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Schenker-Chef lobt „exzellente Talente“ im Ruhrgebiet

Schenker-Chef lobt „exzellente Talente“ im Ruhrgebiet

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Foto: Jakob Studnar
Jochen Thewes weiß den Logistik-Standort zu schätzen. Ein Gespräch über Fachkräftesuche im Revier, die Folgen des Brexit und die Vorzüge grenzenloser Logistik in Europa

Essen. 

Das „Netz“, wie die neue Schenker-Zentrale in Essen heißt, steht für das Logistikgeflecht der Bahntochter, das sich zu Land, Luft und See über den Globus erstreckt. Von der Raumtemperatur her könnten wir auch in Singapur sein, die Klimaanlage läuft noch nicht rund im neuen Büro des neuen Schenker-Chefs Jochen Thewes. Zwei Kartons wollen noch ausgepackt werden. Im Interview mit Janet Lindgens und Stefan Schulte spricht Thewes über Vorzüge des Ruhrgebiets, die Folgen des Brexit und den möglichen Börsengang.

Herr Thewes, Sie benötigen hier in Ihrer neuen Zentrale laufend neue Fachkräfte, vor allem IT-Experten. Finden Sie die im Ruhrgebiet?

Jochen Thewes: Das stimmt, 300 unserer gut 700 Beschäftigten hier arbeiten in der IT. Unser neuer IT-Chef Markus Sontheimer äußert sich sehr zufrieden über die Qualität der Mitarbeiter und ehrlicherweise auch über das Lohnniveau hier im Ruhrgebiet, das für uns günstiger ist als etwa in Frankfurt, München oder Berlin. Ich kenne die Diskussionen, nach denen es hier an Innovationskraft gerade beim Thema Digitalisierung fehle, etwa im Vergleich zur Start-up-Szene in Berlin. Aber für unsere Bedürfnisse finden wir hier alles, was wir brauchen. Und wir suchen und finden auch exzellente Talente im Bereich Digitalisierung, zum Beispiel Data-Scientists. Das Ruhrgebiet hat gerade für unser Geschäft, die Logistik, viele Standortvorteile.

Welche denn noch?

Nun, das Ruhrgebiet ist in den Bereichen Lagerung und Warenverteilung weit vorne, denken Sie nur an den Duisburger Binnenhafen. Dort haben wir unsere Geschäftsstelle mit unserem neuen Plattform-Konzept gerade erst zur Drehscheibe auch für die Benelux-Länder ausgebaut. Im „DB Schenker Enterprise Lab for Logistics and Digitization“ in Dortmund forschen wir zusammen mit dem Fraunhofer Institut und der Technischen Universität Dortmund an digitalen Innovationen und Zukunftsfragen der Logistik. Die TU Dortmund ist in Sachen IT führend, die Uni Duisburg-Essen eine der Top-Adressen für Logistikstudenten. Das Niveau der Absolventen, auf die wir da zugreifen können, ist schon klasse.

Um die Infrastruktur im Ruhrgebiet steht es nicht ganz so gut.

Ja, da gibt es in ganz NRW Engpässe, besonders im Raum Köln und natürlich auch im Ruhrgebiet. Wir würden uns einen schnelleren Ausbau der Infrastruktur wünschen. Ich glaube aber, die Politik hat dieses Problem mittlerweile erkannt.

Das uns in den nächsten Jahren viele Baustellen bescheren wird . . .

. . . und uns auch trifft, vor allem die vielen Langzeitbaustellen. Entscheidend ist aber die damit verbundene Perspektive besserer Straßen. Schließlich ist der europäische Landverkehr unser mit Abstand größtes Geschäftsfeld. Wir transportieren in unserem europäischen Netzwerk 100 Millionen Sendungen im Jahr – das sind drei Sendungen pro Sekunde.

Wenn der europäische Landverkehr den meisten Umsatz bringt – ist der grenzenlose Warenverkehr im Binnenmarkt für Sie überlebenswichtig?

Europas Binnenmarkt ist sehr wichtig für uns, die offenen Grenzen sind für den gesamten Wirtschaftsraum von großer Bedeutung, weil sie den Warenverkehr effizienter und damit kostengünstiger machen. Wenn wir jetzt in der europäischen Entwicklung zurückfallen sollten und möglicherweise wieder Lkw an den Grenzen stehen, die durch die Verzollung müssen, wäre das zwar operativ für uns machbar, aber für die Wettbewerbsfähigkeit Europas ein Rückschritt. Wir sind gerade dabei, für unsere Kunden die Warenströme in Europa weiter zu beschleunigen. Wir reden hier von einem Binnenmarkt, den wir zentral so steuern wollen, als wäre er ein Land.

Dann müssen Sie den Brexit und die möglichen Folgen für die EU mit Entsetzen aufgenommen haben. Wenn weitere Länder ausscheren, droht ja genau das: der Rückfall in ein Europa aus Einzelstaaten mit entsprechenden Grenzen.

Ein offenes Europa ist für die Wirtschaft, für die Unternehmen, de­nen wir Logistiklösungen anbieten, enorm von Vorteil. Viele unserer Kunden machen sich aktuell große Sorgen. Wenn sich der Brexit konjunkturell auf Europa und die Weltwirtschaft auswirkt, hat das auch für uns Logistiker Folgen. Wie stark die wirtschaftlichen Folgen des Brexit sein werden, müssen wir aber abwarten.

Die Bahn, Ihre Mutter, verlangt von Ihnen vier Prozent Rendite, was zuletzt weit verfehlt wurde. Wie wollen Sie das schaffen?

Wir sind auf einem guten Weg, unsere Zahlen in den ersten fünf Monaten stimmen mich optimistisch. Es liegt aber noch viel Arbeit vor uns. Wir müssen effizienter werden, etwa mit einem zentralen Einkauf. Ein Beispiel: Wir haben allein in Europa 37 verschiedene Gabelstaplerhersteller im Einsatz. Ich wusste gar nicht, dass es so viele gibt. Sinnvoll ist das sicher nicht. Außerdem müssen wir auf den internationalen Märkten Wachstumschancen konsequent nutzen. Wir sind bisher sehr europalastig aufgestellt, doch aus Europa werden in den kommenden Jahren nicht die größten Wachstumsimpulse kommen. In den Märkten in Asien und Nordamerika, aber auch in Afrika und im Mittleren Osten setzen wir klar auf den Gewinn von Marktanteilen, da wollen wir überproportional wachsen.

Sie führen ein Unternehmen mit 66 000 Mitarbeitern weltweit, müs­sen aber nach wie vor an den Bahnvorstand in Berlin berichten. Vielleicht bremst Sie ja dieses Konzerngeflecht in Ihrem Wachstum?

Nein, das sehe ich nicht. Herr Grube sagt immer, dass die Bahn DB Schenker genügend Freiheiten geben müsse und er lebt das auch vor. Der Markenname DB ist zudem international sehr bekannt und damit ein Vorteil für uns.

Ein Börsengang könnte Ihnen noch mehr Freiheiten verschaffen.

Der Konzernvorstand wird bis Herbst ein detailliertes Umsetzungskonzept erarbeiten. Die Entscheidung wird der Aufsichtsrat der DB AG treffen. Dabei geht es auch um neues Wachstum, das wir mit frischem Kapital anschieben könnten. Der Transportmarkt konsolidiert sich derzeit weltweit und wir sehen uns da als aktiven Teilnehmer. Deshalb finde ich den Ausblick auf neue Zugänge zu Kapital durchaus interessant.

Aber die Bahn will doch mit dem Geld aus dem Schenker-Börsengang eigene Probleme lösen.

Sowohl als auch. Sicher würde Geld für Investitionen bei der Bahn fließen, aber auch in unsere internationalen Wachstumsfelder. Die Bahn will DB Schenker ja nicht verkaufen, sondern mehrheitlich im Konzern behalten.

Die Post sorgt sich vor einem Einstieg von Amazon ins Transportgeschäft. Sie auch?

Wir beobachten das sehr genau. Amazon drängt in unser Geschäft, mittlerweile auch mit eigenen Lieferdiensten, besorgt sich in China Transportlizenzen, mietet in den USA selbst Frachtflugzeuge. Wir werden Amazon sicher als Wettbewerber im Markt spüren und uns mit dem Unternehmen beschäftigen müssen.