworden, dass sich die Verantwortlichen in ihren Verteidigungsreden eine halbe Ewigkeit an Juwelen wie „Der Turm“ oder „Unsere Mütter, unsere Väter“ klammern. Wo ist die Zukunft, wenn das Stammpublikum langsam wegstirbt, und die Jüngsten die Perlen schon lange aus dem Internet fischen?

Das Fernsehen, so scheint es, findet darauf keine Antwort. Wer im Mai das Doppelinterview mit ARD-Programmchef Volker Herres und ZDF-Intendant Thomas Bellut in der „Zeit“ las, der hat keine Fragen mehr. Ihr Erfolgskriterium bleibt die Einschaltquote; nichts fürchten sie mehr als im Wettstreit um Marktanteile hinter RTL zu landen. Und schließlich verstehe doch jeder unter Qualität etwas anderes, ist ihr Credo. Die Quote aber ist die Lehre der Anpassung an den Massengeschmack und führt am Ende zur Sinnentleerung. Als Hauptkriterium für ARD und ZDF ist sie ungeeignet.

Die Quotensucht bei Volker Herres

Volker Herres ist dabei noch radikaler als Bellut. Die letzten drei Folgen von Dominik Grafs sensationellem Zehnteiler „Im Angesicht des Verbrechens“ stopfte er in einen einzigen Abend, weil er mit den Zuschauerzahlen nicht zufrieden war. Herres schämt sich nicht einmal, offen zuzugeben, dass er für eine preisgekrönte Serie wie „Homeland“ überhaupt keinen Platz in seinem Programm fände, wenn er sie denn überhaupt haben wollte. Die Frage ist: Womit füllt er den ganzen Platz?