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Skifahren in Paradiski – Eine Seilbahn für die Superlative

Skifahren in Paradiski – Eine Seilbahn für die Superlative

Vor zwölf Jahren vereinte eine Seilbahn Les Arcs und La Plagne zur Schnee-Spielwiese Paradiski. Der große Trend dort ist die Urform des Skifahrens.

Bourg-Saint-Maurice. 

Morgen lässt Claude Schneider wieder sprengen. Wenn es über den Pisten von Les Arcs und La Plagne dämmert und der Schnee noch blau ist, werden seine Mitarbeiter Dynamit in die Schneebretter stecken und künstliche Lawinen auslösen. Schneider (63) ist der einzige Nivologue Frankreichs, ein Schneeforscher. Jeden Morgen dirigiert er 150 Mitarbeiter, die Lawinen entschärfen und Pisten präparieren. Schneider soll Unfälle verhindern, er soll das Skifahren im Verbund Paradiski sicher machen. Keine leichte Aufgabe. Sein Gebiet umfasst 425 Kilometer Piste.

Paradiski liegt im Vanoise-Massiv im Département Savoie, nahe dem Dreiländereck Frankreich-Italien-Schweiz. Von den Gletschern der beiden Skigebiete Les Arcs und La Plagne sieht man an schönen Tagen den Mont Blanc. Seit 2003 surrt der Vanoise Express über das Tal, das die beiden Gebiete trennt. Mit 45 Stundenkilometern gleiten die Doppeldecker-Gondeln hin und her, bis zu 200 Personen nehmen sie auf. Die größte und schnellste Seilbahn der Welt sollte Paradiski über die Grenzen von Frankreich hinaus bekannt machen – und nebenbei das angestaubte Image von La Plagne und Les Arcs aufpolieren.

Gewöhnungsbedürftige Architektur

Denn lange standen die beiden Gebiete für die alpinen Bausünden der Sechziger- und Siebzigerjahre. „Ohne eine Erklärung sind viele Leute zunächst mal abgestoßen“, sagt Jean-Marie Chevronnet. Der Dozent der Kunstgeschichte aus Lyon erklärt bei einer Tour die architektonische Geschichte von Les Arcs.

Perriand war schon eine Stararchitektin, als sie Les Arcs plante. Sie designte die Bäder, Küchen und Möbel des Skiressorts. Die Wohnungen hielt sie klein und einfach, damit sich jeder den Skiurlaub leisten konnte. Das war die Maxime des „Plan Neige“ der Regierung von Valéry Giscard d’Estaing von 1964: Skifahren für alle.

Perriand lebte in Paris, sie stellte die Bedürfnisse der urbanen Natursucher in den Mittelpunkt. „Sie verstand die Bedeutung der Aussicht“, sagt Chevronnet. Deshalb entwarf sie die Häuser so, dass sie wie künstliche Klippen aus dem Hang wuchsen und keines dem anderen den Panoramablick verbaute.

Monströse Dimensionen

Die Dimensionen sind dennoch monströs. Auf 96.211 Betten bringen es alle Resorts von Paradiski zusammen. In immer größerer Höhe wurden Feriensilos gebaut, wo zuvor nur ein paar Hirtenhütten auf Almen standen. 1968 eröffnete Arc 1600, sechs Jahre später Arc 1800 und im Jahr 1979 Arc 2000. Die Kennzahlen stehen für die Höhenmeter.

Ähnlich verlief die Entwicklung in La Plagne. Das höchstgelegene Resort, „Aime La Plagne“ auf 2100 Metern, einen mausgrauen Stufenklotz, kann man auch mit viel Hintergrundwissen nur potthässlich nennen. Das Monster habe aber viele Stammgäste, sagt François Pierre, der hier seit fast 40 Jahren als Skilehrer arbeitet.

Die Webseite von Paradiski listet Protzzahlen des Skigebiets auf: 232 Pisten, insgesamt 425 Kilometer lang, 70 Prozent auf über 2000 Metern Höhe gelegen. Es sind Superlative für die Tourismus-Werbung. Die meisten Gäste bleiben in dem Gebiet, wo sie übernachten, und fahren vielleicht einen Tag mit dem Vanoise Express auf die andere Seite.

Unpräparierte Naturpisten voller Buckel

Denn Les Arcs und La Plagne sind für sich allein riesig. Von Plagne 1800 bis zum Gletscher des 3417 Meter hohen Bellecôte fährt man, mit Liften und Seilbahn, eineinhalb Stunden. Es gibt blaue, rote und schwarze Pisten in jeder Höhe und Länge, eine violette Piste für Kinder und unpräparierte Naturpisten voller Buckel. Es gibt Rodelstrecken, eine olympische Bobbahn, einen Boardercross-Parcours oder einen Snowpark mit Rampen und Luftkissen. Doch immer mehr Gästen reicht das alles nicht.

Paradiski“Seit fünf Jahren hat die Zahl der Freerider stark zugenommen“, sagt Chloé Roux-Mollard, 26, die früher selbst Ski-Profi war. Sie steht in der Gondel zum Aiguille Rouge, um sie drängen sich Skifahrer mit Rückenprotektor, ABS-Rucksack und Helmkamera. Die Aiguille Rouge ist mit 3226 Metern der höchste Gipfel von Les Arcs, hier starten die berühmtesten Tiefschnee-Abfahrten. Selbst auf der Piste fordert die sieben Kilometer lange Abfahrt nach Villa Roger Können und Kondition.

Abseits der Piste ist die Rote Nadel noch eine weit größere Herausforderung. Aber die moderne Ausrüstung erlaube es immer mehr Fahrern, durch den Tiefschnee abseits der Pisten zu wedeln, sagt Chloé. „Es ist jetzt ein Rennen, wer als erster durch den frischen Schnee fährt.“ Um die Unfallzahlen niedrig zu halten, wurden an den Eingängen zu Tiefschneehängen große Warnschilder aufgestellt.

Zehn bis zwölf Lawinenunfälle passierten in Paradiski pro Jahr, sagt Claude Schneider. Doch zumindest gab es sechs Jahre lang keinen Toten zu betrauern. Vielleicht sind die Unfallzahlen deshalb so niedrig, weil Lawinenforscher Schneider und seine Helfer ihre Arbeit gut machen. (dpa)