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Breitscheid ist vor allem ein Kreuz – aber auch ein Ort!

Breitscheid ist vor allem ein Kreuz – aber auch ein Ort!

Der nördlichste Stadtteil von Ratingen hat vor allem eins: Zwei Autobahnen, die sich ganz in der Nähe kreuzen. Doch abseits der Piste lebt man in Breitscheid auch ganz beschaulich in geklinkerten Ein-Familienhäusern und mit zwei hübschen Schlössern ganz in der Nähe. Spurensuche in einem Ort, der sein Kreuz klaglos trägt.

Ratingen. 

„Sie wollen nach Breitscheid?“, fragt der freundliche ältere Herr sichtlich verwundert. „Warum?“ Darum: Es gibt zwei Namen, die vorzugsweise durch ein Kreuz berühmt geworden sind: Jesus und – Breitscheid. Wobei sich vor allem bei Letzterem die Frage stellt, ob es das wirklich gibt: Breitscheid…

In Wikipedia ist es immerhin vermerkt. Danach ist Breitscheid „der nördlichste Stadtteil der Stadt Ratingen im Kreis Mettmann mit (im Jahr 2013) 5232 Einwohnern. Der Stadtteil ist vor allem bekannt für das Autobahnkreuz…“ Die 5232 Einwohner leben dem ersten und zweiten Eindruck nach vorzugsweise in rotgeklinkerten Einfamilienhäusern mit hübsch aufgeräumten Vorgärten. Aber offenkundig nur nachts. Jetzt, so gegen 15 Uhr, ist hier praktisch niemand zu sehen. Außer dem freundlichen älteren Herrn von eben, der gerne darüber Auskunft gibt, was hier so los ist in Breitscheid: „Eigentlich nichts…“ Einen Ortskern gibt es hier nicht, kein altes Zentrum, nur gepflegte Peripherie, umgeben von viel Grün und einem fernen Duft nach Pferdestall. Eine Schlafstadt, gearbeitet wird woanders, in Düsseldorf, Essen oder im Ratinger Zentrum. Und wo geht man hier abends in die Kneipe? „Kneipe?“

An lokalen Attraktionen fallen ihm spontan die Kirche, der Sportplatz, McDonald’s, Real und ein Toom-Markt ein. Und natürlich die DRK-Blutspendedienst West gGmbH, die hier eins ihrer drei Zentren für Transfusionsmedizin betreibt, eines der größten seiner Art in Deutschland. „Ach ja, und da drüben der Friedhof!“

Fluglärm morgens bei Ostwind

Na, dann geht es in Breitscheid ja immerhin schön ruhig zu, nicht wahr? „Im Gegenteil!“ Der Mann macht eine Feldherrengeste. „Gleich da hinten verläuft die A 52, und ab sechs Uhr morgens haben Sie bei Ostwind den Fluglärm von Düsseldorf um die Ohren“, klagt der Mann.

Lokalpatriotismus klingt definitiv anders. Er hätte ja zumindest vom schönen Schloss Landsberg schwärmen können, immerhin im 13. Jahrhundert für Adolf V. von Berg erbaut und heute stilvolles Konferenzzentrum der Thyssen-Krupp AG; oder vom Wasserschloss Linnep, das schon zwei Jahrhunderte vor Landsberg ein stattlicher Rittersitz war und heute privat bewohnt wird. Früher muss hier mehr los gewesen sein. Immerhin wurde hier im Hochmittelalter – wie im benachbarten Lintorf – die nicht ganz unberühmte „Breitscheider Irdenware“ hergestellt.

Begehrte Gebrauchskeramik

So hieß die über das Rheinland hinaus begehrte Gebrauchskeramik, Töpferware vom Buttertopf über den Bierkrug bis zum Suppenteller, die über die alte Kölner Landstraße zum Marktort Duisburg transportiert und von dort aus nach Köln und Bonn und bis nach London vertrieben wurde.

Davon ist freilich im Breitscheid von heute nichts mehr zu sehen. Die Scherben alten Ruhmes sind heute nur noch im Stadtmuseum Ratingen zu sehen. Was auch völlig in Ordnung ist, schließlich wurde die selbstständige Gemeinde Breitscheid Anfang 1975 aufgelöst und zum kleinen Teil der Nachbarstadt Mülheim und zum größeren Ratingen zugeschlagen.

Und damit keiner sagen kann, in Breitscheid sei nichts los: Am Wochenende wurde, wie alle zwei Jahre, in den Parkanlagen von Schloss Linnep das Schlossfest gefeiert, mit einer Trommelgruppe, der Rockband „All The Weird Horses“, dem Kinderchor Linnep, dem TUS Jazz-Tanz und einem Feuerwerk. Und der freundliche ältere Herr war sicher auch dabei. Was soll er auch sonst machen in Breitscheid?

Berühmt in ganz NRW

Jetzt liegt die Gemeinde, als hätte jemand „psst!“ gemacht, in einem von täglich über 200 000 Autos umrauschten Niemandsland zwischen Essen, Mülheim und Duisburg, dort, wo sich die A 3 und die A 52 kreuzen, nicht Fisch, nicht Fleisch, nicht Stadt und nicht Land, nicht mehr Hösel, noch nicht Lintorf und doch berühmt in ganz Nordrhein-Westfalen.

Weil es sein Kreuz trägt, ohne zu klagen.