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Wiebold TV – Tag und Nacht dem Verbrechen auf der Spur

Wiebold TV – Tag und Nacht dem Verbrechen auf der Spur

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Foto: Wiebold TV
„Ich habe immer Pionierarbeit gemacht“, sagt Wolfgang Wiebold über sich. Als einer der ersten setzt der Fotograf in den 80ern Tatorte in Farbe in Szene. Der 64-Jährige ist der Blaulicht-Reporter schlechthin: „Ich habe keine Familie, „ich bin verheiratet mit dem Job.“ Eine Biografie ist in Arbeit.

Essen. 

Es könnte das ambitionierteste Projekt im Leben von Wolfgang Wiebold werden: die Vita des Blaulicht-Reporters schlechthin zwischen zwei Buchdeckel pressen zu lassen. Der mittlerweile 64-Jährige hat eine Bekannte gefunden, die sich dieser Aufgabe angenommen hat. Sie liegen aktuell bei 60 Seiten. Das ist noch eine sehr überschaubare Zahl für das Leben, das Wiebold geführt hat.

Die Biografin könnte anfangen im Studio in einer Nebenstraße in Rüttenscheid, modernste Technik und abgewetzteste Ledersessel, die von langen Tagen und langen Nächten zeugen. Wenig persönliche Gegenstände, im Keller ein Server, der unaufhaltsam wummert, im Erdgeschoss überquellende Aschenbecher. In die schafft es Wiebold tatsächlich immer wieder, noch einen und noch einen Glimmstengel unterzubringen ohne einen Großbrand auszulösen, während der nächste schon in seinem Mundwinkel steckt. Warten auf den nächsten Einsatz. „Die Zigarette“, sagt der 64-Jährige, „gehört einfach zu mir.“ Er zündet sich noch eine an, während er innerlich glüht. „Aktuell“, „schnell“, Attributen wie diesen hat er sich verschrieben. Unter Strom. Immer. „Ich habe keine Familie“, sagt Wiebold, „ich bin verheiratet mit dem Job.“ Wiebold TVnews betreibt er mit einem Partner, freie Mitarbeiter liefern zu. Ihr Anspruch: Da sein, wenn es brennt. Und möglichst die ersten zu sein.

„Mein Traum war immer, Pressefotograf zu werden“

Das Buch könnte von den Träumen erzählen, die der 64-Jährige in seinem Leben gehabt hat. Als Heranwachsender ist sein großes Ziel die Teilnahme an den Olympischen Spielen. Aktiv Leichtathletik betreibt er in den 60er Jahren, Leistungssport, läuft abends 20 Kilometer zum Training quer den Hafen in Duisburg, seiner Heimatstadt. Nach dem Bund in Rheine macht er erste Fotos für die Neue Rhein/Neue Ruhr Zeitung (NRZ), und reist mit einem Zirkus durch Europa, die Kamera immer im Gepäck. Mitte der 80er Jahre segelt er einmal mit zwei Bekannten per Schiff von Gran Canaria nach Kuba. 30 Tage lang. Es ist sein erstes Mal auf dem Wasser – und wie sein Motto fürs Leben: „Ich habe immer nach vorne geguckt.“

„Mein Traum“, sagt Wiebold, „war immer, Pressefotograf zu werden.“ In den 70er Jahren heuert er bei der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (WAZ) an, zur Mitte des Jahrzehnts arbeitet er in der Lokalredaktion in Essen, bis Mitte der 80er Jahre dann als Springer in etlichen Städten des Ruhrgebiets. Es ist das, was Wiebold tagsüber macht; wenn andere schlafen, liegt er auf der Lauer: „Wenn nachts etwas passiert ist, bin ich losgefahren.“ Zu Unfällen und Unglücken, zu Leichen und Bränden.

„So begann das Frühstücksfernsehen im Ersten“

Wiebold ist der, der vorneweg gegangen ist. So sieht er sich selbst: „Ich habe immer Pionierarbeit gemacht.“ Anfang der 80er Jahre fotografiert er als einer der ersten Tatort-Fotografen in Farbe, er legt sich ein Autotelefon zu – „dadurch war ich noch schneller“ – und damit war er letztlich auch immer erreichbar. Schon in den frühen 80er Jahren dreht Wiebold Filme. 1982 liefert er seinen ersten Beitrag fürs TV. Der Clip zeigt den Brand der Großdiskothek Fledermaus an der Gelsenkirchener Stadtgrenze. Unzählige folgen. „So habe ich mir beim Fernsehen einen Namen gemacht“, sagt der 64-Jährige heute. Daraus erwachsen abenteuerliche Ideen. Als Anfang 1991 die Befreiung Kuwaits von der irakischen Besatzung beginnt, schnappt sich Wiebold seine Kamera und holt Stimmen der Menschen in Essen ein, wie sie darauf reagieren, mitten in der Nacht, am Großmarkt, am Schlachthof. Die Bilder strahlt die ARD um vier Uhr morgens in der Tagesschau aus. Es sind die ersten Reaktionen bundesweit. „So begann das Frühstücksfernsehen im Ersten“, sagt Wiebold.

Wiebold ist auch der, der nicht zurückschreckt. Den ein Flatterband auf der Autobahn nicht davon abhält, sich zum Flughafen Düsseldorf durchzuschlagen, als der 1996 in Flammen steht: „Ich bin in das brennende Terminal rein und stolpere fast über die ersten Leichen.“ Die Bilder verkauft Wiebold später an die Tagesschau. Und Deutschland sieht, dass es Tote am Düsseldorfer Flughafen gegeben hat. „Was ich filmen konnte, habe ich gefilmt“, blickt Wiebold zurück. Als Chronist der Zeitgeschichte betrachtet sich der 64-Jährige. „Ethik und Moral fangen an, wenn es veröffentlicht wird, alles andere ist ein Dokument.“

Größter Coup und größte Niederlage – Enschede und Wuppertal 

Eine Biografie müsste sich auch mit Wiebolds größtem Coup beschäftigen, wenn der Begriff in diesem Zusammenhang erlaubt ist. Der Reporter erzählt, als wäre es gestern gewesen: Am Samstag, dem 13. Mai 2000 liegt er nachmittags zu Hause im Bett und verfolgt die Konferenz der Fußball-Bundesliga. Da bekommt er einen Anruf: schwarze Rauchwolke über dem Münsterland. Im holländischen Enschede ist eine Fabrik mit Feuerwerkskörpern in die Luft geflogen. Wiebold schickt erst einen Kollegen vor, und rast dann selbst aus dem Ruhrgebiet gen Norden. Wiebold trifft die richtige Entscheidung, „Näschen mit viel Glück“ würde er sagen, er fährt von einer anderen Seite als alle anderen Reporter den Brandort an. „Wahnsinn“, erinnert sich Wiebold, „ich stand plötzlich mittendrin. Mitten im Chaos. Ich habe gedacht, ich wär im Krieg.“ Quasi zerbombte Häuser, ausgebrannte Autos, brennende Menschen. „Ich habe alles gefilmt.“ Im niederländischen Fernsehen laufen später die Bilder des deutschen Reporters.

Das Buch wird auch die größte Niederlage nicht verschweigen können: Wiebold ist der erste am Unglücksort, als die Wuppertaler Schwebebahn am 12. April 1999 aus der Trasse fliegt und in das Flüsschen stürzt. „Die lag da, die Leute kletterten raus, ich greife nach meiner Kamera und die gibt den Geist auf.“ Es ist ein Wackelkontakt in der Stromversorgung. Wiebold bleibt am Unglücksort. Eine Stunde nach ihm kommen die ersten Konkurrenten – mit funktionierenden Kameras. „Da war ich deprimiert. Das nagt noch heute an mir.“

„Ich kippe irgendwann an einem Tatort um und dann ist gut“

Es gibt Legenden, die sich um diesen Mann ranken und Wiebold denkt gar nicht daran, ihnen zu widersprechen. Nächte hat der 64-Jährige im Auto verbracht, aufs Leben gerechnet Wochen, Monate, vielleicht Jahre. „Wenn ich zu Hause bin, schlafe ich zwei, drei Stunden, dann bin ich wieder hier im Studio“, sagt Wiebold. Hier fühlt er sich am Puls der Welt, hier hat er die Direktleitungen zu RTL und zur Tagesschau. Hier ist sein Leben: „Du kannst nicht erfolgreich sein, wenn du alles verschläfst.“

Es ist ein rastloses Leben: „Wenn ich zur Ruhe komme, denke ich zu oft darüber nach, was ich alles erlebt habe. Deshalb ist es gut, wenn es immer weiter geht, weiter geht, weiter geht.“ Ans Aufhören ist selbst mit 64 Jahren nicht zu denken. „Ich kippe irgendwann an einem Tatort um und dann ist gut.“ Das letzte Kapitel über Wolfgang Wiebold ist noch lange nicht geschrieben.