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Auf wachsendem Land

Auf wachsendem Land

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Foto: Foto: Ekkehart Eichler

20 Jahre Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft: Mit Ranger Bartz wird ein Streifzug zum fesselnden Erlebnis

Friedemann Bartz ist ein glücklicher Mensch. Draußen in Wald und Flur. In derber Kluft zieht er sommers wie winters seine Runden. Denn Bartz ist Ranger im Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft.

1990 wurde das Schutzgebiet als eines von Dreien in Mecklenburg-Vorpommern aus der Taufe gehoben; heute nach Besucherzahlen der beliebteste deutsche Nationalpark. 805 Quadratkilometer Ostsee und Boddengewässer, die Darß, Zingst sowie die Insel Hiddensee umschließen und 371 Kilometer Küste mit Stränden und Dünen, mit Windwatten und Sandhaken, mit Nehrungen, Kliffs und Salzwiesen. Bartz‘ Revier ist Prerow auf dem Nord-Darß, einer der dynamischsten Küstenabschnitte der Ostsee. „Hier ist nichts so beständig wie die Veränderung”, begrüßt der gelernte Forstwirt seinen Trupp zur Halbtagestour und zeigt rüber zum Darßer Ort. Dort spült das Meer jedes Jahr bis zu zehn Meter Sand an, den Sturmwellen zuvor mit brachialer Gewalt vom Darßer Weststrand weggerissen haben. Ein rasanter Prozess: „Vor 300 Jahren noch stand das Wasser am Leuchtturm, inzwischen sind nördlich davon fast 2000 Meter Neuland „gewachsen”. Beim Marsch durch diesen Naturraum erklärt Bartz die Besonderheiten: die riesigen Gürtel aus mannshohem Röhricht etwa, das sich in verlandeten Seen immer weiter ausbreitet. Oder Wälder, die in Streifen stehen, weil so genannte Reffe und Riegen – Sandwälle und alte Dünentäler – etwa hundert Mal auf dem Neudarß wechseln.

Erster Halt: die Adlerplattform. Gut einen Kilometer entfernt macht Bartz vier Seeadler aus, gibt Feldstecher und Fakten weiter. „Seeadler könnten ohne Weiteres aus 70 Meter Entfernung Zeitung lesen. „Als kurz darauf ein pechschwarzer Vogel über unsere Köpfe schwingt, knüpft der Ranger mit einem fesselnden Kurzvortrag zum Thema intelligente Kolkraben an: „Wenn Seeadler eine Bedrohung ihrer Brut wittern, dann heben sie sofort ab. Darauf wartet der gerissene Rabe und holt sich seine Mahlzeit.”

Bartz Hauptaufgabe ist, die ihm anvertraute Natur vor menschlichen Übergriffen zu schützen. So steht es in der Nationalparkverordnung. Eine Sisyphus-Arbeit: Immer wieder hat er es mit angeblich verirrten Zeitgenossen zu tun, die Warntafeln ignorieren, über Zäune klettern, die Bohlenstege verlassen oder Hundeleinen für Nonsens halten. Mitunter mit verheerenden Folgen für die sensible Flora und Fauna.

Dann kennt der sonst geruhsame Norddeutsche kein Pardon und kassiert 35 Euro Verwarnungsgeld. Doch viel lieber begeistert der 58-Jährige die Besucher von „seinem” Nationalparkrevier. Mit Inbrunst beschreibt er, wie sich einsame Sandkörner zu einer Primärdüne aufbauen, preist den Strandhafer, der mit wäscheleinelangen Wurzeln im nährstoffarmen Quarzsand überlebt, schwärmt von Schwarzen Krähenbeeren, in deren Schatten Kiefernsamen ein ideales Wachstums-Mikroklima vorfinden, zeigt, wie Sand und Salz die Windflüchter so abschmirgeln, dass sie vor dem Westwind tatsächlich zu fliehen scheinen – die Touristen hängen an seinen Lippen.

Auf der nächsten hölzernen Kanzel sind es die Vögel, über die Bartz Erstaunliches zu be-richten weiß. 130 Arten brüten im Nationalpark, die größten Populationen stellen Wasser- und Wattvögel wie Kormorane, Kraniche oder Seeschwalben dar. Auch für Bartz sind einige nicht immer leicht zu identifizieren, „weil sie ständig ihre Kleidung wechseln.”

Vier Stunden malt der Fachmann mit Geschichten und Sprüchen ein buntes Bild vom ewigen Kreislauf des Werdens und Vergehens. Obwohl er nur einen Bruchteil seines Repertoires ausschöpft, hat er sein Ziel erreicht. Die Tourteilnehmer sehen seine Welt aus neuer Perspektive: „Großartig, wenn viele Menschen dieses wundervolle Fleckchen Erde besuchen”, sagt der Ranger: „Bei einer halben Million Besucher allein in meinem Revier, erreicht die Natur aber die Grenzen ihrer Belastbarkeit.” Trotzdem: „Ranger bleibt für mich der schönste Beruf”, sagt Friedemann Bartz zum Abschied, verschwindet glücklich im Schilf – allein, ohne Touristengruppe.