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Klinikleitung gerät im Hygieneskandal ins Schleudern

Klinikleitung gerät im Hygieneskandal ins Schleudern

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Hygiene ist im Operationssaal lebenswichtig. Mindestens von 2007 bis Oktober 2014 soll die Missachtung von Hygienegesetzen gängige Praxis gewesen sein in der Mannheimer Klinik. Foto: dpa
Dementieren, bis es nicht mehr geht: Im Skandal um verschmutzte OP-Bestecke in der Uniklinik Mannheim gaben sich Verantwortliche bisher unwissend. Dabei waren sie über Hygienemängel und erhöhte Infektionsraten im Bilde.

Mannheim. 

Im Skandal um verdreckte OP-Bestecke in der Uniklinik Mannheim kommen Verantwortliche in Bedrängnis. Interne Unterlagen legen nahe, dass der Aufsichtsratsvorsitzende früher von Hygienemängeln wusste als er sagt. Die Klinikleitung bringt sich durch Behauptungen ins Schleudern, die von Untersuchungen widerlegt werden. Unter Druck gibt die Geschäftsführung jetzt zu: Bei speziellen Gehirnoperationen gab es 2014 eine Infektionsrate von 15 Prozent.

HygieneAls es um die eigene Gesundheit ging, vertraute der Aufsichtsratschef der Uniklinik Mannheim einem anderen Krankenhaus. Für eine Bandscheiben-OP im Jahr 2013 begab sich der Mannheimer Oberbürgermeister Peter Kurz (SPD) nach Informationen der Funke-Mediengruppe ins benachbarte Universitätsklinikum Heidelberg. Ob das eine Kopf- oder Bauchentscheidung war, will Kurz nicht sagen. Solche Fragen würden „nicht beantwortet“. Nur so viel lässt er ausrichten: Es gebe „keinen Zusammenhang“ zwischen seiner persönlichen Krankenhaus-Wahl „und Vorkommnissen im Klinikum“.

Dreck im OP-Besteck

Diese „Vorkommnisse“ sind bundesweit beispiellos: Mindestens von 2007 bis Oktober 2014 soll die Missachtung von Hygienegesetzen gängige Praxis gewesen sein in der Mannheimer Klinik. Das sagt eine unabhängige Expertenkommission, die Abläufe in dem 1350-Betten-Haus untersucht ist. „Nach objektiver Einschätzung“ kommt sie zu dem Schluss: Die Klinik war jahrelang nicht in der Lage, ihre Instrumente korrekt zu reinigen – weder technisch, noch personell, noch organisatorisch. Die Folgen waren manchmal mit bloßem Auge sichtbar: Dreck im OP-Besteck, Blut, Gewebereste, einmal auch eine tote Fliege – es gibt einige Berichte mit unappetitlichen Details der Affäre.

„Wenn nach der Reinigung noch Schmutz am OP-Besteck klebt, besteht natürlich ein erhöhtes Infektionsrisiko für Patienten“, sagt Klaus Wiese, Vize der Deutschen Gesellschaft für Zentralsterilisation (DGSV). „In Schmutzresten können Bakterien und Viren überleben. Dann hilft eine Sterilisation nicht mehr.“ Diese Erkenntnis sei „nicht neu, sondern Stand der Wissenschaft“, sagt Wiese, Chef der Zentralsterilisation im Dortmunder St.-Johannes-Hospital. Das Infektionsschutzgesetz schreibe vor: „Erst reinigen, dann desinfizieren, dann sterilisieren. Wenn OP-Bestecke nicht vorschriftsmäßig gereinigt sind, dürfen sie nicht am Patienten zum Einsatz kommen, sondern müssen in die Nachreinigung, bis sie sauber sind.“

Skalpelle, Scheren und Pinzetten hätten nie benutzt werden dürfen

In Mannheim könnten bis zu 350.000 Patienten mit Skalpellen, Scheren, Pinzetten, Endoskopen und anderen Instrumenten behandelt worden sein, die niemals hätten benutzt werden dürfen. Die Bestecke der Uniklinik waren zuletzt so marode, dass 80 Prozent in die Schrottpresse kamen. Seit Oktober 2014 ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen sechs Klinikmitarbeiter, darunter Ex-Geschäftsführer Alfred Dänzer, der deshalb auch seinen Job als Präsident der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) verlor.

Der Aufsichtsrat habe von den Defiziten „erst im Oktober 2014 erfahren“, sagt der Vorsitzende Kurz. Vorher habe es „keinen Anlass“ gegeben, „auf Hygienemängel zu schließen“.

Katastrophale Entwicklung der Hygiene

Nach Recherchen der Funke-Mediengruppe gab es spätestens im November 2012 erheblichen Anlass zu solchen Schlüssen. Da lag dem Aufsichtsrat das Ergebnis einer Patientenbefragung vor. Sie offenbarte eine katastrophale Entwicklung der Hygiene im Hause: In sechs Kliniken läuteten die Alarmglocken. Bis zu 62 Prozent der teilnehmenden Patienten beklagten einen Verfall der Sauberkeit. Frauenklinik, Chirurgie, Neurochirurgie, Orthopädie, Neurologie und Kinderchirurgie bekamen die mit Abstand schlechtesten Hygiene-Noten seit 2009.

Im Aufsichtsrat wurde einigen Mitgliedern mulmig. Der Rektor der Universität Heidelberg, Professor Bernhard Eitel, fragte direkt, „welche Kosten multiresistente Keime im Klinikum verursachen würden“. Klinikchef Dänzer sagte, es gebe „kein auffälliges Keimproblem“, aber „signifikante Veränderungen“, die „teilweise nicht nachvollziehbar“ seien. Kurz mahnte, „dass man die Befragung ernst nehmen müsse“. Weiter passierte nichts.

Kette von Infektionen bei Arthroskopien

Auch nicht als der ärztliche Direktor Professor Michael Hennerici der Geschäftsführung 2013 „ein schwerwiegendes Ereignis“ meldete: eine Verseuchung im Orthopädisch-Chirurgischen Zentrum. Bei Arthroskopien war es zu einer Kette von Infektionen gekommen. Die Auslöser fanden Ärzte in einem vermeintlich sterilen OP-Behälter. Dort entdeckten sie „an zehn Instrumenten eine Verkeimung“. Genauere Untersuchungen zeigten, dass im OP- und Sterilgutbereich so gut wie nichts funktionierte: Unkundiges Personal wusch Instrumente in geschlossenem Zustand. Die Reinigungsversuche liefen in „ungeeigneten Waschstraßen“. Es gab „nicht genügend Waschsiebe“. Die Notbremse zog kein Verantwortlicher.

Die angespannte Lage damals verdeutlichen Einträge ins Fehlermeldesystem der Uniklinik. Dort finden sich konkrete Hinweise darauf, dass die Missstände „OPs verzögerten“ und „Patientengefährdungen zur Folge hatten“.

Schwester berichtet, was sie in der Uniklinik Mannheim erlebte 

Was sie bis 2010 in der Uniklinik erlebte, berichtet eine Krankenschwester: „Von einem Saal im Zentral-OP war bekannt, dass er verkeimt war. Den haben sie nicht sauber gekriegt. Wenn wir Patienten dort ablieferten, bekamen sie vorher zwei unterschiedliche Antibiotika, zur Vorbeugung gegen Infektionen.“ Die Aussage der Klinik, nur unbedenkliche Säle würden für Operationen freigegeben, bezeichnet sie als „Illusion“. Die Missstände hätten „sehr viel Frust beim unterbesetzten Personal“ ausgelöst, sagt die Schwester. Kollegen, die sich auf den gefährlichen MRSA-Keim testen lassen wollten, seien zurückgepfiffen worden. „Dann habe ich ja nur noch die Hälfte der Leute zur Verfügung“, habe ein Vorgesetzter gesagt.

Aufsichtsräte kannten diese Engpässe. 2011 beklagte die Betriebsratsvorsitzende Marianne Gauweiler den Fachkräftemängel bei Ärzten und Pflegern. Sie forderte Investitionen in weiteres Personal. Vergeblich. Im Juli 2012 stellte Gauweiler fest, dass „die Leistungsverdichtung weiter zugenommen habe und die Grenze des Zumutbaren langsam erreicht sei“. In derselben Aufsichtsratssitzung unterrichtete Klinikchef Dänzer das Gremium über „massive Probleme bei der Genehmigung der hochsterilen Teile“, die einen Zweig des Klinikbetriebs einschränken würden. Kurz saß bei diesen Sitzungen mit am Tisch.

„Keine erhöhte Zahl an Wundinfektionen“, sagt die Klinik

Von gehäuften Infektionen wollten Klinik und Aufsichtsratschef offiziell nichts wissen. „Kennziffern wie Wundinfektionsraten“ seien „unauffällig“ gewesen, lässt Kurz ausrichten. „Im Klinikum Mannheim hat es in den vergangenen Jahren keine erhöhte Zahl an Wundinfektionen gegeben“, schreibt die Klinik in ihrer Patienteninformation 06/2015.

Der Funke-Mediengruppe liegt eine klinikinterne statistische Erhebung vor, die Anderes ausweist. Danach lag die Gesamtinfektionsrate bei Patienten in der Neurochirurgie mit 3,9 Prozent im Jahr 2014 annähernd doppelt so hoch wie in 2015. Bei stereotaktischen Operationen, minimalinvasiven Eingriffen im Gehirn, stieg die Infektionsrate 2014 teilweise auf bis zu 20 Prozent.

Infektionsrate von 15 Prozent bei bestimmten Gehirn-OPs

Die Zahlen aus der Neurochirurgie, intern schon länger ein Thema, kamen auch bei der Klinikdirektoren-Konferenz am 23. Juni auf den Tisch – als Reaktion auf das Abstreiten auffälliger Infektionen seitens der Geschäftsführung, wie Sitzungsteilnehmer berichten. Das Echo sei geteilt gewesen. Einige hätten den Vorstoß des Neurochirurgie-Chefs als „Nestbeschmutzung“ kritisiert, andere ihm im Nachhinein zugestimmt und gratuliert.

Kurz vor Veröffentlichung dieses Beitrags knickte die Uniklinik Mannheim ein. Ein Sprecher bestätigte eine Infektionsrate von 15 Prozent bei stereotaktischen Gehirnoperationen im Jahr 2014. Gemessen an einer aktuellen Studie aus Taiwan, entspräche dies einem mehr als zehnfach erhöhten Infektionsaufkommen.