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Reinhold Messner – der kraxelnde Philosoph spürt das Alter

Reinhold Messner – der kraxelnde Philosoph spürt das Alter

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Reinhold Messner Foto: dpa
Reinhold Messner wird 70. Der Mann ist ein Phänomen mit vielen Facetten: Naturbursche, Öko-Typ, Selbstvermarkter. Der große Abenteurer erklomm alle Achttausender dieser Welt ohne Sauerstoff-Flasche. Jetzt wird er langsam häuslich.

Bozen. 

Von einer „gezähmten Welt” hält dieser Mann nichts; ihr wollte er um jeden Preis entkommen. Die „wahre Menschennatur”, sagt Reinhold Messner, finde sich allein in der Wildnis, im „Niemandsland der Felswand“ vielleicht, irgendwo ganz weit weg jedenfalls, am Horizont, „an den äußersten Grenzen der eigenen Möglichkeiten.“ Dort und nur dort sei er unterwegs gewesen, sein Leben lang. Nichts anderes habe er dort gesucht als diese wahre Menschennatur – „und jenen Teil der Welt in mir selbst, der sich in der Unendlichkeit verliert.“

Es ist ein philosophischer, melancholischer wie „im Abstieg des Alters“ zufriedener Reinhold Messner, der da auf sein Leben zurückblickt – oder besser auf sein „Überleben“, das ihm an diesem Mittwoch, 17. September, seit exakt 70 Jahren beschieden ist.

70 Kapitel „Über Leben“

„Über Leben” heißt mit lehrhaft gemeintem Doppelsinn denn auch das Buch, das Messner sich selbst zum Geburtstag geschenkt hat und in dem er – aus passendem Anlass in natürlich 70 Kapiteln – sein Leben und seine Gedankenwelt ausbreitet.

Da ist alles drin, angefangen von der ungezwungen-spielerischen Kindheit im Südtiroler Villnösstal, wo er als Fünfjähriger auf seinem ersten Dreitausender stand und wo – Messners pädagogisch-gesellschaftskritischer Unterton ist unüberhörbar – „uns die Nichterziehung zu selbstsicheren und widerstandsfähigen Menschen gemacht hat“. Das war, sagt er, genauso wie bei jenen „traditionellen Stammesgesellschaften“, die basisdemokratisch, keiner Obrigkeit Untertan und von keiner Zivilisation angekränkelt, glücklich „irgendwo am Rande der Welt“ leben oder, nun ja, zu Zeiten von Messners jugendlichen Expeditionen wohl noch gelebt haben.

Die Freiheit ist Messners Lebensthema

Da singt Messner das Hohe Lied der Selbstbestimmung, der unaufhörlichen „Freiheit aufzubrechen, wohin ich will“. Da scheint durch, dass er vor allem deswegen so hoch hinaus wollte und auf alle 14 Achttausender dieser Welt gestiegen ist – als „Anarch am Berg“ und als erster ohne Sauerstoffflaschen –, weil er über ihm selbst nichts und niemanden mehr zu dulden bereit war. Keinen Staat, keine Religion, keine Regeln.

Nie, schreibt er, „habe ich gefragt nach erlaubt oder verboten, es ging mir immer nur um möglich oder unmöglich“. Auch wenn andere es für unmöglich befanden – Messners spektakuläre, nie zuvor unternommene Alleingänge auf Nanga Parbat und Mount Everest zum Beispiel: „Mir ging es um die Verwirklichung revolutionärer Ideen. Also wagte ich Tabubrüche in Serie. Die Szene hielt den Atem an, während ich ihr ohne Atemmaske vorführte, wie flach ihre Welt war.“

Seine Träume hat er wahr gemacht

Seine Träume, bilanziert Messner, habe er wahr gemacht, und immer, wenn er irgendwo nicht weiterkam, suchte er sich neue Herausforderungen: Das war so, als ihm nach der ersten Expedition zum Nanga Parbat sieben erfrorene Zehen amputiert werden mussten: Da gab er zwangsläufig die geliebte Felskletterei auf, bei welcher er in den Alpen nie erreichte Maßstäbe gesetzt hatte – und verlegte sich aufs Höhenbergsteigen, in die Achttausenderwelt, was ihn weltberühmt machte.

Als auch das nicht mehr ging – seines Fersenknochens wegen, den er sich just daheim gebrochen hatte, beim Übersteigen der Mauer seiner Südtiroler Wohnburg Juval –, da entwarf Reinhold Messner seinen „15. Achttausender”: das „Messner Mountain Museum“, eine Kette von derzeit fünf, im kommenden Winter dann sechs Südtiroler Ausstellungsorten, wo er das Verhältnis zwischen Mensch und Berg „durch das Erzeugen von Emotionen“ reflektieren will – und durchs Zeigen von „Reliquien“.

Das Alter, sagt Reinhold Messner, begann er zu spüren, als er 2004, mit 60, die 2000 Kilometer der Wüste Gobi durchquerte: „Das war zu viel.“ Heute singt er das Lied vom Seniorenglück, vom „sicheren Nest” der Familie, vom „Plätzchen“, wo er „in gedankenlosem Denken dem Wasser, dem Laub der Bäume, den Vögeln zuhören“ kann. Und „sogar die Entdeckung, dass die Welt dieselbe wäre, hätte es mich nie gegeben, ist keine Zumutung mehr.“