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Madeline Scotto arbeitet mit 100 noch immer als Mathe-Lehrerin

Madeline Scotto unterrichtet mit 100 noch immer Mathe

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Die 100 Jahre sieht man ihr nicht an: Madeline Scotto arbeitet noch immer als Mathelehrerin in New York. Foto: dpa
Madeline Scotto ist 100 Jahre alt – und unterrichtet Mathe an einer Schule in Brooklyn. Dabei wollte sie niemals Lehrerin werden, sondern sprang 1954 an ihrer alten Schule nur als Aushilfe ein. Von Ruhestand hält sie gar nichts, obwohl ihre fünf Kinder längst alle selbst Rentner sind.

Washington. 

In ihrem Kollegium gibt es Leute, die halb so alt sind und Schwierigkeiten haben, ihre eigene Telefonnummer im Kopf zu behalten. Madeline Scotto unterrichtet dagegen dreimal in der Woche Schüler von der ersten bis zur achten Klasse, die an den in den USA beliebten Online-Schul-Wettbewerben teilnehmen wollen, um in den „Math Bee“-Disziplinen Addieren, Subtrahieren, Dividieren und Multiplizieren blitzschnell die richtige Antwort geben zu können. Der Kopf der zierlichen Frau mit den weißen Haaren funktioniert zuverlässig wie ein Taschenrechner. Ganz gegen alle Wahrscheinlichkeitsrechnung. Mit 100 Jahren gehört sie zu Amerikas ältesten noch aktiven Lehrerinnen.

1914 geboren, als in Europa die Weltmächte zündelten. 1928 an eben jener Schule das Abschlusszeugnis bekommen, an der sie noch heute Zensuren und Zuspruch verteilt. 1954, kurz nachdem sie ihr fünftes Kind gebar, in den Schuldienst eingetreten. Bis 2004 reguläre Klassen unterrichtet. 2014, noch immer mit Rechenschieber, Geo-Dreieck und Algebra unterwegs. Scottos Vita bestätigt, was Forscher herausgefunden haben: Zahlen halten jung. Sie ziehen der Vergreisung die Wurzel.

Eigentlich wollte sie gar nicht Lehrerin werden

Ans Pult brachte sie der Zufall. Lehrer-Schwestern an der „St. Ephrem’s Grundschule“ in Dyker Heights, einem heute von Asiaten dominierten Viertel im New Yorker Stadtteil Brooklyn, wurden bei einem Busunfall in den 50er-Jahren schwer verletzt. Damit die Schüler den Anschluss nicht verpassten, suchte die damalige Prinzipalin händeringend Aushilfen. Scottos Mutter gab ihrer damals 40 Jahre alten Tochter, die mit ihrem Mann Francis in Pennsylvania lebte, den entscheidenden Schubs. „Sie passte auf meine Kinder auf.“

Berufsfremd und ohne pädagogische Fachkenntnisse ging Scotto ans Werk. „Ich wollte helfen.“ Schnell zeigte sich: eine geborene Pädagogin. „Ich kam an die Schule, und sie wollten mich einfach nicht mehr gehen lassen“, erzählte die Jubilarin, die am 16. Oktober die Jahrhundert-Grenze überschritt, dem TV-Sender ABC. Englisch, Geschichte, Naturwissenschaften, Madeline Scotto unterrichtete mit der Zeit fast alles. Außer Sport. Ihre Leidenschaft wurden die Zahlen.

„Ruhestand“ – das gibt’s bei Madeline Scotto nicht

Dass die Rechnung für alle Beteiligten auch noch im biblischen Alter aufgeht, liegt an Scottos unverwüstlichem Optimismus. Sie empfindet sich nicht als Seniorin, liest jeden Morgen die „New York Times“, regt sich über die Flut der Werbe-Unterbrechungen im Fernsehen auf und findet zutreffend und trocken: „An Obamas Job würde ich keinen Gefallen finden.“

Ruhestand, das Wort existiert in ihrem Wortschatz nicht. „Warum soll ich aufhören, mit dem, was mir und den Kindern Spaß macht?“. Mathematik – und Spaß? Muss wohl. Auf ihrer Facebook-Seite türmen sich Einträge wie der von James Stawniczy: „Frau Scotto ist fantastisch. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie sie mir bei der Bruchrechnung geholfen hat.“ Karen Bloch hat behalten, dass Frau Scotto Schüler nie in „Gewinner und Verlierer aufgeteilt hat – jeder wurde gleichermaßen angetrieben sein Bestes zu geben“.

Verdienstorden des Papstes

Als sie neulich in der Schul-Aula zu Ehren der Jubilarin eine Diashow zeigten, war die Glückseligkeit generationsübergreifend. In manchen Fällen sahen Oma, Mutter und Tochter Bilder ihrer Schultage in „St. Ephrem’s“. Nur die Lehrerin war dieselbe: Madeline Scotto. „Sie ist eine Lichtgestalt“, sagt Direktorin Annamarie Bartone, „wo sie auftritt, kommt Freude und gute Stimmung auf.“ Bereits vor 20 Jahren war Scotto für den landesweiten Preis „Lehrer des Jahres“ nominiert. Der Papst verlieh der gläubigen Katholikin, die täglich betet, 2009 den Verdienstorden „Pro Ecclesia Et Pontifice“.

Für Scotto Ansporn genug, ihr Wissen weiter zu geben. Weil sie gegenüber wohnt, ist der Weg zur Schule nicht weit. Ein Hausmeister hilft ihr über die Straße. Madeline Scotto muss oft schmunzeln bei ihrer liebsten Zahlenspielerei. Sie hat 16 Urenkel, neun Enkel und mit Josephine, Marie, Raphael, Louis und Michele fünf Kinder. „Alle meine Söhne und Töchter sind bereits Rentner.“ Ein Lacherfolg hoch zwei.