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Fein, elastisch und belastbar – Wundermaterial Spinnenseide

Fein, elastisch und belastbar – Wundermaterial Spinnenseide

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Tautropfen auf Spinnenetz Foto: Jens Büttner
Die von Spinnen produzierten Fäden begeistern die Wissenschaft. Sie sind robust, elastisch, belastbar – und könnten die 3D-Drucktechnik voranbringen.

Essen. 

Wenn die Frühlingsluft dazu motiviert, die Heckenschere und Blumenkralle aus dem Keller zu kramen, haben es sich im überwinterten Garten längst zahlreiche Achtbeiner gemütlich gemacht und Netzwerke aus Spinnenseide gefädelt. Da kann es beim Bäumchenpflanzen schnell passieren, dass ein Spinnenfaden die Nase kitzelt – eklig, zumindest unangenehm. Dabei sollten uns Spinnenfäden eher faszinieren, denn sie sind ein wahres Wunderwerk der Evolution.

Was macht Spinnenseide so besonders?

Spinnenseide ist dünner als ein Haar, aber elastischer als Gummi und 25 Mal so belastbar wie ein vergleichbarer Stahldraht – die Zähne der Napfschnecke sind das einzige biologisches Material, das stärker ist. Obendrein ist die Seide resistent gegen Hitze, Pilze und Bakterien.

Wie produzieren Spinnen die Fäden?

Im Körper der Spinnen verbinden sich viele einzelne Proteine zu langen Ketten. In ihren Spinndrüsen sammeln die Tiere die Proteine in einer wässrigen Lösung, pumpen diese durch den Spinnkanal und wandeln sie dann blitzschnell in eine feste Faser um.

Warum wird die Seide kaum industriell verwendet?

Berüchtigt ist der Zauberfaden schon seit der Antike – Aristoteles soll ihn verwendet haben, um Blutungen zu stoppen. Dass Spinnenseide bisher trotzdem eher Geheimtipp als industrielles Massenprodukt, ist, liegt daran, dass sich eine natürliche Gewinnung der Fäden auf Spinnenfarmen nie als besonders wirtschaftlich herausgestellt hat. Denn Spinnen verspeisen sich gegenseitig und es ist mühselige Feinarbeit, sie zu „melken“. Wissenschaftler haben deswegen Jahrzehnte daran geforscht, den Allround-Faden nachzubauen – 2013 erstmals mit Erfolg. Die Münchener Firma Amsilk und die Universität Bayreuth haben vor zwei Jahren bewiesen, dass es möglich ist, künstliche Spinnenseide in industrieller Größenordnung herzustellen.

Wie lässt sich künstliche Seide herstellen?

Um „Biosteel“ zu gewinnen (so nennt sich die künstliche Seide von Amsilk), haben die Forscher die Spinnenseide mit Bakterien nachgebaut und technisch versponnen. Zuvor hatten US-amerikanische Forscher versucht, Spinnenseide mittels genveränderter Mikroben, Raupen, Nutzpflanzen und gar Ziegen zu gewinnen.

So sollten etwa spinnenähnliche Seidenproteine aus der Ziegenmilch gewonnen werden. Nur bei der Raupenseide gelang die industrielle Massenproduktion. Thomas Scheibel von der Uni Bayreuth betont allerdings, dass die Raupenseide nur zu maximal sechs Prozent aus Spinnenseide bestehe. „Der Rest ist herkömmliche Raupenseide mit den entsprechend schlechteren Eigenschaften.“

In welchen Bereichen könnte Spinnenseide Anwendung finden?

Wegen seiner besonderen Eigenschaften böte sich der Wunderstoff perfekt als Material für Wundversorgung an. Spinnenbinden wären nicht nur sauerstoff- und wasserdurchlässig, sie würden auch keine Krankheitserreger durchlassen. Da die Krabblerseide aus Proteinen besteht, die in ähnlicher Form im menschlichen Organismus vorkommen, ist sie für uns äußerst verträglich. In der Chirurgie könnte sie zum Standard-Repertoire werden, um defekte Nervenstränge zu reparieren oder Entzündungen zu hemmen.

Und auch im Bereich der Textilien und Sportartikel könnte die Seide Anwendung finden. Noch sind Pflaster und Funktionshosen aus „Biosteel“ allerdings Zukunftsmusik. Hautcremes mit Spinnenseide sind zwar bereits seit einiger Zeit zu kaufen, diese beinhalten aber Mikropartikel der Seide – wesentlich einfacher herzustellen als komplexe Fäden. „Unsere Pilotanlage für die ,Biosteel’-Produktion ist bereits angelaufen“, so Lin Römer von Amsilk. Bis die Großproduktion beginnt und man große Mengen Fasern bestellen kann, werde es allerdings noch eine Zeit lang dauern.

Wird weiter an Spinnenseide geforscht?

Ja, neueste Forschungsergebnisse zeigen, dass Spinnenseide auch in der jungen 3D-Drucktechnik eine wichtige Rolle spielen könnte, und zwar als „Biotinte“ in der „Biofrabrikation“. Dabei geht es um die Produktion von gewebeähnlichen Strukturen, die für die Wiederherstellung von beschädigtem Herzmuskel-, Haut- oder Nervengewebe benötigt werden.

Dass Spinnen ihre Proteinfäden blitzartig von flüssig in fest umwandeln können, findet auch bei 3D-Druckern Anwendung. Dort fließt eine Gel-Mixtur mit Spinnenseidenmolekülen in die Druckköpfe, die fein aufgetragen wird, sich dann aber sofort verfestigen kann. Diese Eigenschaft sowie die Tatsache, dass das Material keine toxische Wirkung hat und keine Immunreaktionen auslösen kann, macht Spinnenfadentinte für die „Biofabrikation“ gegenüber allen anderen Materialien überlegen, wie jüngst ein Forschungsteam an den Universitäten Bayreuth und Würzburg herausfand.