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Tochter (17) von Hartz-IV-Empfängerin klagt an: „Ich kann nicht für die Zukunft sparen“

Tochter (17) von Hartz-IV-Empfängerin klagt an: „Ich kann nicht für die Zukunft sparen“

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Sarah Heinrichs Mutter ist Hartz-IV-Empfänger. Die 17-jährige Schülerin ist davon unmittelbar betroffen. Foto: Privat

Unna. 

Es ist eine schreiende Ungerechtigkeit, findet Sarah Heinrich. Über Twitter lässt die 17-Jährige mächtig Dampf ab: „Hartz IV ist der größte Scheiss.“ Doch was hat eine Schülerin mit Hartz IV am Hut?

„Meine Mutter ist alleinerziehende Hartz-IV-Empfängerin“, erklärt sie im Gespräch. Das habe Auswirkungen auf ihre Zukunft. Geld sparen für die Zeit nach dem Abi kann sie nicht. Denn für sie lohnt es sich nicht, mehr als 100 Euro im Monat zu verdienen. Alles, was über diesen Betrag hinausgeht, wird zu 80 Prozent abgezogen.

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Abifahrt? Undenkbar für Sarah

In einem Jahr möchte sie ihr Abitur am Pestalozzi-Gymnasium in Unna machen. Danach soll ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) und ein Studium folgen. Schon jetzt schaut die Schülerin nach bezahlbaren Wohnungen in Bochum. „Ich habe die Miete mit Nebenkosten ausgerechnet“, sagt sie. Da sei ihr schnell aufgefallen: Mit dem Geld passt es hinten und vorne nicht. „Nach dem Abitur kann ich kein Geld zur Seite legen“, beschreibt sie ihr Problem.

Und wenn die Abi-Abschlussfahrt ansteht, schaut Sarah in die Röhre. Denn in den Ferien kann sie zwar Geld verdienen, dann aber nicht mehr wegfahren. „Ich habe auch Freunde, deren Eltern sich solch eine Fahrt nicht leisten können“, sagt sie: „Aber die können immerhin in den Ferien noch Geld verdienen.“

Doch ihre Probleme liegen nicht nur in der Zukunft. Besitzen viele Jugendliche die neusten Smartphones, muss die 17-Jährige auf alte oder sehr günstige Modelle zurückgreifen. „Wenn das Handy dann noch kaputt geht, bin ich aufgeschmissen“, schildert sie die alltäglichen Probleme eines Hartz-IV-Kindes.

200 Euro verdienen, 120 Euro bekommen

Verdient die Schülerin bei Ferienjobs mehr als 1.200 Euro im Jahr, greift die Einkommensregelung nach § 11b des Zweiten Sozialgesetzbuchs (SGB II). Ein Teil des Lohns wird mit dem Arbeitslosengeld II der Eltern verrechnet, denn sie gelten als Bedarfsgemeinschaft.

Angenommen, Sarah arbeitet in einem Cafè und verdient 200 Euro im Monat. Dann darf sie 100 Euro behalten. 20 Prozent der restlichen 100 Euro bleiben anrechnungsfrei. Ihr bleiben also 120 Euro. Die restlichen 80 Euro werden mit dem Harzt-IV-Satz verrechnet.

Das Ziel: Ein Studium

„Sobald ich ausziehe, darf ich mehr als 100 Euro verdienen“, weiß sie. „Ich werde gucken, dass ich ein ultra günstiges WG-Zimmer finde.“ Ihr Ziel: Ein Studium der Sozialwissenschaften. Dass sich jetzt schon etwas in der Politik ändert, dafür setzt sich die Schülerin seit Anfang 2017 ein. Damals hat sie die Grüne Jugend, die Jugendorganisation der Grünen, in Unna neu gegründet.

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Was können Kinder für die Arbeitslosigkeit ihrer Eltern?

Auf Twitter belässt es Sarah nicht bei dem einen Tweet. Es folgt ein ganzer Schwall an Nachrichten. Sie möchte sich den Frust von der Seele schreiben. Dabei stört es sie unfassbar, wie die Politik mit dem Problem umgeht.

„Das Verhältnis zwischen Kindern und Eltern unter Hartz mit unter die ‚Bedarfsgemeinschaft‘ zu packen, sorgt dafür, dass Kinder ihr Geld abgeben müssen, ohne was für die Arbeitslosigkeit der Eltern zu können. Wo ist das fair?“, fragt sie. Es sei denkbar schlecht, wenn Jungendlichen bereits im Vorhinein vermittelt wird, dass sich arbeiten nicht lohnt.

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„Reden von der Dringlichkeit Kinderarmut zu verringern, aber verwehren Kindern, sich selbst aus Armut zu befreien und in ein normales, sicheres Leben zu starten“, schreibt sie in Richtung der Politik.

Ihre Wutrede findet viel Resonanz in dem sozialen Netzwerk. Tausendfach werden ihre Tweets gelikt, hundertfach geteilt. Aus zahlreichen Antworten anderer User geht hervor, dass sie sich der Problematik bisher nicht bewusst waren. „Ich bin froh, dass die Diskussion sachlich und konstruktiv abläuft“, freut sich Sarah. Darüber, dass sie schon jetzt viel erreicht hat durch ihre Nachrichten.

Dieser Text erschien erstmals im Augist 2018 auf DER WESTEN