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Warum Reiner Calmund an den Klassenerhalt des BVB glaubt

Warum Reiner Calmund an den Klassenerhalt des BVB glaubt

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Reiner Calmund Foto: dpa
Wie sich ein Top-Klub im Abstiegskampf fühlt, weiß Reiner Calmund noch aus der Saison 1995/96 mit Bayer Leverkusen. Sein bester Rat an Borussia Dortmund: Ja nicht auf ihn hören. Ein Interview.

Dortmund. 

16 Spieltage haben die Fußballer von Borussia Dortmund Zeit, ihrem Vereinschef Hans-Joachim Watzke das Schlussszenario zu ersparen, das Reiner Calmund vor 19 Jahren miterlebt hat. Letzter Spieltag in der Bundesliga, Bayer Leverkusen gegen 1.FC Kaiserslautern, bei einer Niederlage steigt die Werkself ab. Und erst in der 82. Minute erlöst Markus Münch Bayer mit dem Tor zum 1:1-Endstand. Eine nervenaufreibende Situation in der Saison 1995/96, die Calmund (66) dem BVB in einigen Monaten nicht wünscht.

Vom Bundesligafinale 1996 ist in bester Erinnerung, wie Andi Brehme an Rudi Völlers Schulter Tränen vergießt. Die Dortmunder können am letzten Spieltag gegen Bremen nicht auf andere Weltmeister treffen. Aber ist es denn wirklich möglich, dass Dortmund absteigt?

Reiner Calmund: Es gibt doch diesen populären Werbeslogan: „Nichts ist unmöglich“. Der könnte auch für den Fußball erfunden worden sein, oder? Hier ist wirklich nichts unmöglich. Und jeder der Verantwortlichen sollte sich davor hüten, das aus den Augen zu verlieren. Aber da mache ich mir eigentlich keine Sorgen. Reinhard Rauball, Hans-Joachim Watzke, Michael Zorc und Jürgen Klopp haben den Ernst der Lage erkannt, dass Führungs-Quartett des BVB tritt mit klaren Vorstellungen und viel Realismus geschlossen auf. Wichtig ist, dass auch die Spieler es realisieren, auf sie kommt es letztlich an. Da setze ich auf den Vorbereitungseffekt, denn im Gegensatz zur Sommervorbereitung konnte Jürgen Klopp jetzt doch intensiver mit dem gesamten Kader arbeiten. Auch wenn er weiterhin mit dem Pech der Verletzungen leben muss, wie es scheint. Wenn Ilkay Gündogan in Leverkusen fehlen würde, wäre dies angesichts des Fehlens von Bender und Kehl schon eine empfindliche Schwächung. Wichtig ist, dass Marco Reus ohne Angst in die Zweikämpfe gehen kann. Ich denke, er wird mit Neuzugang Kevin Kampl sehr gut harmonieren.

Mit den Pfälzern ist damals eine von Leidenschaft für den Fußball geprägte Region abgestiegen. Was würde es für Dortmund und das Ruhrgebiet bedeuten, wenn der BVB in die zweite Liga müsste?

Calmund: Schmerz und Leid, keine Frage. Aber es geht immer weiter. Wenn der BVB runter muss, dann wird er alles daran setzen, wieder nach oben zu kommen. In Köln, meiner direkten Nachbarschaft, konnte sich auch niemand jemals vorstellen, dass man runter in die Zweite Liga muss. Mittlerweile ist der FC fünfmal abgestiegen, die Liebe der Geißbock-Fans zu ihrem Klub ist ungebrochen und es geht trotz der sportlichen Berg- und Talfahrt mit großer Begeisterung dort immer weiter. Auch die BVB-Fan haben schon bewiesen, dass sie in guten und schlechten Zeiten zur ihrem Klub stehen.

Ist im Fußballgeschäft überhaupt noch Raum für solche Emotionen, auch für Mitleid?

Calmund: Mitleid hegt man ja mit denen, die man mag. Natürlich lebt der Fußball von Emotionen. Das Bild von Rudi Völler und Andy Brehme ist ja auch deshalb so im Gedächtnis geblieben, weil es Emotionen ausdrückt. Und wenn eine Mannschaft, die mir sympathisch ist, mit Pech absteigt, dann habe ich Mitleid. Ebenso habe ich mich gefreut, dass viele Menschen mit Bayer Leverkusen Mitleid empfanden, als wir 2000 und 2002 knapp den Titel verspielten. Oder denken Sie an Schalke 2001, an die „Meister der Herzen“. Da gab es außer Emotionen und Mitleid nichts mehr im Stadion.

Wie schwierig ist es, sich aus so einer Abwärtsspirale zu entziehen? Erst recht, wenn so viel Talent in der Mannschaft steckt?

Calmund: Jeden Tag neue Konzentration auf den Job. Keine Ablenkung mehr, nur noch Fußball, Fußball, Fußball. Nur so geht es. Raus aus der Öffentlichkeit, Besinnen auf die Stärken, Erkennen der Situation. Talent ist gut und schön, gewinnt aber genauso wenig Spiele wie Potenzial. Das muss in die richtige Richtung bewegt werden. Dann kommt der Erfolg zurück.

Wie nehmen die Spieler die Situation wahr?

Calmund: Unterschiedlich. Das sind ja alles eigene Charaktere. Vielleicht hat es ein nachdenklicher Typ wie Mats Hummels, der immer bereit ist, alles zu analysieren, sogar schwerer als einer, der mehr über die Instinkte kommt. Aber klar ist: Jeder muss sich mit seinem Job, seinen Stärken und seiner Bereitschaft auseinandersetzen. Es kann mal kurzfristig gut sein, abzuschalten. Aber auf Dauer hilft dir das nicht weiter. Weil die Situation so ernst ist, wie die Tabelle sie zeigt. Vor dieser Realität kann keiner fliehen, egal, wie er nervlich gestrickt ist.

Hat auch mal einer die Nerven verloren?

Calmund: Es geht um wahnsinnig viel. Da liegen die Nerven blank und vibrieren wie Klaviersaiten, wenn einer mit dem Hammer auf die Tasten haut. Es geht ja hier nicht mehr um normale Emotionen auf dem Rasen. Es geht um die Zukunft, es geht um Arbeitsplätze. Nicht um die für die hoch bezahlten Profis. Aber wer absteigt, der muss auch meist abspecken. Und da trifft es Sekretärinnen, Physios, Zeugwarte, eben Mitarbeiter, die nicht im Rampenlicht stehen, aber auf die Kohle ebenso angewiesen sind. Dann ist es wichtig, dass die Spieler die Nerven behalten, um das Gesamtgebilde nicht noch durch Rote Karten und Undiszipliniertheiten zusätzlich zu schwächen. Bei uns gab es Gott sei Dank keine Ausraster in diese Richtung.

Haben die Spieler aus der Situation etwas mitgenommen, vielleicht auch etwas gelernt?

Calmund: Glauben Sie mir, aus dieser Situation lernt jeder. Bayer geriet zweimal in akute Abstiegsgefahr, ich zähle jetzt die Relegation nach dem Aufstieg 1980 mal nicht mit. 1996 und 2003 waren wir fast weg. Direkt nach unseren Seuchenjahren qualifizierten wir uns 1997 und 2004 für die Champions League. Die Spieler waren durch ein Stahlbad gegangen, sie hatten ihre Fähigkeiten aufgrund der nervlichen Belastung nicht annähernd einbringen können. Als die Belastung von ihnen abfiel, waren diese Fähigkeiten plötzlich wieder da. Und es kam etwas dazu, was man nicht lernen kann: Sie hatten in den Abgrund geschaut, sie hatten gelernt, dass man fighten muss für seinen Beruf und die verdammt wichtige Erfahrung gemacht, dass eine gehörige Portion Demut ganz sicher nicht schaden kann. Das alles kann dich stärker machen. Ich bin sicher: Wenn die Borussia in dieser Saison den Abstieg verhindert, wird sie in der kommenden Spielzeit wieder ganz vorne mitspielen.

Gab es den Moment, an dem Sie als Manager nicht mehr an das eigene Handeln, den Klassenerhalt geglaubt haben?

Calmund: Was glauben Sie, woran ich alles geglaubt habe? An alles, vor allen Dingen an das Gute in den Spielern. Von denen bist du ja bedingungslos abhängig. Ich konnte ja keinen Ball ins Tor schießen und trotz meiner dicken Wampe auch keine Gegentreffer verhindern. Ich konnte nur hoffen, dass der, den wir teuer bezahlten und der bei uns ja auch schon großartige Leistungen gezeigt hatte, endlich wieder zündete. Da mogeln sich zwischendurch schon ein paar Schreckensvisionen rein. Und da spielt der Abstieg natürlich eine Rolle. Als Geschäftsführer musst du ja das große Ganze sehen und alle Szenarien durchrechnen. Mich hat gewundert, dass sich Leute darüber gewundert haben, dass Aki Watzke die Zweitliga-Lizenz beantragt hat. Was hätte er denn machen sollen? Er musste das. Diese Aktion ist auch ein klares Signal, dass sich die Dortmunder Vereinsführung ernsthaft mit der aktuellen Situation auseinandersetzt.

Dortmund hält an Jürgen Klopp fest, Sie haben für die letzten vier Spiele Peter Hermann für Erich Ribbeck auf die Bank beordert. Ist man mit früheren Trainerwechseln besser bedient?

Calmund: 1996 war mir Erich Ribbeck ein bisschen lang auf UEFA-Cup-Kurs. In der Tabelle waren wir längst zwei Etagen tiefer angesiedelt. Die Trennung hat uns alle geschmerzt, zumal wir acht Jahre zuvor mit Erich Ribbeck den UEFA-Cup gewonnen hatten. Er war übrigens der Erste, der nach dem 1:1 gegen Kaiserslautern am Telefon total erleichtert zum Klassenerhalt gratulierte. Sein Co-Trainer Peter Hermann kannte den Klub, genoss eine Menge Sympathien auch bei den Spielern, mit seiner Ruhe sorgte er noch einmal für Fokussierung auf das Wesentliche. Aber wissen Sie was?

Sagen Sie’s.

Calmund: Der Trainer ist doch gar nicht das Problem. Jürgen Klopp ist ein Ausnahmetrainer. Er steht für Kompetenz, Leidenschaft, Identifikation und Siegeswillen. Mehr geht nicht.

Wovor muss der BVB dann Angst haben?

Calmund: Vor so Fachidioten wie mir. Nehmen Sie 20 Fußballexperten, 19 von denen sagen: Guck‘ dir mal das Spielermaterial an, die steigen nicht ab. Und jeder ist davon überzeugt – ich ja auch. Die Vereinsführung hat den Abstiegskampf verinnerlicht, zwischen Watzke, Zorc und Klopp passt kein Blatt Papier. Die Spieler aber müssen diese Haltung auch übernehmen, dann passiert denen nichts. Und wenn doch, kann man es ihnen ja nicht übel nehmen, denn sie hören ja nichts anderes. Dann bin ich auch einer der Übeltäter und der Aki kann mir vorwerfen: Mensch, Calmund, warum sagst Du das denn auch im Fernsehen oder in diesem Interview?


Was würden Sie als Manager des BVB machen, wenn die Mannschaft vor dem 31. Spieltag mit vier Punkten Rückstand auf einen Relegationsplatz liegt?


Calmund: Da gibt es keinen Kommentar von mir. Ich gehe fest davon aus, dass Dortmund zu diesem Zeitpunkt das Abstiegsgespenst verjagt hat. Wenn nicht, hat der BVB genügend Spitzenleute am Werk. Die haben mehr erreicht als ich. Und die werden dann ganz sicher am besten wissen, was zu tun ist.