Veröffentlicht inVermischtes

„Man könnte meinen, ich bin noch in Syrien“

„Man könnte meinen, ich bin noch in Syrien“

Sie kommen nach Deutschland, weil sie Sicherheit suchen, weil sie in der Heimat vielleicht drangsaliert wurden. Doch in den Flüchtlingsheimen in Burbach und Essen fühlen sich die Asylbewerber ausgeliefert und schlecht versorgt. Ein Besuch am Tag, nachdem der Misshandlungsskandal bekannt wurde.

Burbach/Essen. 

Eigentlich waren sie genau davor geflohen. „Man könnte meinen, ich bin noch in Syrien, das so etwas passiert“, klagt der junge Mann in Burbach. Er meint die Misshandlungen von Flüchtlingen in der alten Siegerlandkaserne durch Wachpersonal.

Kinder spielen zwischen den ehemaligen Mannschaftsunterkünften, ein Vater bringt seinem Sohn das Radfahren bei, auf einer Wiese sitzt eine junge Familie. Friedliche Bilder, die so gar nicht passen zu dem, was manche erzählen. Der ehemalige Student möchte seinen Namen nicht nennen. Unter seinem struppigen Bart ein weiches Gesicht. Er erzählt, wie sie wochenlang im Ungewissen gelassen würden über ihre Zukunft. Ein Mann mischt sich ein, „Animale“ ruft er erregt: Wie die Tiere würden sie hier hausen müssen. Zu viele Menschen in den Zimmern. Wenig Trinkwasser. „Wir bekommen keine Wasserflaschen“, klagt ein junger Syrer in gebrochenem Englisch

Das Personal sei überfordert, sagen die Flüchtlinge

Manche der Menschen wissen auch von Übergriffen des alten Wachdienstes zu erzählen. Ein Mann habe mit einem Wasserglas die Zentralkantine verlassen, Sicherheitsleute hätten ihn zu Boden geworfen, in Handschellen abgeführt. Als ein anderer Kleidung verlangte, sei ihm gesagt worden, er solle doch zu Assad zurückgehen. Nicht nur vereinzelt werfen Flüchtlinge dem Einrichtungspersonal vor, mit der Situation überfordert zu sein. Viele Asylbewerber seien deutlich länger als nur ein paar Tage da – teilweise seit zwei Monaten. Die medizinische Versorgung lasse zu wünschen übrig, sagen manche. Harte Vorwürfe.

140 Kilometer weiter nordwestlich, in Essen, steht das andere Heim, in dem Wachmänner geschlagen haben sollen. Die Flure sind lang, hell und sehr gleich, Hinweisschilder sind selten und das Treppenhaus liegt hinter der schweren Stahltür: Das Flüchtlingsheim ist ein Labyrinth. Und das trifft überhaupt ganz gut, was sich hier gerade abspielt: Denn auf ihrem Weg zum anerkannten Asylbewerber sind die rund 350 Menschen steckengeblieben, die hier in Sechserzimmern leben. Erst kamen die Windpocken in die Notunterkunft. Dann kam der Stopp der Verlegung in ein halbwegs normales Leben. Drei, vier Tage nur sollten die Menschen hier sein. Jetzt kommen die ersten auf sieben Wochen.

Rahat Khokhar hat sie gehört, die Geschichten von den Schlägen. Der 57-jährige Mann, der schon 1980 aus Pakistan kam und dann ein Textilgeschäft in Essen besaß, hilft hier als Übersetzer. Die Geschichte von dem Marokkaner hat er gehört, der in einem Bad zusammengeschlagen worden sein soll. Die Geschichte der Journalistin aus dem Libanon, der Wachmänner nach einem Streit an der Essensausgabe eine schwere Tür ins Kreuz geknallt haben sollen.

Drei Anzeigen wegen des Verdachts auf „vorsätzliche Körperverletzung“

„Ich habe ihr gesagt, das ist keine Polizei, geh’ zur richtigen Polizei“, sagt Khokhar: „Aber diese Leute haben ihr gesagt: Dann wird für dich alles noch schlimmer.“ Sie selbst, Yousra F., wird das auch gleich bestätigen. Nun, drei Anzeigen sind gestellt aus dem Haus: „Vorsätzliche einfache Körperverletzung“ heißt der Vorwurf auf Juristisch. Die Ermittlungen laufen, das Ergebnis ist offen, es gibt ja auch andere Darstellungen der Vorgänge.

Doch im Innenhof des Heims gehen gerade Zeitungen von Hand zu Hand mit den Horrorbildern aus der Unterkunft Burbach, wo derselbe Wachdienst im Einsatz war. „Keinen Respekt“ hätten die Männer auch hier gezeigt, „nie geholfen“, „uns vom Hof in die Zimmer geschickt, das ist doch kein Gefängnis.“

Sie sind schwer zu verstehen, ihre Aufgeregtheit nicht

50, 60 Frauen, Männer, Kinder, Syrer, Libyer, Mazedonen, Nigerianer, Algerier, Marokkaner, Somalis, Alte, Kranke, Gesunde stehen da, sie klagen an, sie beschweren sich bei Journalisten, irgendwie arabisch hier oder fließend französisch dort, mit deutschen oder englischen Bröckchen, und in ihrer fremdsprachigen Aufgeregtheit sind sie nur sehr schwer zu verstehen. Die Aufgeregtheit selbst aber nicht: Denn was sie gerade erleben, halten sie für ihren Endzustand in Deutschland. Es redet ja niemand mit ihnen, keiner erklärt ihnen was! Dürfen wir eigentlich auf die Straße? In der Nähe ist wirklich ein Park? Manche haben Papiere in der Hand, Bescheide von Behörden – wer soll die verstehen?

Die Menschen dürfen nicht arbeiten, die Kinder nicht zur Schule, sieben Wochen schon nicht – da soll man als Eltern sich nicht aufregen. Manche sind krank, dürfen aber angeblich nicht zum Spezialisten. Und dann natürlich dieses Essen: Deutsche Kost, die tiefgekühlt ins Haus kommt – am Montag gibt es Tafelspitz mit Meerrettich, das mag noch nicht mal jeder Wiener. Die perfekte Lösung, der Wochenmarkt, wär e gar nicht mal weit. Nur kriegen sie im anhaltenden Übergangsheim auch kein Taschengeld. Sie sind verloren in der Schwebe.