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Nach Flüchtlings-Misshandlung heftiger Streit um Schuldfrage

Nach Flüchtlings-Misshandlung heftiger Streit um Schuldfrage

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Foto: Polizei
Die Bilder aus dem Asylbewerberheim in Burbach haben eine Debatte über das Versagen der Kontrollinstanzen ausgelöst. Die Frage ist: Warum konnten nicht qualifizierte Wachleute in einem so sensiblen Objekt eingesetzt werden? Die Politik verspricht Aufklärung – war aber vielleicht Teil des Problems

Essen. 

Das Entsetzen über die Bilder aus dem Asylbewerberheim in Burbach ist groß – entsprechend rigoros fielen die Konsequenzen aus, die nach dem Bekanntwerden der Demütigungen an Flüchtlingen eingeleitet wurden. Der privaten Sicherheitsfirma, die mit der Bewachung des Objekts beauftragt war, wurde gekündigt. Gegen die beteiligten Wachleute wurden Strafverfahren eingeleitet. Die für den Betrieb der Heime zuständige Bezirkregierung Arnsberg hat neue Standards verabschiedet, die künftig für die Wachfirmen und deren Personal gelten sollen. Schlussstrich also?

Ganz und gar nicht. Denn es stellt sich weiterhin die Frage, wie es überhaupt zu den Vorfällen kommen konnte. Und die angekündigten sogenannten „neuen Standards“ könnten einen Hinweis darauf geben, was so fatal schief gelaufen ist. Die Bezirksregierung hat zur Auflage gemacht, dass nur noch geprüftes Sicherheitspersonal mit Führungszeugnis die Flüchtlinge schützen darf. Außerdem müsse künftig ein Mindestlohn gezahlt werden.

Eigentlich ist die Überprüfung Pflicht

Verwunderlich daran ist, dass diese Auflagen erst jetzt gelten sollen. Denn nach Paragraf 34 der Gewerbeordnung für das Bewachungsgewerbe muss eigentlich jeder Mitarbeiter eines privaten Sicherheitsdienstes auf seine Eignung kontrolliert werden. Das geschieht im Normalfall durch Überprüfung des polizeilichen Führungszeugnisses – und bei Bedarf des erweiterten Führungszeugnisses, in dem auch länger zurückliegende Straftaten registriert sind. Die Genehmigung für den Einsatz eines Mitarbeiters erteilen die örtlichen Behörden. In NRW meist die Ordnungsämter. Wenn es Zweifel an der Eignung gibt, kann die Ordnungsbehörde einschreiten.

In Burbach ist diese Überprüfung möglicherweise fehlerhaft oder zu oberflächlich geblieben, sonst hätte kaum Wachpersonal zum Einsatz kommen können, das bereits mehrfach mit dem Gesetz in Konflikt gekommen ist. Holger Sönnichsen, Sicherheitsexperte der Essener Condor Gruppe, glaubt, dass eine Mischung aus Zeitdruck, Überlastung und Fehlentscheidungen zu den fürchterlichen Vorfällen geführt haben – woran auch der Auftraggeber, also die Bezirksregierung, wohl nicht unschuldig sei. Die Condor Gruppe mit ihren insgesamt 1000 Beschäftigten habe bereits Erfahrungen bei der Betreuung von Asylbewerberheimen gesammelt – und die Situation in solchen Heimen sei komplex: „Da kommen Menschen aus aller Herren Länder zusammen, mit verschiedenen Religionen und Traditionen, viele sind traumatisiert durch die Flucht“, so Sönnichsen. Den Frieden und die Ordnung in einer solchen Situation aufrecht zu erhalten, sei mitunter schwierig. Wenn dann noch eine Überbelegung dazu komme, werde es noch mal komplizierter. Und deshalb sei es ausschlaggebend, dafür entsprechend geschultes und geeignetes Wachpersonal einzusetzen.

„Tätigkeitsbezogene Fähigkeiten“ das A und O der Branche

Der Einsatz von Personal mit „tätigkeitsbezogenen Fähigkeiten“ sei überhaupt das A und O in der Branche: Wer zum Beispiel eine Pforte bewache, der müsse höflich, korrekt und sorgfältig sein – wer als Sicherheitsdienst häufig mit problematischem Publikum zu tun habe, der müsse dagegen auch Konflikte austragen können. Im Normalfall würden mit den Kunden daher vor dem Auftrag klare Vorgaben für die Eignung, Ausbildung und Qualifikation des eingesetzten Personals definiert – was sich dann letztlich auch auf den Preis niederschlage. In Burbach sind derzeit etwa 700 Menschen untergebracht – nach Sönnichsens Schätzung müssten dort mindestens sieben Wachleute pro Schicht eingesetzt werden, um die Arbeit ordentlich zu machen. Zudem müssten es Menschen sein, die hochkommunikativ und trotzdem durchsetzungsfähig sind, um als Instrument der sozialen Kontrolle die Einhaltung der Hausordnung durchzusetzen, ohne dabei Konflikte unnötig zu eskalieren. Das seien die wichtigsten Qualifikationen bei einem solchen Objekt. Möglicherweise habe man angesichts der Flüchtlingswelle und den politischen Rahmenbedingungen bei der Ausschreibung unter Zeit- und Finanzdruck gestanden – und sich daher für einen günstigen Anbieter entscheiden, der dann wohl nicht über das nötige Personal verfügte. Eine fatale Entscheidung – die jetzt politische Diskussionen um die Schlussfolgerungen nach sich zieht.

Politik dringt auf Aufklärung 

Die Notunterkünfte in Burbach und Essen sind Einrichtungen des Landes. Von dort werden die Flüchtlinge nach der Erstaufnahme auf die Kommunen verteilt. Betrieben werden beide Heime von der Firma European Homecare aus Essen. Das private Unternehmen führt seit 1989 Wohnheime für Asylbewerber und Flüchtlinge.

Den Sicherheitsdienst hatte European Homecare in Burbach und Essen nach Angaben der Bezirksregierung Arnsberg dem Nürnberger Unternehmen SKI übertragen, das über 150 Mitarbeiter verfügt. In Burbach engagierte SKI demnach einen weiteren Subunternehmer. Die Bundesregierung dringt auf rasche und lückenlose Aufklärung. „Es ist vollkommen klar, diese Vorfälle müssen rasch und sie müssen dringend aufgeklärt werden“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin. NRW-CDU-Chef Armin Laschet machte auch die rot-grüne Landesregierung verantwortlich. „Die Regierung hat die Aufsichtspflicht nicht wahrgenommen wie das erforderlich wäre“, sagte er am Montag vor der Sitzung des CDU-Präsidiums in Berlin.

Kraft will durchgreifen

Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin Hannelore Kraft hat zugesichert, die NRW-Regierung werde jedem einzelnen Verdacht nachgehen, und natürlich wird strafrechtlich verfolgt, was bisher bekannt ist“, sagte die SPD-Politikerin. „Ich bin fassungslos, dass so etwas passieren kann, und ich schäme mich dafür, was den Menschen dort geschehen ist“, fügte sie mit Blick auf die Ermittlungen in Heimen in Burbach, Essen und Bad Berleburg hinzu.

Der vom Land beauftragte private Betreiber sei offensichtlich „angesichts des Flüchtlingszustroms nicht in der Lage gewesen, die Qualitätsstandards, die vorgegeben sind, einzuhalten. Und wir haben auch angesichts dieses Drucks die Kontrollen nicht ausreichend durchgeführt“, räumte Kraft ein. „Das werden wir umgehend ändern.“

Polizeigewerkschaft fordert Verbot des Einsatzes von Subunternehmen

Nach Ansicht der Deutschen Polizeigewerkschaft lässt sich der Einsatz von Privatunternehmen bei der Betreuung von Flüchtlingen nicht vermeiden. „Mit dem vorhandenen Personal geht das nun mal leider nicht immer. Deshalb ist es auch notwendig, mitunter private Unternehmen zu beschäftigen“, sagte der Gewerkschaftvorsitzende Rainer Wendt. Diese müsse man sorgfältig auswählen und genau überwachen. Die Beschäftigung von Subunternehmen müsse vertraglich verboten werden.

Stark steigende Asylbewerberzahlen stellen die Behörden derzeit vor massive Herausforderungen. Viele Einrichtungen sind überbelegt. In der Zeit von Januar bis August 2014 haben insgesamt 99 592 Menschen in Deutschland Asyl beantragt. Im Gesamtjahr erwartet das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge rund 200 000 Bewerber. (mit dpa)