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Zwischen Tod und Hoffnung: Der letzte Fotograf von Aleppo

Zwischen Tod und Hoffnung: Der letzte Fotograf von Aleppo

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hosam_katan-4~09f9237a-a3df-45cd-af35-7e9f2f987b31.jpg Foto: BM
Als die Kämpfe im syrischen Aleppo ausbrachen, griff Hosam Katan zur Kamera. Seine Bilder bewegen die Welt. Nun lebt er in Deutschland.

Berlin. 

Hosam Katan lernte sein Handwerk auf den Straßen einer Stadt im Bürgerkrieg. Die Fotografien des Autodidakten zählen zu den eindringlichsten Zeugnissen des unerbittlichen Kampfes um Syriens einstige Wirtschaftsmetropole Aleppo. Die Fotografien zeigen Väter, die den Tod ihrer Kinder beweinen, einen blutig zurück gelassenen Operationstisch im Hospital, verlorene Menschen zwischen den grau-braunen Ruinen von Häuserschluchten, die bei Hosam Katan der Hölle auf Erden gleichen.

Sein erstes Foto veröffentlichte 2013 die New York Times. Die Nachrichtenagentur Reuters sandte seine Fotos rund um die Welt. Bei der diesjährigen Verleihung des Nannen-Preises wurde der 1994 geborene Katan jetzt mit dem Sonderpreis geehrt. Sein Laudator war Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD). Im Dezember vergangenen Jahres war er über die Türkei und Griechenland nach Deutschland geflüchtet, wo er nun in Offenbach auf den Bescheid seines Asylantrags wartet. Zwischen zwei Universitäts-Vorlesungen als Gasthörer trafen wir ihn zum Interview.

Herr Katan, 2012 haben Sie nach Abschluss der Oberschule, einigen Monaten Arbeit als freiwilliger Lehrer für die Kinder Ihres Viertel und der Hoffnung auf ein Wirtschafts- oder Jura-Studium begonnen, zu fotografieren. Wieso?

Hosam Katan: 2011 war es, als seien die Leute plötzlich aufgewacht. Sie schlossen sich der syrischen Revolution für Freiheit und Demokratie an. Meine Berufsträume waren mit einem Mal beendet. Ich galt als Regimegegner und wurde gesucht. Fotografie hatte mich immer fasziniert und so sagte ich sagte mir: Ich bin kein reicher Mann, der mit Geld helfen kann. Aber ich kann helfen, indem ich Bilder vom Krieg verbreite.

…anfangs mit der Handycam…

Katan: …und später, im Reporter-Zusammenschluss des Aleppo Media Centers und mit Hilfe anderer professioneller Fotografen, bei denen ich mir alles abguckte, dann mit einer Profi-Kamera, die ich mir von den ersten Honoraren für 400 Dollar kaufte.

Ihre Fotografien zeigen weniger Kriegshandlungen als den Umgang der Einwohner mit einem permanenten Ausnahmezustand.

Katan: Ein Fotograf hatte zu mir gesagt: Du kannst ein berühmter Fotograf werden, indem Du immer an vorderster Front dabei bist. Oder Du kannst Deinen ganz persönlichen Blickwinkel in die Bilder bringen, indem Du zeigst, wie die Zivilisten, die normalen Menschen von Aleppo mit dem Krieg zurechtkommen.

Retter, die Tote aus den Trümmern tragen, ein Mädchen auf der Notarzt-Pritsche, dem das Blut über das Gesicht läuft: Wie behält man da eine ruhige Hand?

Katan: Gar nicht. Bei den ersten vier Einsätzen habe ich nur geweint, und es dann abgebrochen. Irgendwann habe ich aber doch weiterfotografiert, weil ich wusste, dass es außer mir kaum Fotojournalisten in Aleppo gab. Und weder der IS, Al-Qaida noch die Regierung waren daran interessiert, dass die Wahrheit berichtet wird.

Bilder aus dieser Zeit zeigen Sie mit kugelsicherer Weste und dem Schriftzug „Press“ auf der Brust. Wie fühlten Sie sich, wenn Sie sie anlegten.

Katan: Einerseits großartig und stolz, andererseits war es nicht mehr als meine Arbeitsausrüstung, vielleicht zu vergleichen mit Bleistift und Block für einen schreibenden Journalisten. Lassen Sie mich es so sagen: Wenn ich diese Weste trug, war ich ich selbst.

Der „Press“-Schriftzug hat Sie aber nie geschützt oder?

Katan: Nein. Einmal zerstörten Menschen meine Kamera, ein anderes Mal hätte ein Scharfschütze mich fast umgebracht.

Das war vor einem Jahr, Ende Mai 2015.

Katan: Es war bekannt, dass da an einer bestimmten Straße ein Scharfschütze der syrischen Regierungstruppen lag. Aber nicht rund um die Uhr. Neun Menschen überquerten vor mir diese Straße. Ich war der Zehnte und mich traf seine Kugel im Bauch.

Wurden Sie von den Anderen in Sicherheit gebracht?

Katan: Nein. Sie trauten sich nicht an mich heran, aus Angst, die nächsten Opfer zu werden. Ich lag da, spürte meinen Körper nicht mehr, konnte nicht atmen. „Jetzt stirbst Du“, dachte ich. Im nächsten Moment hatte ich die Gesichter meiner Familie, meiner Mutter, aller Menschen, die mir wichtig waren, vor Augen. Und so kehrte irgendwie die Kraft zurück. Ich kam auf die Beine, lief, bis ich Menschen fand, die mich ins Krankenhaus brachten. Der Arzt erklärte mir später, dass ich es beinahe nicht überlebt hätte. Ein anderer Mann im Krankenhaus hatte mir bei meinem Eintreffen noch gesagt: „Es ist nicht schlimm, wenn Du stirbst, Gott liebt Dich.“ Verrückt, oder?

Sie sind jetzt in Deutschland und hoffen, ab Oktober in Hannover Fotojournalismus studieren zu können.

Katan: Für mich ist das nur eine Auszeit.

Sie kehren zurück nach Aleppo?

Katan: Ja, und in andere Krisengebiete.

Werden Sie die Stadt jemals wieder so erleben, wie Sie sie aus Ihrer Jugend kennen? Ihre Fotografien von dort lassen daran zweifeln.

Katan: Ich denke doch. Ich denke, es wird irgendwann einen Wiederaufbau geben. Wenn ich sehe, was nach dem Zweiten Weltkrieg aus Deutschland und Japan geworden ist: Das macht mir Hoffnung.

• Dieser Text ist zuerst in der „Berliner Morgenpost“ erschienen